Elf Geschwister, neun Kinder und knapp acht höchst bewegte Jahrzehnte - das ist die Bilanz des Lebens von Julie, genannt Julchen, geborene Hausner. Aus diesem Stoff hat ihr Sohn Otto Hartl, ein Grafinger, nun einen Roman gemacht und ihn im Selbstverlag veröffentlicht.
Das Schreiben ist nichts Neues für den Mittsiebziger, der damit schon als Jugendlicher begann. Einfach weil man diese Beschäftigung - im Gegensatz zu seinem in der Schule entdeckten Maltalent - flexibel und unabhängig überall auf der Welt ausüben könne. Zu seinem Beruf machte Otto Hartl das Schreiben dennoch nicht, wurde stattdessen erst Bankkaufmann und Börsenmakler, später Softwareentwickler und Vertriebsprofi bei Unternehmen wie Siemens, Microsoft, IBM und Apple. Gleichzeitig verfasste er als freier Journalist Texte zu den Themen Politik, Kultur, Sport und Vereine, eine Tätigkeit, die er ab 2010 zu einem "Rentnerhobby" ausbaute, für das er ab dann fast täglich im Landkreis Ebersberg unterwegs war. Bis ihn nun die diversen Lockdowns in seinem Tatendrang ausbremsten. So kam es, dass Hartl sich an die bewegenden Gespräche mit der eigenen Mutter kurz vor deren Lebensende erinnerte - und die Idee eines Romans entstand.
Aus diesen Gesprächen mit der Mutter, kombiniert mit den eigenen Kindheitserinnerungen und dem Stöbern in alten Fotoalben, entstand "Julchens Geheimnis", eine geschmeidige Verbindung zwischen Dichtung und Wahrheit, historischen und erfundenen Ereignissen. Untertitel: "Das bewegende Schicksal einer Frau im 20.Jahrhundert". Und am Ende der rund 360 Seiten kommt tatsächlich etwas ans Licht, das fast 60 Jahre im Verborgenen lag. Allerdings, so viel sei verraten: Die Leserschaft von Otto Hartl erwartet keine krimihafte, spektakuläre Enthüllung, sondern vielmehr ein weiterer Mosaikstein, der das Bild einer beeindruckend starken Frau abrundet, die Zeit ihres Lebens unbeirrt immer das Beste aus jeder Situation machte - ungeachtet der widrigen politischen Umstände und aller persönlichen Schicksalsschläge.
Zum Auftakt des Buches darf die zu diesem Zeitpunkt knapp 20-jährige Heldin aus dem fiktiven Mauerkirchen im niederbayerischen Rottal mit der Heugabel Geld in einen Korb schaufeln. Weder akuter Reichtum, noch kriminelle Geschäfte sind der Auslöser, es ist vielmehr der Zeitpunkt: Man schreibt das Jahr 1923 und schon ein Laib Brot kostet kurz vor der Währungsreform eine Milliarde Mark, weswegen sich im elterlichen Gemischtwarenhandel die Banknotenlappen auf dem Boden stapeln.
Diesen Laden gab es wirklich, wie auch jenen zweiten, den das Julchen im Buch und in Wirklichkeit, erst zusammen mit ihrem Gatten, dann während dessen kriegsbedingter Abwesenheit allein, als tüchtige Geschäftsfrau im Erdgeschoss von Hartls Elternhaus führte, das die Großmutter väterlicherseits hatte erbauen lassen. Dort lebten ab Mitte der 40er Jahre auf engstem Raum bis zu 16 Personen, unter anderem die Oma und zwei ausgebombte Frauen aus München. Nicht nur habe seine Mutter unter den Bewohnern des eigenen Heims für Harmonie in jeder Lebenslage gesorgt, erzählt Hartl, sie sei auch im restlichen Dorf ob ihrer patenten Art gut gelitten und oft gerufen worden, etwa, wenn sich ein Bauer verletzt hatte.
Auch solche Episoden finden Eingang in den Roman, nebst allerlei tragischen Unglücken und Kriegserlebnissen. Sogar der Landkreis Ebersberg wird erwähnt, wiewohl die Geschichte im tiefsten Niederbayern spielt. 1939 nämlich wird Julies Ehemann Heinrich Oberaufseher in einem für polnische Gefangene errichteten Lager im Ebersberger Forst. Gefragt nach dem Wahrheitsgehalt bekräftigt Otto Hartl: "Das stimmt tatsächlich!" Der Vater, zu Kriegsbeginn bereits mit fünf Sprösslingen gesegnet, sei wegen "Kinderreichtums" vom Frontdienst verschont geblieben. Details über seinen Einsatz an der Sauschütt habe er allerdings später nie erzählt.
Auch bei einem weiteren Kapitel denkt man zunächst, das Ganze sei erfunden. Es geht um eine von Julies Töchtern, gerade mal ein Jahr alt, als sie aufgrund einer Polioerkrankung in die Schwabinger Kinderklinik eingeliefert wird. Kurze Zeit später kommt eine Rechnung über 10 000 Reichsmark, zu begleichen innerhalb von 14 Tagen, sonst müsse man das Kind "einer Sonderbehandlung" zuführen. Zum Glück kann dieses Schicksal abgewendet werden - Hartls Schwester darf leben. Dies bleibt jedoch nicht der einzige Moment, in dem sie dem Tod haarscharf entrinnt: Die mittlerweile in Poing lebende Frau erkrankt mit 80 Jahren an Corona, ist vier Wochen lang in der Klinik, wird beatmet. Nun geht es ihr wieder gut.
Ebenso wie Hartls andere noch lebende Schwester und sein Bruder - "vier von neun sind noch übrig" - hat sie durch Gespräche über ihre Erinnerungen zum Entstehen des Romans beigetragen. Entsprechend stolz sind die Verwandten, auch die Vertreterinnen und Vertreter der jüngeren Generation, die alle ein Buch bekommen haben. Manche Exemplare mussten dafür rund um die Welt geschickt werden, denn nicht nur stammen einige der Ehepartnerinnen und -partner von Julies Kindern aus China, Polen oder den Philippinen, ein Bruder ist auch in die USA ausgewandert. Vielleicht werden die in "Julchens Geheimnis" bereits kurz angerissenen Einzelschicksale dieser höchst internationalen Familie sogar Eingang in mögliche Fortsetzungsbände finden, wie Hartl andeutet.
Zunächst aber konzentriert er sich ganz auf sein erstes, aktuelles Buch, das er mit einem besonderen Extra versieht: Einige der im Buch abgedruckten Familienfotos (unter anderem: Mutter Julie als Kind, bei ihrer Hochzeit oder mit dem Autor selbst) liegen als Lesezeichen jedem Exemplar bei. Erhältlich ist der Roman in den örtlichen Buchhandlungen wie etwa bei Braeuer in Grafing oder per Internet. Am liebsten allerdings möchte Otto Hartl sein Werk, wenn es denn wieder Präsenzveranstaltungen geben kann, mit Lesungen selbst vorstellen und dabei ganz viel von seiner Mutter Julie, genannt Julchen, geborene Hausner, erzählen.