SZ-Pflegekolumne: Auf Station, Folge 190:Schlechter Preis für einen Sieg

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3,5 Promille erlebt Pola Gülberg für gewöhnlich nur bei schwerst Alkoholabhängigen. Nun aber hat ein Trinkspiel bei einem Mann für einen solchen Wert gesorgt. (Foto: Franziska Gabbert/dpa-tmn)

Ein Mann kommt nach einem Trinkspiel ins Krankenhaus – er hat einen Alkoholwert von 3,5 Promille, ein solcher kann tödlich enden. Pola Gülberg ist froh, dass der Fall gut ausgegangen ist, trotzdem ärgert sie sich auch.

Protokoll von Johanna Feckl, Ebersberg

Man muss nicht die hellste Kerze auf der Torte sein, um vorauszusagen, was passieren kann, wenn ein Trinkspiel mit reichlich Alkohol diejenige Person gewinnt, die sich als Letztes übergibt. Ein vermeintlicher Sieger landete vor einiger Zeit bei uns auf der Intensivstation, mit allen Unannehmlichkeiten, die in solchen Fällen dazugehören. Und mit 3,5 Promille – ein Wert, mit dem sonst schwerst Alkoholabhängige in die Klinik kommen. Und ein Wert, der ebenso gut tödlich enden kann. Ich finde, das ist ein sehr schlechter Preis für einen Sieg.

Mein Kollege, der gemeinsam mit einem Internisten in den Schockraum in der Notaufnahme hinzukam, erzählte mir später, dass er so etwas noch nie gesehen hatte. Der Mann war nicht mehr ansprechbar und ließ sich nicht aufwecken, er zeigte keine Reaktion auf Schmerzreize. Stattdessen gab es sämtliche Körperflüssigkeiten im Raum.

SZ-Pflegekolumne: Auf Station, Folge 132
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Ein Patient von Pola Gülberg erbricht plötzlich Blut - eine Menge Blut. Der Verdacht: Die Leber ist als Folge seiner Alkoholkrankheit kaputt, das hat zu Krampfadern in der Speiseröhre geführt - und die sind nun geplatzt. Jetzt muss alles schnell gehen.

Protokoll: Johanna Feckl

Für gewöhnlich kommen Patienten mit einer Alkoholvergiftung auf den Intermediate-Care-Bereich unserer Station – hier können sie ihren Rausch ausschlafen, während sämtliche Werte am Monitor überwacht werden, die Versorgungsintensität ist jedoch nicht ganz so hoch wie bei einem Intensivpatienten. In diesem Fall war das unseren Docs aber zu heikel, der Mann kam sofort in ein Intensivbett.

Ich bin nicht ganz sicher, warum genau, aber die Vermutung liegt nahe, dass der Verdacht bestand, er könnte aspiriert haben. Das bedeutet, dass etwas vom Erbrochenen in die Lunge geraten ist, dadurch können die Atemwege blockiert werden. Unternimmt man nichts dagegen, kann das dazu führen, dass der Patient entweder erstickt, oder aber sein Gehirn zu lange mit zu wenig Sauerstoff versorgt wird und er am Ende mit einem Hirnschaden nach Hause geht. Es stand Spitz auf Knopf, dass der Mann intubiert werden musste – ich habe schon alle dafür nötigen Medikamente vorbereitet.

Intensivfachpflegerin Pola Gülberg von der Ebersberger Kreisklinik. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Wir alle waren unglaublich froh, als es dem Mann schließlich wieder besser ging. Manchmal sterben unsere Patienten, das ist nicht schön, aber gehört zum Leben dazu, in einigen Fällen kann es sogar eine Erlösung sein. Aber einen ansonsten kerngesunden Menschen zu verlieren wegen solch einem Scheiß, das will wirklich niemand.

Trotzdem ärgert sich ein Teil von mir über solche Fälle. Weil sie nicht auf eine Krankheit zurückzuführen sind oder unglückliche Unfälle sind, sondern absolut selbst verschuldet. Und absolut unnötig. Das empfinde nicht nur ich so. Schon oft habe ich von Kolleginnen gehört, dass sie zu ihrem Teenager-Nachwuchs gesagt hätten: Wenn du im Krankenhaus einmal in einem solchen Zustand aufschlagen solltest, dann gibts das volle Programm, inklusive Windeln – und keine frische Wäsche zum Anziehen, wenn es wieder nach Hause geht. Ich erinnere mich an einen Teenager, bei dem die Eltern das tatsächlich durchgezogen haben: Ihr Sohn verließ uns im Klinik-Nachthemd und mit Schuhüberziehern, die wir ihm gegeben haben, weil er auf gar keinen Fall Schuhe und Kleidung in dem Zustand, in dem er mit ihnen zu uns kam, anziehen wollte.

Pola Gülberg ist Intensivfachpflegerin. In dieser Kolumne erzählt die 40-Jährige jede Woche von ihrer Arbeit an der Kreisklinik in Ebersberg. Die gesammelten Texte sind online unter sz.de/aufstation zu finden.

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