Weihnachten in den Partnerstädten:Von Bakalar bis Bûche de Noël

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Die Traditionen mögen sich unterscheiden, eines aber haben sie alle gemeinsam: Überall freuen sich die Menschen auf besonders gutes Essen

Von Alexandra Leuthner

Ein Hauch von Stockfisch liegt in der Luft. Nein, sagt Branka Schröder. Es ist mehr als ein Hauch. "Eine ganze Glocke von Stockfisch liegt über Dalmatien in der Vorweihnachtszeit." Wer schon einmal über einen Fischmarkt im Süden geschlendert ist, kann sich den Geruch vorstellen - so ähnlich muss das sein, nur noch ein bisschen intensiver. Kroaten wie Branka Schröder rümpfen aber keinesfalls die Nase. "Man muss damit aufgewachsen sein", sagt sie. Vielleicht ist das so - und die traditionelle Fastenspeise fühlt sich in kroatischen Nasen an wie Zimt und Vanille. Branka Schröder lebt seit 1990 in Deutschland, sie kam noch vor dem Jugoslawienkrieg hierher. Hier hat sie geheiratet, zog nach Vaterstetten und hat sich von ihrer Familie, die in der Heimat geblieben war, immer anhören müssen, sie sei "germanisiert" worden. Schröder nahm es nicht übel, "ich lebe gern in Deutschland". Als dann 1997 die Städtepartnerschaft zwischen Vaterstetten und dem kroatischen Trogir angebahnt wurde, sei es gewesen, "als ob meine Heimat mich wieder eingeholt hätte", sagt sie.

Auch wenn ihr Mann und ihre Kinder das mit dem Stockfisch, dem "Bakalar" doch "sehr speziell" fänden. In Trogir aber, dessen altertümliche schmale Gassen kreuz und quer über eine kleine Insel verlaufen, die mittels Brücken mit dem dalmatinischen Festland verbunden ist, und wo man vom Glockenturm der Kathedrale aus einen wunderbaren Blick zur vorgelagerten Insel Ciovo hinüber hat, gehört das adventliche Stockfisch-Fasten zur festen Tradition. Bis zum 25. Dezember gibt es die Speise - früher ein Arme-Leute-Essen - in verschiedensten Variationen. Als Eintopf, im Salat, immer aber bleibt es trockener Fisch, so dass die Menschen, wenn sie am Weihnachtsabend nachts aus der Mitternachtsmesse kommen, ausgehungert sind nach Deftigem und nach Süßem. "Dann stürzen sie sich erst einmal auf den Kuchen, der schon überall in den Speisekammern vorbereitet ist, und dann auf die Fülle, die in den Wohnungen wartet", erzählt Schröder.

In Ostra, in den italienischen Marken gelegen,kann es schon mal vorkommen, dass zu Weihnachten Schnee auf den Dächern liegt. (Foto: Margret Bartoli/oh)

Das Wichtigste in ihrer Heimat, noch viel wichtiger als der Bakalar, sei die katholische Kirche. "Das kennen wir hier gar nicht mehr, die Kirchen sind unglaublich voll." Zur Adventszeit aber besonders. "Stundenlang, jeden Tag sitzt man in der Kirche." Kein Wunder, wenn die Weihnachtslieder, die im Gotteshaus gesungen werden, bis zu 24 Strophen lang sind. Der Andrang sei so groß, erzählt sie, dass selbst vor den Türen noch die Menschen warteten, um etwas von der Predigt mitzubekommen. Nicht mal der Kommunismus, der mit dem Zerfall Jugoslawiens nach dem Krieg 1991 sein Aus fand, habe der kirchlichen Tradition etwas anhaben können. Auch damals schon hätten vor den Portalen riesige Holzstämme gebrannt, bewacht und gesichert wie bei uns die Maibäume. Symbolisch steht das Licht der Flammen für einen neuen Aufbruch, beginnend mit der Geburt Jesu - und Wärmequelle sind sie obendrein, für jene, die im Innern keinen Platz mehr gefunden haben. Wenn es der Kommunismus nicht geschafft hat, Traditionen in Trogir zu verändern, so bringt es nun die Globalisierung mit sich, dass sich neue Bräuche entwickeln - und nicht nur in Trogir, sondern in ganz Kroatien und auch in anderen Partnergemeinden des Landkreises. "Seit zehn Jahren ist das jetzt so, dass es überall Weihnachtsmärkte gibt in den Dörfern", sagt Schröder, "sogar gekochten Wein kann man kaufen. Früher hatten wir das nicht, auch Geschenke gab es keine."

