Musik in der Krise:Dass die Energie wieder fließen möge

Pianist Oliver Triendl stellt sich mit aller Kraft gegen die Kulturflaute. Nun hat er ein Sonderkonzert mit dem "Vision String Quartet" initiiert

Von Anja Blum

Es sind bewegende Zeiten für einen freischaffenden Musiker wie den klassischen Pianisten Oliver Triendl aus Ebersberg. Erst der Lockdown, die Absage sämtlicher Proben und Konzerte. In Barcelona hätte er zum Beispiel gespielt, in Finnland. Und nun, nach Monaten des Verzichts, das langsame Erwachen: das erste Livekonzert als leidenschaftlicher Zuhörer - als einer von 200 Menschen in der Münchner Philharmonie - und nun endlich wieder ein eigener Auftritt vor Publikum, beim Casals-Festival in Frankreich. Das alles geht an Triendl nicht spurlos vorüber. Sehr bewegend berichtet der Pianist von seinen jüngsten Erfahrungen, erzählt unter anderem von einem Kollegen, Klarinettist und Komponist, dem bei der ersten gemeinsamen Trio-Probe Tränen in die Augen stiegen - bereits beim Stimmen der Geige. "Lebendiges Musizieren ist durch nichts zu ersetzen - da bin ich radikal", lautet Triendls Fazit. Das habe sich nun, durch Corona, mehr denn je gezeigt.

Dabei ist der Ebersberger Musiker keiner von jenen, die in der Krise künstlerischen Leerlauf hatten. Ganz im Gegenteil, Triendl war sehr produktiv. Nach einer kurzen Ruhephase, als klar war, dass "dieser Spuk nicht gleich wieder vorüber sein würde", ergriff er die Initiative. Nutzte seine vielfältigen Kontakte zu Redakteuren und Produzenten, um Aufnahmen anzubieten. Die Botschaft: "Ich habe Zeit zum Üben sowie haufenweise Ideen." Und er hatte Erfolg: Im Moment spielt Triendl bereits seine sechste "Corona-CD" ein, wie er selbst diese Produktionen nennt. Alles Kammermusik in kleinen Besetzungen, aufgenommen in verschiedenen Rundfunkanstalten des Landes. "Die Dokumentation von Musik ist schon lange eine Passion von mir", erklärt Triendl, "aber sie alleine - das kann es nicht sein!"

Musik in der Krise: Als "modernes Ensemble im besten Sinne" bezeichnet Programmchef Oliver Triendl das "Vision String Quartet".

Als "modernes Ensemble im besten Sinne" bezeichnet Programmchef Oliver Triendl das "Vision String Quartet".

(Foto: Veranstalter)

Bestätigt haben diese Einstellung nun auch zwei "Geisterkonzerte", die Triendl fürs Radio spielte. Kammermusik in großen, wohlklingenden Sälen, aber ohne Zuhörer. Ein sehr befremdliches Gefühl sei das gewesen, erzählt der Pianist: "Es hat einfach der Ansprechpartner gefehlt." In diesen Momenten sei ihm wieder bewusst geworden, dass er mit Musik Geschichten erzählen wolle, für die es einen Adressaten brauche. Dass das Musizieren ein Geben und Nehmen sei, ein Austausch von Energie, durch den der Künstler Inspiration gewinne. "Ein gutes, aufnahmebereites Publikum gibt einem definitiv etwas zurück." Dass das Auditorium eine Wirkung habe auf die Musiker, das habe sich nun sogar im Gasteig bestätigt: Die Philharmoniker hatten zunächst Livestream-Konzerte ohne Publikum gespielt, dann durften diesen hundert Abonnenten beiwohnen - in einem Saal mit 2500 Plätzen. "Doch der Tonmeister sagte mir: Er hörte definitiv einen Unterschied! Das Orchester spielte plötzlich anders." Ein paar Zuhörer genügten, um etwas zu verändern in den Köpfen. Triendl selbst kennt diesen Effekt von seinen Ebersberger "Hauskonzerten": Es herrsche einfach eine andere Atmosphäre, wenn zum Beispiel bei einer Generalprobe nur ein kleines Publikum anwesend sei. Und die andere Seite profitiere freilich auch. "Rührung, Gänsehaut, Tränen - all diese unergründlichen emotionalen Phänomene machen meinen Job so spannend und lebenswert."

