"Open Stage" in Poing:Ein Biotop für musikalische Experimente

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In der Café Station zeigen routinierte und weniger erfahrene Künstler Ausschnitte aus ihren Repertoires

Von Victor Sattler, Poing

Allein zu kommen war gar nicht möglich bei der vierten "Open Stage" des Poinger Musiktreffs im Café Station. Denn man musste den Samstagabend dort zwangsläufig mit diesem angenehmen lyrischen Du verbringen, das Liedermacherin Nici Rey immerzu besang. "Du trägst mich auf Händen, du bist für mich der schönste Ausblick", schwärmte Rey über ihn. Man erfuhr leider weder den Namen des Gentleman, noch den des Songs, Rey hatte ihn vergessen oder nie gewusst.

So locker ging es den ganzen Abend über zu: Mehr oder weniger erfahrene Musikerinnen und Musiker legten neben ihrer Stimme auch ihr Hirn und Herz bloß, gaben einen Einblick in ihr Notizbuch und in die Schmiede ihrer Kunst. Seit 2016 gibt es die "Open Stages" in Poing, erst seit diesem Frühjahr verabredet man sich begleitend auch zu Musiktreffs, um sich auszutauschen und weiterzuhelfen. Wer kein lyrisches Du in seinem Leben hat, kann sich zumindest darauf verlassen, Thomas Schuh immer an seiner Seite zu haben: Organisator Schuh schmiss die Technik, spielte Klavier, Gitarre, oder stieg mit einem "Uuuh" ein, wo man es nicht erwartet hätte.

Wolfgang Gerrer erholt sich auf der Bühne von der Hochzeitssaison. (Foto: Christian Endt)

So bereitete er im abgetrennten Saal des Cafés, mit offener Tür zum zweiten, blinden Publikum namens Biergarten, ein sicheres Nest, in dem von allerersten Werken bis zu CD-Veröffentlichungen alles erlaubt war. Ines Wagner unterbrach sich selbst mitten im Song, weil sie glaubte, die Zuhörer würden ihre Gesichter verziehen. War ihre Ukulele gar verstimmt? Vom Publikum und vom Musikertisch aus kräftig ermutigt, aber mit fast durchgängig geschlossenen Augen, traute sie sich wieder ran und sang über verletzliche Seifenblasen.

Wolfgang Gerrer kam frisch aus der nach eigener Aussage viel zu langen Hochzeitssaison und hatte die eigenwilligen Musikwünsche im Gepäck, die die Bräute diesen Sommer an ihn richteten. Der Trend geht wohl wieder zu einer Heirat in jungem Alter, denn mit diesen Titeln und seinem schwarzen Saxofon verwandelte Gerrer das Café Station von einer Sekunde auf die andere in eine Disco am Puls der Zeit. Um ein Haar wäre jemand aufgestanden und hätte zu "twerken" begonnen - eine rhythmische Präsentation des Hinterteils -, aber zumindest die Hände des Publikums wurden bei "Worth it" in alle Richtungen gestreckt und geworfen, manch eine fächelte sich mit dem Bierdeckel schon Luft zu.

Nici Rey schwärmt von einem schönen Namenlosen. (Foto: Christian Endt)

Rebecca Schuh widmete sich mit ihrer Rockröhren-Stimme den weniger perfekten Exemplaren unter den Männern, die Thema von bekannten Songs wie "She Wolf (Falling To Pieces)" und "Jolene" geworden sind. Entweder schenkte das Café Station den dunkelsten Whiskey der Welt aus - oder Schuh hatte diese ungewöhnlich rauchige Stimme schon mitgebracht, als sie zur Tür reinkam. Eine andere Erklärung gibt es nicht.

Mit sich selbst ließ sie mehr Milde walten als mit den Noten, füllte die Pausen mit vielen selbstironischen Kommentaren zu ihrer Person und lockerte so die Stimmung. "Sing doch im Café Station, haben sie gesagt", raunte Schuh gespielt verächtlich, "das wird ein Spaß, haben sie gesagt."

Auch Louis Klose fühlte sich plötzlich wieder klein auf der Bühne: "Wer kann schon von sich sagen, er sei ein Musiker?", fragte er in den Raum, ohne eine Antwort zu bekommen. In weißen Country-Chic gekleidet, schmetterte er gemeinsam mit Partnerin "Eyeris" einige Duette, bei denen sie melodisch Katz und Maus spielten, sich am Ende aber einen so versöhnlichen wie verschwörerischen Faust-Gruß gaben, als wären sie Bonnie und Clyde.

"Ist schon was Tolles, was Poing in letzter Zeit liefert!", sagte Klose über das Konzept und öffnete die Bühne des Open-Stage-Konzerts schließlich endgültig, indem er andere zum Mitmachen aufrief. Saxofonist Gerrer - aus seinem Beruf schon gewohnt, willigen Paaren auf Zuruf zu gehorchen - ließ sich nicht zweimal bitten und stimmte mit ein.

Am 29. September bespielt das Team des Musiktreffs mit einem Open-Stage-Konzert auch das Poinger Street-Food-Festival. Das Festival findet am 28. und 29. September auf dem Poinger Marktplatz statt. Geöffnet ist am Samstag von 11 bis 23 Uhr, am Sonntag von 11 bis 19 Uhr. Mehrere Live-Bands werden auftreten.

© SZ vom 26.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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