Aus der französischen Partnerstadt Grafings, St. Marcellin, berichtet Micheline Revet ganz ähnliches. "Früher gab es Weihnachtsmärkte nur im Elsass", wo der deutsche Einfluss aus historischen Gründen stark ist. "Jetzt hält jedes Dorf seinen Weihnachtsmarkt ab." Auch in St. Marcellin, erzählt sie, gebe es solch einen Markt, "da klettert dann ein Weihnachtsmann am Rathaus hinunter". Ein echter wohlgemerkt, keiner aus Pappmaché. Revet ist davon nicht angetan. "Ich finde das blöd." Die ehemalige Deutschlehrerin, die in Chatte bei St. Marcellin lebt, das etwa 100 Kilometer südöstlich von Lyon liegt, war schon oft in Grafing und zieht den Vergleich: "Hier fehlt für mich die Stimmung." Die Musik, die gespielt werde, sei nicht richtig weihnachtlich, auch Krippen gebe es kaum, im Gegensatz zur 200 Kilometer südlich gelegenen Provence, wo diese eine lange Geschichte haben.

Festliche Gestaltung gibt es auch im kroatischen Trogir. (Foto: Joško Herzeg/oh)

Während in Kroatien die Kirchen voll sind, sei es in Frankreich kaum mehr üblich, zur Mitternachtsmesse zu gehen, berichtet Revet, und das Bedauern ist der 78-Jährigen ebenso anzuhören wie die Begeisterung, die sie befällt, wenn sie vom eigentlichen Highlight des Weihnachtsfestes spricht. "Jeder wartet nur auf das Essen." Ihre Kinder, ihre beiden Enkel, alle kämen zu Besuch in der Weihnachtswoche, berichtet sie, ein großes Familienfest werde das, mit vielen Geschenken. Und wehe, "es gibt keine Schnecken. Für meine Enkel", zwölf und siebzehn sind sie, "da müssen diese Schnecken da sein". Außerdem werden ein Braten und Austern und Gänsepastete serviert. "Die habe ich schon lange bestellt, damit die Qualität auch stimmt", erklärt die Französin. Zum krönenden Abschluss dürfe die Bûche de Noël nicht fehlen, ein gerollter Kuchen, der aussieht wie das Holzscheit für den Kamin, durch den in der Nacht auf den 25. Dezember der Weihnachtsmann, Père Noël, kommt und Geschenke in die bereit gestellten Schuhe legt.

Auch in Yssingeaux ist das so, ein Stück westlich von St. Marcellin gelegen, in der Region Auvergne-Rhône-Alpes, ebenfalls mit Verbindungen in den Landkreis. Yssingeaux ist die Partnerstadt von Ebersberg. Madeleine Oelmann, die einige Zeit in Lyon gelebt hat und mit ihren Eltern aus Algerien nach Frankreich zog, als die ehemals französische Kolonie 1962 unabhängig geworden war, ist seit Jahren im Partnerschaftskomitee aktiv und beschreibt ziemlich genau, wie das mit der Bûche funktioniert. Ein Biskuitteig muss es sein, der eingerollt und mit Marmelade gefüllt und von außen mit Schokolade bestrichen wird. In die Schokolade werden mit einer Gabel Spuren geritzt, damit die Außenfläche wie eine Baumrinde aussieht. Verziert werde das Kunstwerk schließlich mit Blüten aus Schokolade oder mit Weihnachtsmännern, erklärt Oelmann - wenn man soweit kommt. "Bei mir bricht das Ganze immer in Stücke", klagt sie mit einem kleinen Lachen. In Yssingeaux werde tatsächlich die ganze Adventszeit hindurch gefeiert. Fasten ist hier kein Thema, beim "Festi'coq", einem großem Markt der Gastronomie, wird vielmehr geschlemmt. Da bieten die Erzeuger der Gegend Gänseleber und Wildbret, Geflügel und Schnecken, Schokolade und andere Spezialitäten an - Plätzchen gibt es allerdings keine, sagt Oelmann, die haben hier keine Tradition. Die "Compagnie des Quidams" verführt mit einer "Farandole des enfants avec flambaux" - einer Show mit riesigen, licht- und luftgefüllten Papierfiguren, und am vierten Adventssamstag kommt der Père Noël einmal nicht durch den Kamin, sondern zu Fuß und stellt sich den Selfie-Freunden auf dem Place de la Victoire als Fotomotiv zur Verfügung. "La Grenette", das große historische Gebäude, in dem heute die Bibliothek und ein Kindergarten untergebracht sind, wird mit hellen Lichtern geschmückt, bunte Laternen steigen und das Spektakel mündet schließlich in ein Feuerwerk. Auch das Partnerschaftskomitee ist unter den Feiernden, schenkt an einem eigenen Stand Glühwein aus.