Insofern schmerzt es Oliver Triendl freilich sehr, dass es derzeit kaum Livekonzerte gibt. So sehr, dass er sich dafür einsetzt. "Ich empfinde als Kulturschaffender auch eine starke Verantwortung, ja momentan sogar einen gewissen Kampfgeist", sagt er. Denn ein Orchester, ein Chor oder eine Konzertreihe würden, einmal aufgelöst, nie mehr neu gegründet. Klar, die Pandemie dürfe nicht unterschätzt werden - "aber deswegen nun in Schockstarre zu verfallen, das bringt niemandem etwas", so Triendl. Man müsse eben aktiv und kreativ werden, auf die Menschen zugehen, Ängste und Verunsicherung abbauen. Vor Kurzem erst haben Triendl und seine Lebensgefährtin, die Geigerin Nina Karmon, bei sich in Ebersberg ein "Gartenkonzert" mit der Hofmusik München veranstaltet: Zwölf Bläser gestalteten da die "Gran Partita" von Mozart - und ernteten laut Triendl "innige Reaktionen".

Musik in der Krise: Triendl freut sich ungemein über das Konzert, da lebendiges Musizieren durch nichts zu ersetzen sei.

Triendl freut sich ungemein über das Konzert, da lebendiges Musizieren durch nichts zu ersetzen sei.

(Foto: Christian Endt)

Doch der Ebersberger ist nicht nur Pianist und privater Gastgeber, sondern seit fast 20 Jahren auch der künstlerische Leiter des Kulturvereins Zorneding-Baldham, das heißt, er gestaltet dessen Konzertreihen, einen Kammermusik- und einen Klavierzyklus. Auch diese fielen freilich Corona zum Opfer, die nächste Saison beginnt erst im September. "Das hieße dann, es hätte mehr als ein halbes Jahr kein Konzert gegeben - das darf nicht sein", sagt Triendl. Also machte er dem Verein den Vorschlag eines Sonderkonzertes, sozusagen zur Überbrückung, und stieß damit auf offene Ohren. Nun, am 8. August, spielt das Vision String Quartet, "ein modernes Ensemble im besten Sinne", wie Triendl sagt, vor allem bei den Zugaben dürften die Zuhörer einiges erwarten. Schon oft habe er die Berliner für den Zyklus gewinnen wollen, doch erst jetzt, dank Corona, sei ein Termin möglich gewesen. Ja, eine Vision, einen optimistischen Blick in die Zukunft möchte Triendl dem Publikum damit vermitteln, für die Abonnenten des Kulturvereins soll das Konzert aber auch ein großes Dankeschön sein: Viele hätten trotz dreier ausgefallener Vorstellungen auf Rückzahlungen verzichtet.

Da der Martinstadl, die traditionelle Spielstätte des Zyklus', von der Diözese bis September gesperrt wurde, spielt das Vision String Quartet in der Turnhalle der Zornedinger Grundschule. Die sei zwar nicht ganz so hübsch, sagt Triendl, klinge aber sehr schön. 80 Zuhörer werden darin Platz finden, das Konzert dauert etwa eine Stunde ohne Pause. "Man will ja die Traubenbildung vermeiden." Um den Corona-Regeln gerecht zu werden, plane der Kulturverein außerdem, ab Herbst jedes Konzert zu zwei verschiedenen Uhrzeiten anzubieten. "Ansonsten ist es mit der Programmplanung momentan nicht ganz leicht", sagt Triendl, gerade der internationale Austausch sei ja unberechenbar. In seinem persönlichen Kalender für 2021 etwa steht eine Chinatournee. "Aber wegradieren werde ich die erst einmal noch nicht!"

Sonderkonzert: "Vision String Quartet" am Samstag, 8. August, um 19 Uhr, in der Turnhalle der Grundschule Zorneding. Gespielt werden zwei Streichquartette: Robert Schumann, A-Dur op. 41,3 und Maurice Ravel, F-Dur, op. 35. Karten gibt es per Mail an georg.mellinghoff@t-online.de.

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