Parkplatz-Problem:Zu klein, zu voll, zu schäbig

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Die Kombination aus Fahrrad und öffentlichem Nahverkehr gilt als umweltfreundlich und gesund. Nur schade, dass die wenigsten Bahnhöfe im Landkreis radlergerecht sind. Ein Überblick

Von Viktoria Spinrad

Wer sein Velo in Vaterstetten abstellt, besitzt entweder ein bescheidenes Radl, ein Panzerschloss oder ein ausgeprägtes Vertrauen in Petrus und die Menschheit. Mindestens 72 Fahrräder wurden im vergangenen Jahr in Vaterstetten gestohlen, fast die Hälfte davon am Radlstellplatz des S-Bahnhofs, 14 am S-Bahnhof Baldham. Zum Vergleich: In Markt Schwaben waren es 24, in Zorneding zwölf entwendete und als solche gemeldete Räder.

Diebstahl, Beschädigungen, Graffiti - wenn es nach dem Vaterstettener Gemeinderat geht, sollen die Tage des Kleinvandalismus an den Baldhamer und Vaterstettener S-Bahnhöfen jetzt gezählt sein. Verschiedene Lösungen sind im Rathaus im Gespräch. So zum Beispiel eine Vollumzäunung des 30 auf acht Meter großen Areals in Baldham, Kostenpunkt: 8 470 Euro. Mit Tor, Schließanlage und Zutrittskarten beliefe sich diese Fort-Knox-Variante auf fast 14 000 Euro. Die Alternative wäre eine teilweise Umzäunung, bei der zum Beispiel nur fünf der 30 Abstellmeter als Hochsicherheitstrakt für Fahrräder umzäunt würden, Kostenpunkt: fast 7 700 Euro, ebenfalls ohne Unterhaltskosten, versteht sich.

In einer kommenden Sitzung wollen die Gemeinderäte endlich über die verschiedenen Varianten für Baldham - also Vollumzäunung, Teilumzäunung oder Doppelstockgaragen abstimmen.

Bis eine Lösung gefunden ist, können die Räder am Baldhamer S-Bahnhof unter der etwas schmalen Überdachung noch verwegen vor sich hinrosten, was zumindest vor dem Hintergrund der besprühten Lärmschutzwand ein durchaus stimmiges Bild ergibt. Aber nicht nur die Radlständer in Vaterstetten, sondern auch die sogenannten Abstellmöglichkeiten in den anderen Gemeinden ächzen, rosten, gammeln. Zeit für einen fachkundigen Blick auf die mal modernen, mal anachronistischen, aber immer wundersamen Radlständer in unserem Landkreis.

Kirchseeon: Der Anarchische

Es ist 14.29 Uhr und regnet, irgendwo im Hintergrund wummert deutscher Rap. Sechs Jugendliche nutzen die Ecke des überdachten Abschnitts als Unterschlupf und lassen die Bierflaschen kreisen. Zerbrochene Glasflaschen und leere Chipstüten säumen die recht geräumige und trotzdem überfüllte Anlage in Kirchseeon. Auch die umliegenden Wiesen, Schilder und Anschlagtafeln dienen als erweiterte Abstellmöglichkeit, die prompt auch ein Bub als solche nutzt. Vom rostigen Metalldach auf der linken Seite hängt ein Küchentuch hinunter, das vielleicht irgendwann mal weiß war. Die Werbung einer Burgerkette prangt an den Gleisen: "Royal für alle". Ein bisschen königliche Aufwertung könnte die etwas armselige Anlage sicherlich gut verkraften.

Ebersberg: Der Geschmeidige

Wer in der Kreisstadt zur Bahn radelt, findet dort gepflegte und großzügige Abstellplätze vor . Darum werden die Radlständer von den Ebersbergern auch gut genutzt. (Foto: Photographie Peter Hinz-Rosin)

Rote Rahmen mit schwarzen Dächern, jede Einheit mit einer Lichtsäule ausgestattet: Die moderne Erscheinung der Ebersberger Radlständer fügt sich geschmeidig in die Farbkombination der S-Bahn-Züge ein. An einem ebenso harmonischen, weil sonnigen Nachmittag ist die Anlage voll, aber nicht überfüllt. Sowohl der Hauptteil als auch die älteren Ständer mit Wellblechdach weiter östlich sind sauber. Entweder werden kaum Fahrräder beschädigt, oder die Stadt hat etwaige Fahrradskelette schnell entfernt: Es finden sich nur ein Fahrradgerippe und ein fehlender Sattel - nicht schlecht im landkreisweiten Vergleich.