in Yssingeaux wird die Adventszeit festlich gestaltet. (Foto: Privat)

Das Schönste für Kinder aber ist in diesen Tagen vielleicht die "Manège carrousel", ein altertümliches Kinderkarussell. "Ich kenne das von früher", erzählt Oelmann, "da gibt es so einen Pompon." Also einen Bommel, den der Betreiber immer vor einem Kind herunter hängen lässt. Wenn es ihn fängt, darf es noch eine Runde umsonst fahren. Und dann kommt auch in Yssingeaux der Weihnachtsabend, wo der "Petit Jesus" keine ganz so große Rolle spielt, dafür aber der Braten. "Puten mit Maronenfüllung", sagt Oelmann und in ihrer Stimme schwingt die gleiche Vorfreude wie in jener von Margret Bartoli, wenn sie vom "pranzo natalizie" erzählt.

In Ostra, seit 2003 Markt Schwabens Partnerstadt in den italienischen Marken, isst man an Weihnachten nicht zu Hause, sondern geht ins Lokal. La Cantinella heißt das erste Hotel am Platz, erzählt Bartoli, die mit ihrem italienischen Mann seit 1974 in Markt Schwaben wohnt und in Ostra eine Wohnung hat. Weihnachten in der mittelalterlichen Stadt, die hoch auf einem Bergrücken liegt, vielleicht 20 Kilometer sind es von dort zum Meer, sei etwas ganz Besonderes. Eine lebende Krippe werde auf der Piazza aufgebaut, zwischen den alten Häusern, und um den 24. herum spielen die Ostraner die Jesusgeschichte nach. "Da ist in Ostra ganz viel Volk wie aus der damaligen Zeit unterwegs", schwärmt Bartoli. "Überall laufen Könige herum, und wenn die Kirche in der Nacht aus ist, geht man eine schmale Gasse hinauf auf den Turm zu," den Torre Civico, "mit Staunen und Mystik im Herzen".

Die Kroatin Branka Schröder wohnt in Vaterstetten. (Foto: Privat)

Vor dem Kirchenbesuch am 24. Dezember - der längst nicht mehr so unausweichlich sei wie früher -, werde "Tombola" gespielt, ein Gesellschaftsspiel, bei dem es darum geht, eine Reihe mit den richtigen Zahlen voll zu bekommen. "Natürlich ist es ein Glücksspiel, aber wenn am Heiligen Abend alle kommen, die ganze Familie da ist, vom Nonno bis zum Enkelkind dann ist das großartig." Und wenn genug Grappa geflossen ist, ohne den das viele Essen, das auch in Italien zum Weihnachtsfest gehört, ohnehin keinen Platz im Magen hat. "Am ersten Weihnachtsfeiertag wird nur gegessen und getrunken", erzählt sie, von der Früh bis zum Nachmittag, "mit Panettone und natürlich Spumante." Und wenn der Pranzo vorbei ist, ist es auch gleich wieder Zeit zum Abendessen. Am 26. dann ist Weihnachten in Ostra eigentlich schon wieder Geschichte, "da schlachten sogar manche", erzählt Bartoli. Denn das nächste Festessen kommt bestimmt.

© SZ vom 24.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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