Ohne Hürden ins Internet:Grenzenlos klicken

Joachim Hellriegel, Experte für Barrierefreiheit im Internet

Der Glonner Joachim Hellriegel hat das Fachzentrum für Barrierefreiheit im Internet im Rehabilitationszentrum Pfennigparade aufgebaut.

(Foto: Privat)

Barrieren für Menschen mit Behinderung finden sich nicht nur auf der Straße, sondern auch im Netz. Auf den Webseiten der Landkreisgemeinden wird das Thema unterschiedlich stark berücksichtigt

Von Jonas Wengert, Ebersberg

Fahrstühle mit dem Hinweis "Außer Betrieb", defekte Blindenampeln oder Treppenaufgänge ohne Rampe: Dass all diese Dinge Barrieren für Menschen mit Behinderung darstellen können, ist einleuchtend. Barrieren finden sich jedoch nicht nur analog auf der Straße, sondern auch digital im Internet. Surfen im World Wide Web - für die meisten selbstverständlicher Bestandteil des täglichen Lebens - stellt Menschen mit körperlichen, kognitiven oder visuellen Einschränkungen mitunter vor große Schwierigkeiten.

Während öffentliche Stellen des Bundes bereits per EU-Richtlinie verpflichtet sind, ihre Webseiten und mobilen Anwendungen bis spätestens Herbst 2021 barrierefrei zu gestalten, gelten auf kommunaler Ebene noch Ausnahmen für bestimmte Behörden. Allerdings arbeiten auch einige Gemeinden bereits an einer besseren Zugänglichkeit ihrer Internetauftritte. Einige Mausklicks durch den Landkreis zeigen, wie unterschiedlich Barrierefreiheit im Netz aktuell gewährleistet wird.

Einzig Zorneding stellt seit einem knappen Jahr große Teile der Gemeindehomepage auch in Leichter Sprache zur Verfügung. Mit einfachen Worten, klarem Satzbau und unterstützt von Bildern wird unter anderem erklärt, wie ein neuer Personalausweis beantragt werden kann oder Mülltrennung korrekt funktioniert. Laut Zornedings Behindertenbeauftragtem Gregor Schlicksbier ist das Angebot sehr positiv aufgenommen worden. "Uns wurde gesagt, dass die Texte in leichter Sprache ein nützliches Angebot seien. Die Webseite wird allerdings weiterhin überarbeitet, und wir versuchen, weitere Angebote wie zum Beispiel eine Vorlesefunktion für blinde und sehbehinderte Menschen zu installieren", schildert Schlicksbier.

Anderorts orientiert man sich ebenfalls in diese Richtung. Im Juli beschloss der Gemeinderat in Vaterstetten, "die Übersetzung der wichtigsten Informationsangebote in Leichte Sprache sukzessive in Auftrag" zu geben. Das gleiche Gremium in Kirchseeon bekannte sich vor einigen Wochen sogar einstimmig zu einem ähnlich formulierten Vorhaben. In beiden Gemeinde hatten die jeweiligen SPD-Fraktionen einen entsprechenden Antrag eingebracht.

Aber was macht ein barrierefreies Netz eigentlich aus? Darüber gehen die Meinungen auseinander. "Leichte Sprache macht Texte verständlicher. Das ist gut und hilft zum Beispiel Menschen, die gerade erst Deutsch lernen", sagt Joachim Hellriegel. Der Gemeinderat der Grünen in Glonn baute zwischen 2008 und 2011 das Fachzentrum für Barrierefreiheit im Internet im Rehabilitationszentrum Pfennigparade in München auf. Was digitale Zugänglichkeit im Kern angehe, gebe es jedoch viel grundlegendere und entscheidendere Maßnahmen. Allgemein müsse jede Webseite wahrnehmbar, bedienbar und verständlich sein. "Konkret bedeuten diese Begriffe für einen blinden Menschen selbstverständlich etwas völlig anderes, als für einen bewegungseingeschränkten", so der 56-Jährige. Außerdem solle der Internetauftritt robust, sprich problemlos zugänglich sein, unabhängig vom Ausgabegerät. Konkrete Beispiele für die behindertengerechten Onlineauftritte sind laut Hellriegel eine vollständige Bedienbarkeit nur über die Tastatur sowie eine kontrastreiche Gestaltung. Er beruft sich auf die "Barrierefreie Informationstechnik Verordnung" (BITV 2.0), welche 50 Kriterien umfasst und dabei internationale Standards abbildet.

