Perspektiven im Landkreis Ebersberg:"Die beste Zukunftsinvestition"

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So vielfältig wie der Branchenmix im Landkreis sind die noch vorhandenen Möglichkeiten für eine Ausbildung. Mehr als 300 Plätze sind noch frei, soziale, technische und naturwissenschaftliche Berufe stehen zur Auswahl. Fünf Beispiele

Von Michaela Pelz

2020 - ein Horrorjahr für alle Schulabgänger im Landkreis Ebersberg? Einerseits ja, im Hinblick auf all die Absagen, Einschränkungen und geplatzten Reisepläne. Andererseits doch wieder nicht, denn: Für Kurzentschlossene gibt es noch Ausbildungsplätze. 303 waren es Ende Juli laut Agentur für Arbeit Ebersberg. Leiterin Inge Boockmann sieht in der ungebrochenen Bereitschaft zur Investition in die Ausbildung von Jugendlichen, eine Win-Win-Situation für alle: "Fachkräfte sind - mit oder ohne Corona-Krise - gefragter denn je."

Auch Sonja Ziegltrum-Teubner, Vorsitzende des IHK-Regionalausschusses Ebersberg, wo in 240 Betrieben aus Industrie, Handel und Dienstleistung rund 880 Azubis ausgebildet werden, sieht das ähnlich. Trotz einer "noch nie dagewesenen Zeit" schaue man nach vorn. "Für die Unternehmen sind Azubis die beste Zukunftsinvestition", sagt sie. Kreishandwerker Johann Schwaiger wiederum ermuntert alle Schüler, die restliche Ferienzeit für Schnupperpraktika zu nutzen. Dank der Berufsorientierung mit Potenzialanalyse für alle Mittel- und Förderschulen, die der Landkreis Ebersberg vor zehn Jahren als erster eingeführt habe, sei die Zahl der Auszubildenden zwar stetig gestiegen. Derzeit verzeichne man etwa 650 bis 700 Lehrlingsverträge. Dabei sei die Abbrecherquote sensationell niedrig: "Sie liegt bei fünf Prozent - wenn überhaupt." Dennoch gäbe es auch in den sieben angeschlossenen Innungen noch viele freie Plätze.

Wohin eine solch berufliche Reise nun konkret gehen könnte, wollte die SZ Ebersberg wissen und hat sich im Landkreis umgesehen. Gefunden hat sie fünf ganz unterschiedliche Firmen und Einrichtungen, denen eines gemein ist: Sie bilden aus und würden eventuell sogar dieses Jahr noch jemanden nehmen. Kontaktaufnahme also ausdrücklich erwünscht.

Nicht zu vergessen: Eine abgeschlossene Ausbildung ist mit der Fachhochschulreife gleichzusetzen, packt man dann noch den Meister drauf, kann man sogar Medizin studieren. Weitere Informationen zu freien Stellen: www.ihk-lehrstellenboerse.de und http://www.khw-ebe.de

