Naturkatastrophe in Ostra:Eine Mauer aus Wasser

Naturkatastrophe in Ostra: In Pianello di Ostra, einem Ortsteil der Partnerstadt, hat die Flut mitgerissen, was nicht niet- und nagelfest war. Hier sind die Bewohner am Tag danach mit Aufräumen beschäftigt.

In Pianello di Ostra, einem Ortsteil der Partnerstadt, hat die Flut mitgerissen, was nicht niet- und nagelfest war. Hier sind die Bewohner am Tag danach mit Aufräumen beschäftigt.

(Foto: Alessandro Di Meo/imago/ZUMA Wire)

Die italienische Partnerstadt Markt Schwabens hat im September eine Jahrhundertflut erlebt. Ein Benefizkonzert und der Verkauf von lokalen Produkten sollen Spenden für die Betroffenen erbringen.

Von Alexandra Leuthner, Markt Schwaben/Ostra

Man fühlt sich an die Bilder aus dem Ahrtal vom Vorjahr erinnert. Auf den Straßen zentimeterdick graubrauner Schlamm, der in der heißen Sonne der Tage nach der Flut viel zu schnell trocken und hart werden wird. Umgekippte Autos hängen über Absperrungen, haben sich ineinander verkeilt oder kleben an Hausmauern. Eines hat die Flut mitgerissen und auf einem Balkon im ersten Stock abgeladen. Dort klemmt es jetzt zwischen dem Geländer und der Hauswand. Überall liegen geknickte Bäume und Unrat, der am Tag zuvor noch keiner gewesen ist, sondern vielleicht Kinderspielzeug, ein Gartentor, ein Tisch oder ein Fahrrad.

Das Flüsschen Misa ist innerhalb weniger Stunden zu einem reißenden Fluss geworden

Am 16. September - und auch noch in den Tagen danach - bietet Ostra, die italienische Partnerstadt Markt Schwabens, einen furchtbaren Anblick. Das kleine Flüsschen Misa, nach einem Sommer ohne Regen nicht mehr als ein Rinnsal, ist am Tag zuvor innerhalb weniger Stunden zu einem reißenden Fluss angeschwollen und hat eine Schneise der Verwüstung durch diese Region der italienischen Marken gezogen. Bilder aus der Nacht zeigen von dem Küstenort Senigallia, der am schlimmsten betroffen ist, kaum mehr als Dächer und Arkaden, die nur noch zu einem Drittel aus dem Wasser ragen.

Bernhard Wieser, Vorsitzender des Partnerschaftsvereins, war ein paar Tage zuvor noch in Ostra gewesen, dessen Altstadt hoch auf einem Hügel liegt, um mit den Freunden dort über gemeinsame Jubiläumsfeiern zu sprechen. Im kommenden Jahr wird es 20 Jahre her sein, dass die beiden damaligen Bürgermeister, Bernhard Winter für Markt Schwaben und Lorenzo Cioccolanti für Ostra, den Partnerschaftsvertrag unterschrieben haben. "Aber ob es mit der Feier nun was wird, weiß ich nicht", Wieser schüttelt den Kopf, "die haben jetzt andere Sorgen da unten". Natürlich ist er erschüttert, ebenso wie Susi Gammel, die auch zum siebenköpfigen Ostra-Komitee gehört.

Naturkatastrophe in Ostra: Hilfe für Ostra - Bernhard Wieser und Susanne Gammel vom Partnerschaftskomitee sammeln Spenden - so viel sie können.

Hilfe für Ostra - Bernhard Wieser und Susanne Gammel vom Partnerschaftskomitee sammeln Spenden - so viel sie können.

(Foto: Christian Endt)

Ein klarer Oktoberhimmel spannt sich über Markt Schwaben einen knappen Monat nach der Flut. Hinter dem Ortsschild am südöstlichen Ortseingang, wo die "Gemellaggio", die Partnerschaft mit der 6000-Seelen-Gemeinde Ostra ausgewiesen ist, steht ein einzelner Baum in leuchtenden Herbstfarben vor dem aufgeräumt daliegenden Acker. Angesichts des friedlichen Bilds kann man sich die Katastrophe, die gut 900 Kilometer entfernt mindestens zehn Menschen das Leben gekostet und unzählige um ihr Hab und Gut gebracht hat, schwer vorstellen. Susi Gammel und ihr Mann haben sich in diesem Jahr einen Freisitz in den Markt Schwabener Garten gebaut, so wie ihre Bekannten in Ostra auch, Fiammetta und Silvano Mancini. Der von den Mancinis, im Juni ist er fertig geworden, bot einen schönen Blick auf einen Olivenhain. Jetzt ist nichts mehr davon übrig. Weggerissen von der Flut. Ebenso wie die neue Garage. Das Erdgeschoss der Mancinis, 2014 renoviert - auch damals hatte es ein Hochwasser gegeben - war komplett überflutet.

Naturkatastrophe in Ostra: Ostra nach der Flut vom September 2022: Das Erdgeschoss der Mancinis stand komplett unter Wasser.

Ostra nach der Flut vom September 2022: Das Erdgeschoss der Mancinis stand komplett unter Wasser.