Markt Schwaben: Der Beunruhigende

Überfüllt: Stellplätze am Bahnhof Markt Schwaben. (Foto: Photographie Peter Hinz-Rosin)

"Ich weiß nicht wo", sagt ein Teenager zu seinem Freund, und fischt sein Radl am späten Nachmittag dann doch aus der Anlage in Markt Schwaben heraus. Wo man sein Fahrrad denn noch sicher abstellen könne, fragt ein anderer, sein Mountainbike sei vor ein paar Wochen vollkommen auseinandergenommen worden. Ob man von der Gemeinde sei und dort etwas ausrichten könnte? Eine ältere Frau schließt ihr Radl ab und will die Straße überqueren, dreht sich dann noch einmal um, als denke sie: Hoffentlich geht das gut. Da, wo sich die Räder aus Platzmangel gegen den Bambuszaun zum anliegenden Garten kuscheln und der Boden dem Plastikmüll eine Heimat bietet, gibt es dann aber doch einen nennenswerten Pluspunkt: Schräg gegenüber befindet sich eine ziemlich passable Dönerbude.

Poing: Der Hochsichere

In Poing gibt es einen Hochsicherheitsradelstellplatz inklusive Videoüberwachung. (Foto: Photographie Peter Hinz-Rosin)

"Videoüberwacht", steht auf einem Sticker an der Wand des Parkhaus-Erdgeschosses, am Gitter ranken Pflänzchen entlang. Auf einem Schild daneben verkündet die Gemeinde die Einstellbedingungen der Bike + Ride-Anlage, gleich neun an der Zahl. Die Türen stehen offen: Drinnen so viel Platz und so wenig Dreck wie an keinem anderen S-Bahn Fahrradständer im Landkreis, keine Spuren jugendlicher Geselligkeit. Ein Dorado für Räder, dem die Radlbesitzer erkennbar auch ihre teureren Modelle anvertrauen. Wieso parken hier eigentlich nicht viel mehr radelnde Poinger? Vielleicht liegt's an den vielen Regeln - die Anlage ist nur für MVV-Fahrgäste, und wer die Höchstparkdauer von 24 Stunden überschreitet, dem droht ein Bußgeld von 30 bis 500 Euro und der Einzug des Fahrrads durch die Gemeinde als Pfand. Ganz schön humorlos, dieser Hochsicherheits-Radltrakt.

Vaterstetten: Der Schnuckelige

Am Bahnhof Vaterstetten sind die Stellplätze überfüllt, die Fahrräder verteilen sich in der Umgebung. (Foto: Photographie Peter Hinz-Rosin)

Zwei Jugendliche stellen ihre Räder resigniert in zweiter Reihe ab und ziehen von dannen. Wo kein Platz ist, wird man eben kreativ: Dicht an dicht stehen die Fahrräder hier, immerhin haben sie dabei ein gescheites Dach über dem Lenker. Trotz der offensichtlichen Überfüllung hat der Vaterstettener Fahrradständer etwas Behagliches: Der Boden so sauber, als wäre er gerade erst gekehrt worden, ein paar Wohnungsanzeigen kleben auf den Holzpfeilern, keine Indizien von Vandalismus. Auch schickere Räder schmücken den recht unübersichtlichen Radlhaufen- die Vaterstettener vertrauen ihrem viel zu kleinen Radlhäuschen.

Grafing-Bahnhof: Der Geplünderte

In Grafing-Bahnhof kommt man offenbar besser mit dem Roller als mit dem Fahrrad zum Zug. (Foto: Photographie Peter Hinz-Rosin)

Obwohl den Fahrradständern in Grafing recht viel Platz eingeräumt ist, herrschen hier eher die Vespas als die Fahrräder. Und da, wo die Räder dicht an dicht stehen, findet sich ein lila Gerippe von einem Fahrrad, von dem nur noch der Rahmen übrig geblieben ist. Ein scheinbar herrenloses dunkelblaues Rad liegt auf dem Grünstreifen zum Autoparkplatz. Ein paar Eilige haben ihre Räder zwischen Lift und WC abgestellt. "Ich dachte, hier würde es stinken", bemerkt eine Frau, als sie in den Lift steigt. Die Ausstattung am Grafinger Stellplatz ist letzten Endes doch für eine Überraschung gut.