Metallbauerin

Julia Baldermann hat gerade mit ihrer Lehre als Fachkraft für Metalltechnik, Fachrichtung Konstruktion, angefangen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Wie ein kleines Dorf prangt das Berufsförderungswerk St. Zeno oben auf dem Berg über Alt-Kirchseeon. Circa 120 junge Menschen mit Beeinträchtigung können in dem Campus (Werkstätten, Berufsschule und Internat) in 24 verschiedenen Gewerken ausgebildet werden. Wie Julia Baldermann. Mitte August hat die 20-Jährige ihr erstes Lehrjahr als "Fachkraft für Metalltechnik/Konstruktion" begonnen, nachdem sie im Lauf eines Jahres bei einer berufsvorbereitenden Maßnahme verschiedene Einsatzgebiete kennengelernt hat. Doch weder bei den Raumausstattern, Medientechnologen oder Lageristen gefiel es der Baldhamerin so gut wie hier, wo etwa Vordächer, Fenstergitter oder Treppengeländer entstehen. Den Platz in St. Zeno hat ihr die Agentur für Arbeit vermittelt, denn Julia Baldermann leidet unter Epilepsie. Das lässt viele Betriebe zurückschrecken, fürchten sie doch Anfälle durch das flackernde Licht beim Schweißen. Baldermanns Chef, Aus- und Weiterbildungspädagoge Ralph Fischer, sieht dank Spezialhelmen darin kein Problem. Dem Metallbaumeister war gleich klar, dass die junge Frau das für diesen Beruf nötige handwerkliche Geschick sowie die überdurchschnittlich ausgeprägte Vorstellungskraft besitzt, die es zur Umsetzung der Kundenwünsche braucht. Außerdem kann sie hervorragend zeichnen: Der Entwurf für das Sonnen-Motiv der 2,50 auf 1,50 Meter großen Treppenhausabsturzsicherung, die am nächsten Tag auf einer Baustelle montiert werden soll, stammt von ihr. Eine Männerdomäne ist der Beruf längst auch nicht mehr - für schweres Heben gibt es Krananlagen oder man arbeitet ohnehin im Team. "Hier lernt man fürs Leben und diese Einrichtung gibt mir sehr viel Hoffnung," so Baldermann. Das gilt für alle: Nach Ende der Ausbildung in St. Zeno, bei intensiver Betreuung und enger Verzahnung mit der Berufsschule, stehen den Absolventen im Arbeitsmarkt alle Wege offen. Noch sind in vielen Bereichen Plätze frei. Weitere Informationen: www.bbw-kirchseeon.de

Bestattungsfachkraft

Kevin Weyers hat sich nach einem Praktikum für eine Ausbildung als Bestatter entschieden. (Foto: Christian Endt)

Wer sich unter einer angehenden Bestattungsfachkraft einen griesgrämigen Stubenhocker vorstellt, der hat Kevin Weyers noch nicht getroffen. Denn der sympathische Baldhamer mit dem offenen Gesicht ließ sich nach der Mittleren Reife erst einmal zwei Jahre lang in Asien und Australien den Wind um die Nase wehen, bevor er sich für eine Ausbildung im Grafinger Bestattungsunternehmen Imhoff entschied. Zwar hatte er einige Jahre zuvor dort bereits ein Praktikum gemacht, die tatsächliche Ausführung sämtlicher anfallenden Arbeiten - von der Abholung der Verstorbenen über deren Versorgung bis hin zur tatsächlichen Beerdigung - war dennoch ein großer Unterschied. "Man braucht ein stabiles Fundament, um die teilweise doch unschönen Dinge emotional zu verkraften", sagt Chefin Angela Imhoff. Sie ist eine der ganz wenigen Inhaberinnen eines solchen Betriebes, den sie zusammen mit ihrer Tochter Annabelle, Bestattermeisterin, führt. Der Umgang mit den traurigen Aspekten seiner Arbeit gelingt dem schlanken 22-Jährigen nach eigenem Bekunden sehr gut, "weil wir hier ganz viel reden und man sich auch in der Schule damit auseinandersetzt".

Die Berufsschule befindet sich in Bad Kissingen, die Verteilung zwischen männlichen und weiblichen Azubis in den vier Klassen pro Jahrgang ist 50:50, schätzt Weyers. Eine gewisse körperliche Fitness werde allerdings, zusätzlich zu Fingerspitzengefühl, schon benötigt, betont Imhoff: Ob man nun einen 120 Kilogramm schweren Leichnam aus dem dritten Stock nach unten befördern oder ein Grab mit Schaufel und Spaten öffnen müsse, wenn dort kein Platz für den Bagger sei. Der junge Azubi schätzt auch diesen Teil der Arbeit, ebenso wie das Waschen und Ankleiden der Toten. Sogar der Bereitschaftsdienst bereitet ihm keine Probleme: Nach dem Anruf der Angehörigen muss ein Verstorbener innerhalb weniger Stunden abgeholt werden. Das kann auch mitten in der Nacht sein. Oder am Wochenende. Deswegen heißt es für den Fahrer: nüchtern bleiben! Ausgehen mit Freunden kann er aber natürlich trotzdem. Bestattungen Imhoff würde noch einen weiteren Azubi nehmen - auch Praktika sind möglich. Weitere Informationen: www.bestattungen-imhoff.de

