SZ-Pflegekolumne: Auf Station, Folge 72:Praktisch akademisiert

SZ-Pflegekolumne: Auf Station, Folge 72: Den Titel "Pflegefachkraft" kann man in Deutschland nicht mehr nur über eine Ausbildung erlangen, sondern auch über ein Bachelorstudium.

Den Titel "Pflegefachkraft" kann man in Deutschland nicht mehr nur über eine Ausbildung erlangen, sondern auch über ein Bachelorstudium.

(Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Der herkömmliche Weg in den Pflegeberuf führt in Deutschland über eine duale Ausbildung. Dass die Jobqualifikation nun auch durch ein Studium zu erreichen ist, sieht Pola Gülberg kritisch.

Protokoll: Johanna Feckl, Ebersberg

Mittlerweile ist es an ausgewählten Unis in Deutschland möglich, das Fach "Pflege" zu studieren. Neben einem Bachelorabschluss erlangen die Absolventen die staatlich anerkannte Qualifikation zur Pflegefachkraft. Damit können sie also genau wie diejenigen nach einer dreijährigen dualen Ausbildung in der pflegerischen Patientenversorgung am Bett arbeiten. Die Akademisierung soll den Beruf aufwerten - etwas, das wir uns in der Pflege durchaus wünschen. Den Weg über ein Studium, um das zu erreichen, sehe ich jedoch kritisch.

Im internationalen Vergleich stand Deutschland mit seiner dualen Ausbildung bislang einsam da. In den meisten Ländern muss Pflege studiert werden, um in der direkten Patientenversorgung arbeiten zu dürfen. Unstudiertes Personal ist für andere Tätigkeiten zuständig, etwa für Essensausgabe oder Bettenmachen. In Chile zum Beispiel, der Heimat meiner Familie, ist das Pflegesystem nach diesem Schema aufgebaut. In vielen anderen Ländern funktioniert es ähnlich, auch in Europa. So hat mir mein spanischer Kollege einmal von der Struktur in Spanien erzählt - sie ist mit der in Chile vergleichbar.

Mit einem Pflegestudium möchte Deutschland eine Berufsqualifikation schaffen, die international besser vergleichbar ist. Außerdem soll die Pflege dadurch wissenschaftsbasierter werden. Denn früher wurden keine Studien in unserem Bereich durchgeführt. Klar haben wir unsere Arbeiten auf eine bestimmte Art erledigt, weil wir Erfolge gesehen haben. Jedoch fehlten offizielle Erhebungen - im wissenschaftlichen Sinne war unsere Arbeit kaum evidenzbasiert.

SZ-Pflegekolumne: Auf Station, Folge 72: Intensivfachpflegerin Pola Gülberg von der Ebersberger Kreisklinik.

Intensivfachpflegerin Pola Gülberg von der Ebersberger Kreisklinik.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Das Problem nun: Auch studierte Pflegefachkräfte werden am Patienten arbeiten müssen. Denn wir haben in Deutschland im Gegensatz zu anderen Ländern, in denen ein Studium längst möglich ist, eine ganzheitliche Bezugspflege: Wir berücksichtigen alle Aspekte der Patienten und wenn möglich, versorgen die gleichen Pflegekräfte die gleichen Patienten.

Werden die Bachelorabsolventen damit einverstanden sein, die gleichen Tätigkeiten zum gleichen Gehalt zu erledigen, wie Ausbildungsabsolventen? Ich habe Zweifel daran. Wird das letztlich zu einer Hierarchie zwischen den Ausbildungswegen führen und dadurch die ganzheitliche Bezugspflege verdrängt? Das wäre ein Qualitätsverlust für die Pflege.

Evidenzbasiertes Arbeiten ist wichtig und sichert die Versorgungsqualität, denn eine Pflegekraft benötigt viel Fachwissen. Daher ist es gut, dass dieser Aspekt an Bedeutung gewinnt. Aber Pflege ist auch eine praktische Tätigkeit. Selbst die vielen Konzepte, die ich so toll finde, wie das kinästhetische Konzept, sind praktisch orientiert. Es braucht beides, Theorie und Praxis, um einen ganzheitlichen Pflegeprozess zu gestalten.

Pola Gülberg ist Intensivfachpflegerin. In dieser Kolumne erzählt die 38-Jährige jede Woche von ihrer Arbeit an der Kreisklinik in Ebersberg. Die gesammelten Texte sind unter sueddeutsche.de/thema/Auf Station zu finden.

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