Orgel-Serie der SZ Ebersberg:Wie die Flügel eines Engels

Orgel-Serie der SZ Ebersberg: Zeigt nur dem suchenden Liebhaber ihr Gesicht: die im Rückraum versteckte Orgel in der evangelischen Petrikirche Baldham.

Zeigt nur dem suchenden Liebhaber ihr Gesicht: die im Rückraum versteckte Orgel in der evangelischen Petrikirche Baldham.

(Foto: Christian Endt)

Feingliedrig im Klang und ungewöhnlich im Prospekt präsentiert sich die Orgel der Petrikirche in Baldham. Sie wurde 2017 gebaut und ist damit die jüngste ihrer Art im Landkreis.

Von Ulrich Pfaffenberger, Vaterstetten

Die Orgel ist das Instrument des Jahres 2021. "Wie passend!", möchte man ausrufen, unter Pandemiebedingungen sind Kirchen schließlich oftmals ein letzter Hort lebendiger Musik. Die Ebersberger SZ nimmt dies zum Anlass, in einer lockeren Serie das Thema sowie diverse Orgeln aus dem Landkreis und deren Geschichten vorzustellen.

Das bescheidene Äußere der Petrikirche in Baldham, der überschaubare Innenraum mit der nur leicht gekrümmten Holzdecke: Die ersten optischen Eindrücke lassen nicht erwarten, an diesem Ort eine große Orgel vorzufinden. Wenn das Instrument dann auch noch stumm bleibt während des Aufenthalts, verlassen Besucher die evangelische Kirche wohl wieder mit dem Gefühl, nichts versäumt zu haben, was ihren musikalischen Horizont erweitern könnte. Ein Irrtum, auf jeden Fall, unter Umständen sogar ein großer Irrtum. Wie er aber vorkommen kann in einer Welt, in der die Größe einer Orgel in der Regel daran gemessen wird, wie viele Quadratmeter ihr Prospekt misst und wie hoch die Zahl silbern glänzender Pfeifen ist, die sich da schmuck dem Betrachter zeigen.

In der Tat versteckt sich die Orgel im Rückraum des Gotteshauses, als wollte sie sich bewusst der beiläufigen Wahrnehmung entziehen und nur suchenden Liebhabern ihr Gesicht zeigen. Der Blick dort hinauf erfolgt zudem eher zufällig, weil der Spieltisch seitlich vorn rechts vom Altar platziert ist. Was soll man sich auch dem Instrument widmen, wenn man den Organisten beobachten kann, der es spielt? Der Platz hoch oben, fast unterm Dach, war einer der Gründe, warum die Orgel bei ihrem Neubau 2017 eine andere, ungewöhnliche Gestalt erhielt: Sie rückte an die Vorderseite der Empore, eine wesentliche Zahl der Pfeifen wurde sogar seitlich der Brüstung scheinbar frei schwebend aufgehängt. Der Prospekt breitet seine Flügel aus wie ein Engel. "Ein genaues Hinsehen macht bewusst, dass die Orgel dem Kirchenraum mehr Raum als Fläche abgetrotzt hat", kommentierte zur Einweihung der Orgelsachverständige Markus Bunge.

Orgel-Serie der SZ Ebersberg: Gelungene Symbiose von Raum und Klang: Einige Pfeifen wurden seitlich der Brüstung scheinbar frei schwebend aufgehängt.

Gelungene Symbiose von Raum und Klang: Einige Pfeifen wurden seitlich der Brüstung scheinbar frei schwebend aufgehängt.

(Foto: Christian Endt.)

Auch bei ihnen ist, vor allem bei den Acht-Fuß-Pfeifen, vielfach der Abstand zur Holzdecke noch gering. Aber dennoch verfügen die Klänge, die daraus hervordringen, über mehr Freiraum, um sich zu entfalten als bei der Vorgängerin aus den 1950er Jahren. Die klang dort oben eingezwängt so gedämpft, dass die Gemeinde sie schließlich befreite und im Altarraum aufstellte, wo sie einige Jahrzehnte noch ihren Dienst tat, bis sie, befallen von Schimmel und beschädigt vom rauen Alltagsbetrieb, unsanierbar ihr Leben aushauchte.

Orgel-Serie der SZ Ebersberg: Kantor Matthias Gerstner ist sehr froh, dass in der Petrikirche dank vieler Spenden eine neue Orgel realisiert werden konnte.

Kantor Matthias Gerstner ist sehr froh, dass in der Petrikirche dank vieler Spenden eine neue Orgel realisiert werden konnte.

(Foto: Christian Endt)

Nimmt man sich etwas Zeit, das heutige Instrument zusammen mit dem Organisten Matthias Gerstner zu erkunden, schwindet die Skepsis schnell, was die Wirkungskraft dieser Orgel angeht. Feingliedrig und elegant greift ihr Klang nach dem Herzen der Zuhörer. Keine Schmeichlerin ist sie, sondern überzeugt von ihrer Eleganz und Leichtigkeit. Sie füllt den Raum, lässt aber den Anwesenden genug Luft zum Atmen. Sie entfaltet ihre Schönheit zwischen Himmel und Erde, als gäbe es kein Kirchendach, gibt aber den Menschen, die sie hören, das Gefühl, dass sie jederzeit bei ihnen ist, Gleiche unter Gleichen. So, wie sie sich im Raum positioniert hat, ist sie prädestiniert als Partnerin für Chöre, Orchester und Solisten, die mit ihr erklingen, nicht neben oder unter ihr. Für eine Königin ein sehr demokratisches Verhalten. Man versteht in ihrer Gegenwart sehr gut, warum Pfarrer Stephan Opitz auf der Website der Gemeinde das Luther-Wort eingefügt hat: "Die Musik ist das größte, ja wahrhaft ein göttliches Geschenk."

Orgel-Serie der SZ Ebersberg: Die Orgel kann oben auf der Empore gespielt werden, oder an einem Spieltisch neben dem Altar. So bietet die Kirchenmusiker Matthias Gerstner sämtliche Möglichkeiten.

Die Orgel kann oben auf der Empore gespielt werden, oder an einem Spieltisch neben dem Altar. So bietet die Kirchenmusiker Matthias Gerstner sämtliche Möglichkeiten.

(Foto: Christian Endt)

Sowieso kommt der musik- und kunstsinnige Geistliche schnell ins Schwärmen, unterhält man sich mit ihm über das Instrument. Da verfliegt die, vorgebliche, protestantische Nüchternheit und löst sich in eine reine Freude am Wohlklang auf. Was vielleicht auch damit zu tun hat, dass diese Orgel vor fünf Jahren ganz aus Eigenmitteln der Gemeinde finanziert wurde. Spenden flossen über Patenschaften und die Versteigerung von Pfeifen der alten Orgel in einem Maß, das für eine enge Verbindung der gläubigen Musikfreunde und der musikfreundlichen Gläubigen im Umfeld der Petrikirche spricht. Auch die Gemeinden Vaterstetten und Grasbrunn beteiligten sich großzügig an der Finanzierung. Der Satz "Sie ist eine von uns" muss gar nicht ausgesprochen werden, um seinen tieferen Sinn zu entfalten.

Orgel-Serie der SZ Ebersberg: Sitzt Matthias Gerstner am Spieltisch unten im Altarraum, hat er die offenbar musikliebende Gemeinde direkt vor Augen.

Sitzt Matthias Gerstner am Spieltisch unten im Altarraum, hat er die offenbar musikliebende Gemeinde direkt vor Augen.

(Foto: Christian Endt)

Womit der Kreis der Freunde dieser Orgel sich bei jenen schließt, mit deren Händen sie gebaut und deren Händen sie ihr Spiel anvertraut hat. Josef Maier aus Hergensweiler bei Lindau hat es beim "Opus 79" seiner Werkstatt verstanden, die Regeln der Orgelbaukunst so anzuwenden, das Instrument, Aufgabe und Raum in wohlbalancierter Harmonie vereint sind. Pedal, zwei Manuale, 14 Register, eine Setzeranlage für acht mal acht Registrierungen - das scheint nicht üppig, aber es zeigt Größe im Kleinen. Etwas, was Matthias Gerstner entgegenkommt, dem intimen Kenner der Orgelliteratur, dem klugen Komponisten aufregender Entdeckungsreisen durch den Kosmos von "Bach & More". Gerade weil diese Orgel Aufmerksamkeit und Zuwendung verlangt, wenn sie ihre Seele öffnen soll, schenkt sie einem feinsinnigen Musiker wie ihm die Gelegenheit zu Konzerten außerhalb des üblichen Kanons.

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