Ort der Vielfalt:Auftrag erfüllt

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Der "Aktionsraum 2" vom Ebersberger Kunstverein ist zu Ende gegangen, Initiator Peter Kees zeigt sich sehr zufrieden: Man habe tolle Projekte und intensive Diskussionen erlebt

Von Anja Blum

Stell Dir vor, es ist Performance und Diskurs - doch keiner kommt. Auch das hätte dem Ebersberger Kunstverein passieren können. Schließlich gab es nur ein Angebot - kein festes Programm, kein Thema im engeren Sinne. Jeder und jede war eingeladen, an zwei Wochenenden in die Alte Brennerei zu kommen, um sich mit den gegenwärtigen gesellschaftlichen Veränderungen auseinanderzusetzen, auf welche Weise auch immer. Initiator Peter Kees verwandelte die Ebersberger Galerie - nach einem Vorbild aus dem München der 70er Jahre - in einen "Aktionsraum 2" und hoffte, er würde sich irgendwie mit Leben füllen. Nun ist klar: Diese Hoffnung hat sich erfüllt, der Kunstverein und sein Publikum haben sieben aufregende, inspirierende Tage erlebt.

Das Ensemble "Urte Gudian" performt einen "Tanz um den Maßstab". (Foto: Veranstalter)

"Ich bin total begeistert", sagt Kees, "das Konzept ist inhaltlich voll aufgegangen". Die Erfahrung der vergangenen zwei Wochen habe wieder einmal gezeigt, wie wichtig es sei, dass die Kunst sich zu Wort melde. "Sie ist heute mehr denn je keine Dekoration für reiche Leute mehr, sondern hat einen gesellschaftlichen Auftrag", so der Künstler aus Steinhöring. Und das scheinen viele seiner Kolleginnen und Kollegen ganz ähnlich zu sehen: Ewa 30 aus ganz Deutschland haben sich am Ebersberger Aktionsraum beteiligt, sogar einen Tag vor Beginn meldete sich noch eine junge Künstlerin aus Fürstenfeldbruck, ob sie spontan etwas beisteuern dürfe: Veronika Christine Dräxler wollte zu Fuß durch den Forst zum Kunstverein laufen, dabei Äste aufsammeln und diese dann in der Galerie ablegen. Völlig durchnässt vom Regen und mit einem schweren Stamm in den Armen kam sie nach vier Stunden schließlich an - "diese Aktion hat mich sehr berührt", sagt Kees. Und Dräxler selbst erklärt: "Unscheinbare Äste werden durch mein geschultes künstlerisches Auge sowie durch die Zeit und die Anstrengung des Mit-Mir-Tragens mit Wert aufgeladen. Es geht mir darum, die Entstehung von Wertigkeit zu hinterfragen und dabei die Entschleunigung und den Mensch ins Zentrum zu setzen."

Zdenek Kotala nennt seine Malperformance "Life is a bitch". (Foto: Veranstalter)

Ja, mit einer herkömmlichen Ausstellung hatte der Aktionsraum wenig gemein. Die Künstlerinnen und Künstler steuerten Installationen zum Selbermachen, diverse Videos und Performances bei. Außerdem gab es Vorträge, Filmvorführungen, Diskussionsrunden und sogar ein Hip-Hop-Konzert im Rahmen der "Tage der Demokratie". Die Ebersberger Galerie erwies sich dabei als optimale Spielwiese, nahm jeweils eine ganz neue Gestalt an, Überraschungseffekt für Stammgäste inklusive, und so manches Geschehen drang sogar räumlich nach außen, in das historische Ambiente des Klosterbauhofs.

