Olga Tokarczuk und Peter Handke:Eine unvorhersehbare, aber gute Wahl

Ulrike Wolz Literaturexpertin aus Vaterstetten

Für Literaturexpertin Ulrike Wolz sind die Preisträger Lieblinge der Kritiker, nicht der Leser.

(Foto: privat)

Buchfachleute aus dem Landkreis zur Vergabe der diesjährigen Literaturnobelpreise

Von Michaela Pelz, Ebersberg

Den einen mussten Sie in der Schule lesen, von der anderen haben Sie noch nie gehört? Dann geht es Ihnen wie vielen Menschen nach der Bekanntgabe der Literaturnobelpreisträger für 2018 und 2019, Olga Tokarczuk und Peter Handke. Der neun Millionen schwedische Kronen (etwa 830 000 Euro) schwere Preis wurde im vergangenen Jahr aufgrund eines Skandals rund um das Nobelpreiskomitee nicht verliehen, deswegen wurden nun zwei Personen benannt.

Doch was haben die Literaturexperten und -expertinnen im Landkreis Ebersberg zur Wahl der Polin und des Österreichers zu sagen? Fast alle sind überrascht, haben es doch die meisten wie Buchhändlerin Hedwig Wobken aus Kirchseeon schon lange aufgegeben, überhaupt einen Tipp zum Sieger abzugeben. Nur Sebastian Otter vom gleichnamigen Buchladen in Ebersberg und seine Poinger Kollegin Elke Knitter geben zu Protokoll, dass Handke für sie seit Jahren zum Favoritenkreis gehörte. Knitter merkt außerdem an, dass die für ihre Familiensagas bekannte Tokarczuk 2018 ja bereits mit dem Man Booker International Prize für "Flights" ("Unrast") ausgezeichnet wurde und daher stark in den Fokus gerückt sei. Dennoch habe sie persönlich auf die Kanadierin Margaret Atwood getippt, während Manuela Harm und Inge Oberst vom Buchladen in Vaterstetten Haruki Murakami Chancen eingeräumt hätten.

Auch Literaturexpertin Ulrike Wolz aus Vaterstetten hätte dem Japaner einen Gewinn gegönnt, denn "er schreibt so, dass es die Leute auch gerne lesen", was sie den meisten Preisträgern abspricht. "Das sind absolute Kritikerlieblinge und keine Leserlieblinge." Dem schließt sich Karen Schiöberg-Fey vom Bücherladen in Assling in gewisser Weise an. Sie denkt, dass Olga Tokarczuk "einen sehr polnischen Blick auf die Welt" habe, was bei ihrem Klientel keinen großen Anklang finde. In Grafing wiederum hat Bücherstuben-Inhaberin Catherina Slawik viele Kunden, die "auf die Preisträger warten und sie auch lesen wollen". Doch da brauchen die Menschen im Landkreis wahrscheinlich Geduld, denn im Gegensatz zu Margot Bartl aus Baldham haben die meisten Läden die 1184 Seiten starken "Jacobsbücher" von Tokarczuk noch nicht im Sortiment. Sie zu bestellen, dauert aber rund eine Woche. Denn typischerweise sind, so Schiöberg-Fey, bereits fünf Minuten nach der Bekanntgabe des Preisträgers "die Lager leer". Zu diesem Massenansturm passt Otters Anekdote über den seit Jahren als heißen Favorit gehandelten Ngugi wa Thiong'o: "Dieses Jahr haben so viele Händler prophylaktisch die Bücher des Kenianers bestellt, dass er nicht mehr lieferbar ist." Doch zur Verwunderung des Ebersbergers wurden es dann doch zwei Mitteleuropäer. "Olga Tokarczuk sagte mir bis heute wenig, aber ich bin gespannt auf die Bücher dieser mit 57 Jahren relativ jungen Autorin. Vor allem schätze ich ihren Verlag sehr, den es erst seit zwei Jahren gibt, weil ich weiß, dass Kampa gute Bücher macht." Für Handke freut Otter sich deswegen, weil er nun wieder dessen literarische Qualität gesehen werde, nachdem er lange aufgrund seiner politischen Äußerungen so umstritten gewesen sei. Slawik, die die Werke Handkes als "Meilensteine" bezeichnet, spürt bei beiden Preisträgern das "Ringen um die Worte, in diesen Zeiten des Umbruchs neue Grenzen aufzuzeigen, im Leben und in der Literatur".

Bei der Beurteilung der Wahl hingegen scheiden sich die Geister: Während die Grafingerin diese "beachtenswert und spannend" findet, hätte sich Bartl, obwohl sie schon vor vierzig Jahren von Handke beeindruckt war, "eine mutigere Entscheidung" gewünscht und den Preis Leuten gegönnt, die "nicht so im Fokus stehen". Trotzdem findet sie es richtig, dass die Nobelpreise Menschen zuerkannt werden, die etwas Herausragendes zustande gebracht haben. Wolz wiederum schätzt die Liste der Preisträger als Spiegel des Zeitgeists und findet es spannend zu sehen, "wer auch nach 30 Jahren noch gelesen wird und wer sofort wieder in der Versenkung verschwindet". Wobken schließlich nennt den Preis "Zeichen einer Wertschätzung für Autoren, die uns aus der Komfortzone herausholen, indem sie Fehlentwicklungen der Gesellschaft aufzeigen".

Unterm Strich freut sich der örtliche Buchhandel also mehrheitlich über die Preisvergabe. Einerseits aufgrund der damit verbundenen Wertschätzung für die Literatur, andererseits über klingelnde Kassen, da man die Auswirkungen durchaus bei den Verkaufszahlen spüre. Umso mehr, wenn es sich um einen deutschsprachigen Preisträger handle. Gleichzeitig ist die Vergabe für die meisten immer noch höchst ominös und unvorhersehbar. Karen Schiöberg-Fey fasst es so zusammen: "Durch diese unglaubliche Geheimniskrämerei - es gibt ja keine Parameter - muss man die Entscheidung nehmen wie das Wetter!"

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