(Foto: privat)

Gammel steht von ihrem Esstisch auf und holt ein weißes T-Shirt von nebenan. "Um nicht zu vergessen" steht in italienischer Sprache darauf. Eine Gruppe aus Ostra hat es in den Farben des Schlamms drucken lassen, der die tiefer liegenden Ortsteile des malerischen Städtchens in ein Katastrophengebiet verwandelt hat. Aufgelistet sind all jene Ortschaften, die unter die Wasserwalze geraten sind am Abend des 15. September. Vor allem die jüngeren Leute sind hierher gezogen, weil die Altstadt zu wenig Raum bot. Casine, Pianello, Arceviese heißen die Orte - und Barbara. Hier hatte die wütende Flut einer Mutter den achtjährigen Sohn vom Arm gerissen, als sie gerade aus dem Auto steigen wollte. Eine Woche später fanden freiwillige Helfer von Polizei und Feuerwehr seinen Körper. 18 Kilometer entfernt.

Ein Donnerstag war es, zwei Tage vor Beginn des Oktoberfests, und Bernhard Wieser hatte sich für Freitagfrüh um sechs Uhr den Wecker gestellt. Drei Bekannte aus Ostra sollten am Morgen in Erding am Flughafen landen, sie wollten auf die Wiesn. "Da war die Whatsapp schon da: Du kannst alles abblasen, wir stehen unter Wasser", zitiert er. Und dann kamen nach und nach die Bilder. Eine Bekannte aus Ostra ist Fotografin und postete Aufnahmen von den Zerstörungen, dann von der Feldküche, die aufgebaut wurde für die Opfer der Flut, von den 100 Waschmaschinen, welche die Firma Beko zur Verfügung stellte. "Es hat viele getroffen, die wir kennen", erzählt Gammel.

Naturkatastrophe in Ostra: Einen Kasten Markt Schwabener Bier, von den Freunden aus der Partnerstadt, haben die Ostrenser aus dem Schlamm geborgen.

Einen Kasten Markt Schwabener Bier, von den Freunden aus der Partnerstadt, haben die Ostrenser aus dem Schlamm geborgen.

(Foto: privat)

Ein lokaler Fernsehsender war ausgerechnet bei Silvano, interviewte ihn auf der verschlammten Straße vor seinem Haus. Im Video zeigt er zum Fenster seines Hauses hinauf, im ersten Stock, und erzählt. Er hatte gerade noch das Auto weggefahren und wollte zurück zum Haus, als das Wasser kam. Gerade war da noch nichts, dann sei sie da gewesen, die Wasserwalze. Innerhalb von einer Minute. Seine Tochter Giulia, Mitte 20, rettete ihm das Leben. Mit einem Bettlaken, dessen eines Ende sie aus dem Fenster warf, konnte sie ihn ins Haus ziehen. Es müsse ein Wunder gewesen sein, sagt Silvanos Frau den Journalisten.

400 Liter pro Quadratmeter ergossen sich auf die Ortschaften

"Von einer "mura d'acqua" sprechen sie in Ostra, einer Mauer aus Wasser, von einer Bombe aus Wasser in Senigallia, etwas, das es in dieser Art noch nie gegeben habe. Ganz so wie in der Eifel. Nur, dass die Wassermenge, die über die Marken hernieder ging noch um ein Vielfaches größer war. 400 Liter pro Quadratmeter, so viel wie sonst in einem halben Jahr, ergossen sich auf die Ortschaften und in den Fluss. Viermal mehr als im Ahrtal 2021. Sucht man die betroffenen Orte auf Google Maps, ist die Misa kaum zu erkennen.

Naturkatastrophe in Ostra: Kaum vorstellbar, beim Anblick des Ortsschilds vor friedlicher Kulisse, dass sich in der Partnerstadt solch eine Katastrophe abgespielt hat.

Kaum vorstellbar, beim Anblick des Ortsschilds vor friedlicher Kulisse, dass sich in der Partnerstadt solch eine Katastrophe abgespielt hat.

(Foto: Christian Endt)

In Markt Schwaben versuchen die Mitglieder des Partnerschaftskomitees jetzt zu unterstützen, wo sie können. "Wir glauben, dass wir finanziell den betroffenen Familien am besten helfen können", sagt Gammel. Insgesamt 4700 Euro sind schon zusammen gekommen, aus Spenden und dem Verkauf von Wein und Olivenöl auf dem Herbstmarkt. Bernhard Wieser hat beides aus Ostra geholt, bei der Impfaktion des Theatervereins wollen die Komiteemitglieder noch einmal verkaufen. Möglichst viele Spenden erhoffen sie sich von einem Benefizkonzert am kommenden Sonntag, das von bekannten Musikern aus Markt Schwaben bestritten wird.

Die Familie Mancini ist derweil weggezogen, hat eine Wohnung in Ostravetere gefunden. Silvano, das hat seine Frau Fiammetta den Markt Schwabener Freunden erzählt, will nicht mehr zurück. Er habe Wasser noch nie besonders gemocht. Und sie selbst will vermutlich nicht mehr auf ein ähnliches Wunder vertrauen, wie jenes, das ihren Mann in der Nacht vom 15. September gerettet hat.

Das Benefizkonzert findet am Sonntag, 23. Oktober, in der Theaterhalle Markt Schwaben statt. Beginn ist um 18 Uhr, Einlass 17 Uhr. Mit dabei sind das Jugendblasorchester, ein junges Akkordeon-Ensemble, die Markt Schwabener Stubenmusi, die Markt Schwabener Sängerinnen, Da Kellerbua, Susi und Alois, die Marktkapelle, Rainer Viktor, Susanne Knof, das Jonas Frank Trio und die Koi-Band.

Zur SZ-Startseite

Klimawandel
:Eine Brücke ans andere Ende der Welt

Auf Initiative von Jugendlichen hin will der Landkreis Ebersberg eine Klimapartnerschaft mit einer kleinen Kommune auf den Philippinen eingehen. Weltweit existieren noch nicht viele vergleichbare Projekte. An der Idee gibt es aber auch Kritik.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: