SZ-Pflegekolumne: Auf Station, Folge 165Eingesperrt im eigenen Körper

Lesezeit: 2 Min.

Stephen Hawking bekam seine ALS-Diagnose 1963, 2018 ist der Astrophysiker im Alter von 75 Jahren gestorben.
Stephen Hawking bekam seine ALS-Diagnose 1963, 2018 ist der Astrophysiker im Alter von 75 Jahren gestorben. (Foto: Philip Toscano/dpa)

Pola Gülberg versorgt einen Patienten mit einer sehr seltenen Nervenkrankheit – sie ist so weit fortgeschritten, dass er nicht einmal mehr blinzeln kann. Es ist die Krankheit, deren wohl berühmtester Patient Stephen Hawking heißt.

Protokoll: Johanna Feckl, Ebersberg

Vor einiger Zeit versorgte ich einen Patienten mit ALS, das ist kurz für Amyotrophe Lateralsklerose – das ist das, woran Stephen Hawking erkrankt war. Der Physiker war der wohl berühmteste ALS-Patient. Die neurologische Krankheit sorgt dafür, dass Betroffene immer weniger Muskeln ansteuern können, sie verweigern mehr und mehr den Dienst, bis sie gar nicht mehr funktionieren. Patienten können sich dann nicht mehr bewegen, auch die Atemmuskulatur versagt früher oder später – man ist eingesperrt im eigenen Körper, und das bei vollem Bewusstsein.

Unter 100 000 Menschen gibt es pro Jahr nur etwa zwei ALS-Neuerkrankungen, mehr Männer als Frauen sind betroffen, und typischerweise tritt die Krankheit erst nach dem 50. Lebensjahr auf. Bei meinem Patienten war das anders: Er war nicht einmal 40 Jahre alt.

SZ-Pflegekolumne: Auf Station, Folge 149
:Alle kennen Krebs - aber COPD?

Jede Woche werden auf der Ebersberger Intensivstation ein bis zwei Patienten mit COPD versorgt - eine Krankheit, die weltweit die dritthäufigste Todesursache ist. Trotzdem passiert es Pola Gülberg immer wieder, dass Menschen nichts von der Lungenerkrankung wissen.

Protokoll: Johanna Feckl

Er war nicht mein erster ALS-Fall. Zwar würde ich nicht sagen, dass ich routiniert in der Behandlung solcher Patienten bin, aber es kommt häufiger vor als man als Außenstehender vielleicht denkt.

Erst seit Kurzem konnte mein Patient seine Augenlider nicht mehr anheben – bis dahin hatte er mit Blinzeln kommuniziert. Nun aber konnte er sich weder auf irgendeine Weise mitteilen noch war er in der Lage, zu sehen, was um ihn herum überhaupt geschah. Für mich bedeutete das, dass ich bei der Versorgung auf andere Zeichen achten musste, um zu wissen, wie es meinem Patienten geht. Schwierig, aber nicht unmöglich.

Als ich einmal an sein Bett herantrat, bemerkte ich Schweißperlen auf seinem Gesicht, außerdem war seine Herzfrequenz leicht erhöht. Irgendwas passte nicht, das war eindeutig.

Intensivfachpflegerin Pola Gülberg von der Ebersberger Kreisklinik.
Intensivfachpflegerin Pola Gülberg von der Ebersberger Kreisklinik. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Also bettete ich ihn ein wenig um. So banal das klingt, aber eine minimal unangenehme Liegeposition kann auf Dauer zu solchen Symptomen führen. Ich begann mit seinem Kopf, hob seine Augenlider, damit er mich sehen konnte, stellte mich vor und erklärte mein Vorgehen. Dann wischte ich den Schweiß im Gesicht ab und arbeitete mich nach unten weiter, positionierte die Gliedmaßen neu. Zum Schluss schaltete ich das Radio ein, das sich wohl nach einer bestimmten Zeit von selbst ausgeschaltet hatte – zu Hause hörte er immer Radio, das hatte uns seine Frau gesagt. Als ich fertig mit allem war, hatte sich seine Herzfrequenz wieder beruhigt. Ich war erleichtert.

Neuro-Patienten betreue ich immer gerne – ich habe schließlich einige Jahre auf einer Neuro-Intensivstation gearbeitet, der Bereich interessiert mich. Aber als mir bei der Übergabe gesagt wurde, dass mein ALS-Patient nicht einmal mehr die Augenlider anheben kann – ich war schockiert. Einen Betroffenen mit ALS, bei dem der Verlauf so weit fortgeschritten war, hatte ich bis dahin noch nie betreut. Letztlich ist es aber so: Ich wünsche keinem meiner Patienten, dass sie auf der Intensiv sein müssen. Aber das liegt nicht in meiner Hand. Ich kann nur dafür sorgen, dass ich sie so gut wie möglich versorge. Und da spielt das Krankheitsbild und dessen Stadium keine Rolle.

Pola Gülberg ist Intensivfachpflegerin. In dieser Kolumne erzählt die 40-Jährige jede Woche von ihrer Arbeit an der Kreisklinik in Ebersberg. Die gesammelten Texte sind unter sueddeutsche.de/thema/Auf Station zu finden.

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