Im Ebersberger "Aktionsraum 2" ist der "Stille Biergarten" von Hans Winkler zu sehen. (Foto: Veranstalter)

Klar, eindeutige Antworten auf brennende Fragen der Zeit gab es im Aktionsraum nicht im Handumdrehen, zum Mitnehmen quasi, viel zu komplex sind Welt und Kunst. Doch einfache Lösungen hatte Kees auch gar nicht als Ziel ausgegeben, vielmehr ging es ihm darum, Raum und Zeit zu bieten für Diskurs und Ausdruck, für kurze Irritationen und Impulse zum Weiterdenken. Deswegen ist der Aktionskünstler aus Steinhöring nun auch sehr zufrieden: "Es haben sich wie ganz selbstverständlich immer wieder intensive Gespräche ergeben", erzählt er. "Zum Beispiel über mögliche neue Lebensformen angesichts Künstlicher Intelligenz", und zwar nach einem Vortrag von Maurice Jorn aus Berlin über "Jugend und Innovation". Dieses Thema brenne dem Künstler "wirklich unter den Nägeln" - was sich offenbar auf das Publikum übertragen habe. Auch über den Wert und die Aufgabe von Kunst sei viel diskutiert worden, berichtet Kees, vermutlich auch angestoßen durch eine "Kundenbefragung" des Grafinger Künstlers Manuel Strauß. Und sogar der "offene Abend" war ein voller Erfolg: Da wurde ein selbstgeschriebenes Theaterstück gelesen, "Atemstillstand" gezeichnet, ein "Verkündigungsengel" präsentiert und überdies ein "Kunstindikator", eine Art kleines Glücksrad, mit dem der Betrachter Werke ganz willkürlich kategorisieren kann. Eine herrliche Karikatur auf den Kunstmarkt.

Ruth Effer malträtiert Klopapierrollen im Ebersberger "Aktionsraum 2". (Foto: Veranstalter)

Kein Wunder also, dass die beteiligten Künstlerinnen und Künstler vom Aktionsraum begeistert waren. Er bekomme eine Mail mit Lob und Dank nach der anderen, erzählt jedenfalls der Organisator. Für Kees ganz persönlich ein Genuss und eine Premiere war die Zeit an seinem "Fluchtfahrzeug", einem Flügel mit Skiern an den Beinen. "Es war so schön, mal nach Herzenslust improvisieren zu dürfen!"

Allein, der Aktionsraum hätte etwas größeres Publikum verdient gehabt, sagt der Initiator. "Klar, es ist Corona, aber ich hätte mir schon etwas mehr Neugier gewünscht." Schließlich gehe der gesellschaftliche Wandel doch alle etwas an. 30 bis 50 Menschen hätten pro Wochenende die Alte Brennerei besucht, so Kees, bei den Veranstaltungen habe man jeweils um die 15 Köpfe gezählt.

Trösten kann sich der Kunstverein da aber mit der Tatsache, dass auch das große Vorbild, der provokative Aktionsraum 1 in München, nicht gerade mit viel Publikum gesegnet war - und dennoch legendär wurde. Zu verdanken hatte er das einer umfangreichen Dokumentation per Buch, das auch bei Peter Kees schon lange im Regal steht. Deswegen ist es dem Steinhöringer ein großes Anliegen, auch den Ebersberger Aktionsraum für die Nachwelt festzuhalten, in Text und Bild. Es soll eine Homepage geben sowie eine Publikation - so denn eine solche sich irgendwie finanzieren lässt. Der Kunstverein habe bereits einen entsprechenden Antrag gestellt.

Auch eine Fortsetzung beziehungsweise Ausweitung des Aktionsraums im Sinne eines regelmäßigen Austauschs würde dem Initiator freilich gefallen - "aber das geht leider nicht, weil die Beteiligten aus ganz Deutschland kamen". Trotzdem werde der Geist des Projekts weiterwirken: Das zweite Arkadien-Festival, das der Kunstverein für März plant, soll laut Kees mit "Stadtinterventionen" über die Galerie hinausgreifen in den öffentlichen Raum. So dass sich die Frage, ob überhaupt jemand kommt, erst gar nicht mehr stellt.

© SZ vom 08.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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