Auf vielen Gemeindewebseiten finden sich nebeneinander angeordnete Buchstaben in unterschiedlicher Größe. Sie symbolisieren die Möglichkeit, die Schriftgröße zu ändern. Für schlecht Sehende sei dies eine wichtige Funktion, sagt Hellriegel, nur leider gehe die Option per Mausklick am Problem vorbei. "Mit der Tastenkombination Steuerung und Plus kann jede Webseite um ein Vielfaches vergrößert werden." Wichtig sei deshalb eine Programmierung als sogenanntes fluides Layout. Aktuell bedienen sich die Hälfte aller Ortwebseiten im Landkreis dieses Mittels. Die Seite wird nicht einfach nur herangezoomt, vielmehr ordnen sich Texte und Bilder neu an. Weder überlappen sich Inhalte, noch wird die Seitenbreite verändert. Wer diesen Tastengriff jedoch einmal auf den Seiten der Stadt Ebersberg oder der Gemeinde Anzing ausprobiert, wird nicht nur feststellen, dass nach dem Zoom kräftig von rechts nach links gescrollt werden muss, vermutlich wird er die ein oder andere nun unscharfe Schrift wohl erst recht nicht mehr lesen können.

Auch der Nutzen integrierter Vorlesefunktionen ist umstritten. "Menschen mit kognitiven Schwierigkeiten bringt das vielleicht schon etwas, mir als Blindem aber nicht wirklich", sagt Stephan Dietrich. Er kann seit einem Autounfall vor zwölf Jahren nicht mehr sehen. Den Umgang mit dem PC habe er sich erst wieder neu aneignen müssen. Warum aber bringt ihm die Möglichkeit eines abgespielten Textes nichts? "Wie fast alle Blinden benutzte ich zum Surfen einen Screenreader. Der liest mir ohnehin die ganze Webseite vor", stellt der 30-Jährige klar. Vor allem könne er mit der Software das Tempo variieren. Um Informationen möglichst schnell aufzunehmen, sei sein Gehör mittlerweile bis auf das Vierfache der normalen Sprechgeschwindigkeit trainiert.

Barrieren träten laut Dietrich dann auf, wenn die Software Textbausteine nicht erkennen könne, beispielsweise wenn Informationen nur auf einem Bild und nicht noch separat darunter geschrieben stehen. Teilweise seien ganze Dokumente schlicht nicht screenreaderkompatibel. "Das fällt Sehenden logischerweise nicht auf, aber mancher Text in PDFs ist technisch nicht als Text sondern als Bild gespeichert", erklärt der Münchner. Insbesondere bei Behördenanträgen habe er da schon öfter Schwierigkeiten erlebt. Ein ganz anderes problematisches Beispiel seien automatisch startende Tonspuren oder Werbevideos. Ohne Vorwarnung erschrecke man sich regelrecht. "Wenn man nichts sieht, muss man dann oft sehr lange suchen, bis man den Stopp-Button findet."

Die neueste Gemeindehomepage im Landkreis gehört Markt Schwaben. Erst Mitte September ging sie nach langer Überarbeitung online. Bei der Gestaltung habe man selbstverständlich auch auf Barrierefreiheit geachtet, versichert Mitarbeiterin Andrea Frick. Dabei sei speziell auf die problemlose Nutzung von Screenreadern geachtet worden, indem man beispielsweise auf Abkürzungen verzichtet habe. Leichte Sprache wurde in Markt Schwaben hingegen bisher ausgeklammert. "Das Thema wird bei den Planung für das kommende Jahr berücksichtigt", so Frick.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: