Geschichte des Nationalsozialismus:"Es wirkt befremdlich, dass in so einer idyllischen Landschaft derart schlimme Dinge vonstatten gegangen sind"

Geschichte des Nationalsozialismus: Der Historiker Peter Maicher hat die Geschichte des Reithofs recherchiert.

Der Historiker Peter Maicher hat die Geschichte des Reithofs recherchiert.

(Foto: Christian Endt)

Der Historiker Peter Maicher ist zufällig auf das Schicksal des Bauern Daniel Wurth gestoßen, der in der NS-Zeit alles verlor. Im Interview erzählt Maicher die Geschichte von einem, der trotz allem nicht aufgibt.

Interview von Merlin Wassermann, Ebersberg

Vom Reithof hat man eine schöne Aussicht über den Ort Moosach im Landkreis. Als der Ortshistoriker Peter Maicher im Staatsarchiv zu diesem Hof recherchierte, stieß er jedoch auf ein wenig schönes, wenn auch spannendes menschliches Schicksal aus der Zeit des Nationalsozialismus.

SZ: Herr Maicher, der Hof des Landwirts Daniel Wurth ist, kurz nachdem er ihn 1929 erworben hatte, abgebrannt, sein Sohn ist im Alter von 16 Jahren verstorben, er musste seinen Grund und Boden zwangsversteigern lassen und nach dem Krieg erfuhr er keine Gerechtigkeit - was löst dieses Schicksal in Ihnen aus?

Peter Maicher: Nun, Wurth war zweifelsohne ein Pechvogel. Allerdings war er auch einer, der sich immer wieder aufrappelte und nicht so schnell nachgab, das ist in Anbetracht seines Lebenslaufs durchaus beachtenswert. Gleichzeitig hat es mich auch bestürzt, von diesem Schicksal zu erfahren. Wurt wurde ja nicht nur vom Pech, sondern vor allem von den Nazis in die Mangel genommen.

Er musste seinen Hof zwangsversteigern.

Richtig. Er hatte das Grundstück von der Darlehenskasse Grafing erworben, da war er 44 Jahre alt. Ursprünglich wollte er nur einen Teil kaufen, aber die Bank drängte ihn, alles zu nehmen, sie wollte Profit machen. Wurth verschuldete sich also hoch, die Bank verlangte 13 Prozent Zinsen, und der Vertrag enthielt eine Klausel zur sofortigen Zwangsräumung - ein Knebelvertrag. Der Direktor des Geldinstituts, Benedikt Müller, hatte ihm jedoch Unterstützung zugesagt.

Geschichte des Nationalsozialismus: Der Reithof auf einem Foto von 1920. Das Gebäude selbst wurde um 1600 erbaut und fiel 1929 den Flammen zum Opfer.

Der Reithof auf einem Foto von 1920. Das Gebäude selbst wurde um 1600 erbaut und fiel 1929 den Flammen zum Opfer.

(Foto: privat)

Wie sah diese Unterstützung aus?

Sie sollte nie Form annehmen. Nachdem der Hof abgebrannt war, konnte ihn Wurth mithilfe der Versicherung wieder aufbauen und führte ihn gut. Innerhalb von zwei Jahren steigerte er den Wert des Betriebs um beinahe das Doppelte. Hier sah Bankdirektor Müller nun seine Gelegenheit: Im März 1932 stellte er den Antrag auf Zwangsversteigerung, obwohl die hauseigenen Gutachter Wurths Betriebsführung lobten.

Wieso wollte Müller die Zwangsversteigerung?

Nun, zum einen würde sie der Bank neues Geld bringen. Die Idee war, den zunächst brachliegenden Hof von Wurth hochwirtschaften zu lassen und ihn ihm dann wieder zu entreißen. Gleichzeitig spielt aber noch etwas anderes eine wichtige Rolle: Wurth war kein NSDAP-Mitglied, im Gegenteil. Er hatte sich schon früh klar gegen Hitler positioniert. Müller hingegen war Parteimitglied, ein "alter Kämpfer" und Wurth äußerte nach dem Krieg, dass Müller Gertrud van Calker helfen wollte, den Hof zu übernehmen. Sie hat ihn ja dann auch ersteigert.

Die Nachbarin aus Deinhofen.

Ja, und Wurths große Widersacherin., sie hatte schon länger ein Auge auf den Reithof geworfen. Während Wurth aus einfachen bäuerlichen Verhältnissen stammte, war van Calker die Tochter eines damals berühmten Rechtsprofessors und Großgrundbesitzerin. Die Familie van Calker stand der Ideologie des NS-Regimes sehr nah.

Geschichte des Nationalsozialismus: Daniel Wurth (links) und seine Widersacherin, Gertrud von Calker (rechts). Die beiden blieben nahezu ihr gesamtes Leben lang Feinde.

Daniel Wurth (links) und seine Widersacherin, Gertrud von Calker (rechts). Die beiden blieben nahezu ihr gesamtes Leben lang Feinde.

(Foto: privat)

Wie reagierte Wurth auf die Zwangsversteigerung?

Er wehrte sich mit Händen und Füßen! Er ließ Gutachten erstellen, zog vor Gericht, ging in Berufung. Es ging schließlich um seine Existenz. Allerdings hatte er mächtige Feinde.

Neben Müller und van Calker?

Allerdings. Wurth hatte sich darauf berufen, "bauern- und erbhoffähig" zu sein, was nach einem damaligen Gesetz bedeutet hätte, dass sein Hof nicht versteigert hätte werden dürfen. Der Leiter der Rechtsabteilung der Landesbauernschaft, Dr. Karl Mühlbauer, setzte jedoch alles daran, ihm die Bauernfähigkeit abzusprechen. Mühlbauer war mit den van Calkers gut bekannt, er ging in ihrem Gut in Deinhofen ein und aus und wollte ihnen vermutlich helfen, den Wurth-Hof zu übernehmen. Dafür setzte er Zeugen unter Druck, erstellte einseitige Berichte und hinterging sogar seinen Chef, der auf Wurths Seite stand. Am Ende wurde Wurth die Bauernfähigkeit abgesprochen, was ein schreiendes Unrecht darstellt.

Was geschah dann mit den Wurths?

Eine Weile konnten sie den Hof noch bewirtschaften, wurden dabei aber bereits von den Nazis drangsaliert, so zum Beispiel von Fritz Ortmann, leitender Beamter im Landratsamt Ebersberg. Der hetzte ihm die Polizei auf den Hals, weil Wurth angeblich nicht arbeitete. Außerdem wurde Wurth denunziert, er habe es polnischen Arbeitern auf seinem Gut erlaubt, ausländische Radiosender anzuhören. Das war ein schwerwiegender Vorwurf, sogenannte "Rundfunkverbrecher" galten als Volksverräter und konnten mit dem Tode bestraft werden. Wurth kam aber noch einmal mit einem blauen Auge davon. Man weiß nicht, wer die Anzeige aufgegeben hatte, aller Wahrscheinlichkeit nach war es van Calker - nachweisen kann man ihr allerdings nichts.

Geschichte des Nationalsozialismus: Jemand hatte Wurth als "Rundfunkverbrecher" denunziert - das konnte mit dem Tode bestraft werden.

Jemand hatte Wurth als "Rundfunkverbrecher" denunziert - das konnte mit dem Tode bestraft werden.

(Foto: privat)

Schließlich wurde Wurth ein Bauer ohne Hof.

Nach der Zwangsräumung wurden die Wurths in Moosach in eine winzige Wohnung einquartiert, Daniel Wurth selbst fand Arbeit als Rechnungsführer in einem Lazarett. Nach dem Krieg wurde er zwei Jahre arbeitslos, das war eine Zeit der großen Not für ihn und seine Familie. Er fand zwar für ein paar Jahre Arbeit bei den von der US-amerikanischen Besatzungsmacht veranlassten Spruchkammern, doch das brachte ihm langfristig auch nur Probleme.

Inwiefern?

Nun, die Spruchkammern waren für die Entnazifizierung der Bevölkerung zuständig und insofern bei der Bevölkerung extrem unbeliebt - wie auch alle, die für sie arbeiteten. Über mehrere Jahre nach seiner Anstellung dort versuchte Wurth dann, eine Kompensation zu erhalten, da er keine Arbeit fand - überall wurde ihm als vermeintlichem Verräter die Tür vor der Nase zugeschlagen. Doch als einfacher Kurier erhielt er nichts, was bitter gewesen sein muss.

Was ist mit dem Hof? Konnte er ihn nicht zurückverlangen?

Auch das hat Wurth 1948 versucht, er berief sich dafür auf ein Gesetz der Militärregierung. Allerdings wurde Wurths Antrag auf Wiedergutmachung abgeschmettert - aufgrund einer juristischen Formalie. Sein Antrag sei nicht im Einklang mit einem neuen Gesetz, aber das hatte es zur Zeit seiner Antragstellung noch gar nicht gegeben! Danach gab Wurth auf, er starb 4 Jahre später, 1958, mit 73 Jahren. Gertrud von Calker überlebte ihn nur um ein Jahr, beide liegen in Moosach begraben.

Was ist mit dem Hof passiert?

Kurz vor ihrem Tod heiratete van Calker ihren Gutsverwalter, der ihn schließlich auf das Betreiben seiner neuen Ehefrau verkaufte.

Wie bewerten Sie das Verhalten von Frau van Calker?

Es ist schwierig ihr ein Fehlverhalten direkt nachzuweisen. Sie stand der NS-Ideologie sehr nahe, auch wenn eine Parteimitgliedschaft nicht einwandfrei belegt werden kann. Sie hat sicher mit Parteigenossen zu ihrem Vorteil gekungelt. Sie hat vermutlich getrickst und manipuliert, aber es ist nicht klar, ob sie die Grenze zum Rechtsbruch überschritten hat. Jedenfalls wirkt sie in dieser schlimmen Geschichte alles andere als sympathisch. Gleichzeitig gibt es in Moosach freilich auch eine andere Erinnerung, es ist sogar eine Straße nach ihr benannt: Sie hat nach dem Krieg der Gemeinde sehr günstig ein Grundstück verkauft, auf dem sich schließlich Vertriebene angesiedelt haben.

Auch wenn sich Historiker dagegen verwehren: Gibt es eine Moral von der Geschicht?

Friedrich Schiller fällt mir ein, "Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben...". Natürlich sollten wir wachsam sein, dass nie mehr eine politische Bewegung sich so über Recht und Menschlichkeit hinwegsetzt. Doch ich finde auch schlicht spannend, wenn auch erschreckend, wie Wurth nach dem Krieg in den Mühlen der Justiz und Bürokratie zermahlen wurde, das ist tragisch. Und schließlich ist da auch eine ästhetische Pointe: Wenn man auf dem Reithof steht, hat man eine wunderschöne Aussicht über Moosach und die angrenzende Natur. Es wirkt befremdlich, dass in so einer idyllischen Landschaft derart schlimme Dinge vonstatten gegangen sind.

Peter Maicher wird am Mittwoch, 19. Oktober, von 19 Uhr an einen Vortrag über das Leben des Daniel Wurth und die Lebensumstände im Nationalsozialismus im Moosacher Pfarrheim, Glonnerstraße 3, halten. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.

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