Grafing Stadt: Der Fortschrittliche

Am Grafinger Stadtbahnhof kann man kostenlos E-Bikes betanken - wenn die Tankstelle erreichbar ist. (Foto: Photographie Peter Hinz-Rosin)

Der einzige Radlständer mit Glasüberdachung ist voll, aber nicht überfüllt, und trumpft mit einer Stromtankstelle für Elektrofahrräder auf. Auch wenn die Räder, die auf den vier dazugehörigen Stellplätzen abgestellt sind, wenig von Elektrorädern haben: Eines von ihnen ist ein kleines, pinkes, schimmerndes Kinderrad. Immerhin hat es noch einen Sattel, viele der anderen Räder scheinen von einem Satteljäger malträtiert wurden zu sein. Die "Hercules"-Buchstaben auf dem Rahmen eines weiteren Radels lassen sich nur mit Fantasie entziffern. Das Fahrrad ist so rostig, es erscheint wie ein Kunstprojekt aus einem vergangenen Jahrhundert.

Baldham: Der Verwegene

Am Bahnhof in Baldham stellt man sein Fahrrad eher ungern ab, zu schäbig wirkt die Hütte, wo sich außerdem gelegentlich Überreste manch nächtlichen Umtrunks finden. (Foto: Christian Endt)

Selbst an einem Regentag drängen sich die Räder der Baldhamer in klaustrophobischer Manier dicht an dicht. Eher dicht als nüchtern scheint auch der ein oder andere Besucher des Areals gewesen zu sein: Hier und da stehen Bierflaschen rum, Kreative haben sich auf den Wänden in allen Farben verewigt. Außenstände ergänzen die Radlbatterie parallel zur Karl-Böhm-Straße, ein älterer Herr zuppelt sein Fahrrad aus dem Radlhaufen. Ein eher trister Anblick, diese Anlage, die optisch eher zu verwegenen Nachttreffen als zum Abstellen seines lieb gewonnenen Radls einlädt.

Zorneding: Der Historische

Die Pendler kommen mit dem Rad, das Graffitimännchen ist mit dem Roller unterwegs am Bahnhof in Zorneding. (Foto: Photographie Peter Hinz-Rosin)

Im Busch die Fahrradleichen, unter dem einigermaßen schützenden Wellblechdach die Radlkuriositäten: Ein bunt-gestreiftes Fahrrad im Pipi-Langstrumpf-Stil schmückt die Anlage, auch ein altes Modell von Miele mit einer Obstkiste auf dem Gepäckträger verbreitet Atmosphäre. Es ist zwar eng, aber nicht so eng wie in Vaterstetten, und abgesehen von ein paar Papierschnipseln lassen sich keine Hinweise auf wilde Bahnhofspartys aufspüren. Das Highlight: Die quirlige Lärmschutzwand, die mit Symbolbildern der mehr als 1200-jährigen Ortsgeschichte bemalt und beklebt ist. Fast so bunt wie das Pippi-Langstrumpf-Fahrrad.

Eglharting: Der Versteckte

Ich hab noch ein Fahrrad in ... nein, nicht in Berlin zur Mauerzeit, sondern am Eglhartinger Bahnhof. (Foto: Photographie Peter Hinz-Rosin)

Platz ist hier ausreichend, dafür muss man den Ständer gegenüber des Bärenstüberls auch erst einmal finden. Wer sich zu den glücklichen Findern zählen darf, trifft auf ein Stillleben von einem Radlplatz: Neben einer tristen, grauen Lärmschutzmauer steht ein breites Metalldach, das ein paar wenige Drahtesel unter seiner Obhut versammelt. Nur ein einziges auseinandergenommenes Fahrradgerippe und ein ziemlich sauberer Zustand lassen den Ständer im landkreisweiten Vergleich dafür recht gut dastehen. Und wer abseits der Hauptstraße wandelt auf diesem Weg, der auch Hauptstraße heißt, und Verwirrung verspürt oder gar Verängstigung in der Dunkelheit, der kann ja einfach ins Bärenstüberl einkehren.

© SZ vom 23.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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