Maschinenmechatroniker

Der richtige Umgang mit ganz schwerem Gerät ist Alltag für Linus Vaupel und Florian Altun. (Foto: Christian Endt)

Das Ding ist laut - ziemlich laut. Klar, mit einem normalen Akkuschrauber fixiert man keine 250 Kilo schweren Zwillingsreifen, da braucht es schon einen Luftschrauber mit ordentlich Wumms. Wie überhaupt alles in dieser gut zehn Meter hohen Halle in Parsdorf ein bisschen überdimensioniert ist. Denn hier, an einem von sieben Standorten der Robert Aebi GmbH, werden riesige Baumaschinen für Kunden konfiguriert, repariert und gewartet. Unter anderem von Florian Altun, zweites, und Linus Vaupel, drittes Lehrjahr. Der Münchner Altun hat sich nach vier Semestern Landschaftsbau-Studium für diesen Beruf entschieden, auch sein Kollege aus Erding, früher Schichtleiter in einer Hotelbar, ist Berufsumsteiger.

Doch beim offiziellen Volvo-Vertragspartner und Experten für Bagger, Radlader, Dumper und Straßenbaumaschinen heuern nicht nur Mittzwanziger wie die beiden an, sondern auch Schülerinnen und Schüler aller Schulformen direkt nach ihrem Abschluss. "Wir befinden uns in einem ständig wachsenden Markt," erklärt Niederlassungsleiter Danijel Babalj. Darum sei immer Bedarf an Nachwuchs, der allerdings auch bereit sein müsse, sich die Hände schmutzig zu machen und mit verschiedenen Witterungsbedingungen klarzukommen. Denn 90 Prozent der Techniker arbeiteten im Außendienst, direkt dort, wo die Maschinen stehen, in Kiesgruben oder auf Baustellen, bei Schnee, Sturm oder 40 Grad. Wie anspruchsvoll der Umgang mit komplexer Elektronik gleichzeitig ist, macht Servicekoordinator Thomas Kram deutlich: "Jeder Monteur hat einen Laptop für das Auslesen und Programmieren der Maschinen." Deren Preis reicht von 20 000 Euro bis zu einer Million. Wer also Lust hat, selbst einmal mit einem solchen knapp 90 Tonnen schweren Abbruchbagger umzugehen, sollte sich hier melden. Weitere Informationen: www.robert-aebi.de

Heilerziehungspfleger

Wie Menschen mit Behinderung geholfen werden kann, lernen Josef Eben und Andu Rajaonson. (Foto: Christian Endt)

Schattenspendende Bäume am Ufer des idyllischen Weihers, Pferde, die sich neugierig den Spaziergängern zuwenden, unweit davon Wohngebäude, Schule, Tages-, Förder- und Werkstätten, ein Laden und das Café Wunderbar. In diesem Umfeld hier im Einrichtungsverbund Steinhöring wirken Josef Eben und Andu Rajaonson. Der Aßlinger, studierter Betriebswirt, hat sein erstes Ausbildungsjahr als Heilerziehungspfleger hinter sich und könnte sich keinen schöneren Bereich als "seine" Außenwohngruppe vorstellen: "Eine ganz andere Welt als im Büro, es wird viel besser miteinander umgegangen." Seine Kollegin kam vor anderthalb Jahren aus Madagaskar, wo sie Kommunikationswissenschaften studiert hatte. Sie wird im September ihre Ausbildung in der Förderstätte beginnen, wo sie bereits im Rahmen des Bufdi-Programms eingesetzt war. Die dortige Einrichtungsleiterin Sabrina Wörz ist voll des Lobes für ihre Mitarbeiterin: "Die Zusammenarbeit funktioniert unfassbar gut. Andu hat eine ganz besondere Beziehung zu den Teilnehmern unserer Arbeits- und Bildungsangebote, von denen viele nicht lautsprachlich sprechen."

Hohes Einfühlungsvermögen, körperliche und geistige Belastbarkeit, vor allem aber eine wertschätzende Haltung gegenüber den Menschen mit Behinderung braucht, wer hier arbeiten will. In den vielen unterschiedlichen Bereichen des Einrichtungsverbunds finden sich dafür dann auch vielfältige Einsatzmöglichkeiten. Allerdings: Voraussetzung für die Ausbildung sind zwei Jahre einschlägiger Berufserfahrung. Diese kann über den Bundesfreiwilligendienst oder als Betreuungshelfer abgedeckt werden, wofür keine Vorkenntnisse nötig sind. Während dieser Kennenlernphase lässt sich auch überprüfen, inwieweit Betrieb, Bewerber und Aufgabe zusammenpassen. Bei den beiden, die gerade mit strahlenden Augen und voller Wärme von ihrer Arbeit berichtet haben, besteht daran kein Zweifel. Wer ebenfalls eine sinnstiftende Tätigkeit sucht: Bufdi und Vorpraktika werden laufend angeboten. Weitere Informationen: www.evs-steinhoering.de

Chemielaborant

Ayman Kodsi ist fast mit seiner Ausbildung zum Chemielaborant fertig. (Foto: Eurofins/oh)

Die Stadt Ebersberg hat zahlreiche interessante Arbeitgeber zu bieten - dass dazu seit 1990 mit Eurofins aber auch ein in 45 Ländern agierendes Biotechnologieunternehmen gehört, war bis vor Kurzem wohl den wenigsten bewusst. Die Covid-19-Pandemie hat das geändert. Denn zu den bisherigen umfangreichen Leistungen für Forschung und Industrie sind die DNA-Experten nun zusätzlich rund um die Uhr mit Tests auf das Coronavirus beschäftigt, zu den Kunden gehört auch der internationale Motorsport. Dafür sind zahlreiche Mitarbeiter im Einsatz. Die Aufgabenbereiche der beiden Eurofins Divisionen Genomics und Forensics am Standort Ebersberg beinhalten unter anderem Auftragssequenzierung, Auftragssynthese von DNA, Lebens- und Futtermitteltests und Forensik, wofür ebenfalls ausgebildetes Fachpersonal benötigt wird.

Darum bildet das Unternehmen neben Industriekaufleuten, Mechatronikern und Fachinformatikern auch Biologie- und Chemielaboranten aus. Wie Ayman Kodsi. Der 28-jährige hatte vor seiner Flucht aus Syrien im Jahr 2015 bereits drei Semester Physik studiert. Nun freut er sich, "in einem der modernsten Labore in Europa mit High-Tech-Robotern" zu arbeiten, wie er sie "vorher nur aus Filmen kannte". Die Grundvoraussetzungen für den Beruf - neben Selbständigkeit und Verantwortungsbewusstsein auch gute Kenntnisse in Naturwissenschaften und Mathematik - brachte er zwar mit, sein Start war dennoch holprig. "Vor allem in der Berufsschule: Ich kannte das deutsche Schulsystem ja nicht und viele sprachen Dialekt", erklärt der Syrer. Ausbilderin Birgit Schmilas, Agraringenieurin für Versuchswesen, meint dazu: "Aber Ayman hat immer für sein Ziel gekämpft und von Anfang an alle angebotenen Hilfen genutzt, wie etwa unsere wöchentlichen Lernzirkel." Das Ergebnis kann sich sehen lassen: In der Zwischenprüfung gab es eine Zwei. Mittlerweile hat der Grafinger das dritte Ausbildungsjahr abgeschlossen, im Dezember ist er fertig. Welche Abteilung ihm am besten gefällt? "DNA hinterlässt überall ihre Spuren, deswegen fasziniert mich die Forensik mit der Tatort-Spurenanalyse." Kodsis künftige Azubi-Kollegen hat Eurofins Genomics und Forensics für 2020 zwar schon gefunden, aber Praktikanten und Aushilfen werden nach wie vor gesucht - anschließende Bewerbung als Auszubildende nicht ausgeschlossen. Weitere Informationen: www.eurofinsgenomics.eu

© SZ vom 21.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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