Offener Brief:"Bestürzendes Demokratieverständnis"

Alexander Dobrindt bei CSU in Grafing

Mit einem Nachbarn, der SPD wählen wolle, solle man nicht mehr reden, dazu riet Alexander Dobrindt bei seinem Auftritt in Grafing.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Beim Kesselfleischessen in Grafing riet Verkehrsminister Alexander Dobrindt dem Publikum, nicht mehr mit dem Nachbarn zu sprechen, der SPD wählen will. Die Kreis-SPD fordert jetzt in einem offenen Brief, dass er diese Aussage zurücknimmt

Kesselfleischessen und Wahlkampf haben eines gemeinsam: Es geht deftig zu. Wenn beides auf einen Termin fällt, umso mehr - dennoch mag die Kreis-SPD bei Aussagen von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU), die vor gut einer Woche beim Kesselfleischessen in Grafing gefallen sind, kein Auge mehr zudrücken. Dobrindt hatte seinen Zuhörern bei seinem Auftritt im Bierzelt dazu geraten, nicht mehr mit dem Nachbarn zu sprechen, falls dieser überlege, im September die SPD zu wählen. "Diese Aussage befremdet uns als SPD-Kreisverband Ebersberg sehr, zeigt sie doch ein bestürzendes Demokratieverständnis", heißt es in einem offenen Brief, der vom Kreisvorsitzenden Thomas Vogt und seiner Stellvertreterin Doris Rauscher unterschrieben ist. Sie fordern Dobrindt auf, die Äußerung zurückzunehmen.

Demokratie lebe vom Dialog, darauf weist die SPD hin

Die Vertreter der Kreis-SPD weisen darauf hin, dass Demokratie vom Dialog und vom Austausch unterschiedlicher Ideen, Meinungen und Überzeugungen lebe. Gerade dann, wenn es vielfache politische Herausforderungen gebe, gelte es, die beste Lösung für die Gesellschaft im Gespräch zu finden, getragen vom gegenseitigen Respekt. "Ihr Vorschlag, den Dialog zu verweigern - offenbar auch über politische Themen hinaus - stellt diesen Grundsatz in Frage und erscheint gerade im Hinblick auf gesellschaftlich relevante Ereignisse wie eine Bundestagswahl völlig fehl am Platz", unterstreichen die beiden SPD-Politiker aus dem Landkreis.

Zudem offenbare Dobrindts Aussage "die unsägliche Haltung, einen Wahlkampf durch Diffamierung Andersdenkender zu führen". Die vom Verkehrsminister getätigte Aussage "erinnert uns an Vorgänge, wie wir sie aktuell aus der Türkei oder Venezuela hören".

Selbst im Wahlkampf geht so etwas nicht, urteilt die SPD

In politisch bewegten Zeiten, in denen es an gegenseitigem Respekt hinsichtlich unterschiedlicher Meinungen immer öfter mangle und in denen Angriffe auf Mitmenschen aufgrund ihrer Überzeugungen, ihrer Religion oder ihrer Sexualität weiter zunähmen, "sind Aussagen wie die Ihrige völlig deplatziert", heißt es in dem Brief weiter. Anstatt für einen guten Dialog einzutreten, suggeriere Dobrindt den Zuhörern, "dass es wieder gesellschaftsfähig ist, Andersdenkende für ihre Meinung mit Missachtung zu strafen".

Dass in Wahlkampfzeiten ein rauer Wind wehen könne und zugespitzte Angriffe auf den politischen Gegner nicht unterblieben, sei, so Vogt und Rauscher, eine natürliche Begleiterscheinung im Vorfeld einer Wahl. "Die Diffamierung politisch Andersdenkender bis hin zum Aufruf, Mitmenschen aufgrund ihrer politischen Überzeugung durch die Verweigerung von Gesprächen und normaler Umgangsformen zu bestrafen und sie so gesellschaftlich auszugrenzen, ist nach unserer Meinung eines amtierenden Ministers der Bundesrepublik Deutschland unwürdig", heißt es weiter: "Möchten Sie den Menschen in unserem Landkreis wirklich empfehlen, mit Nachbarn und Mitbürgern, die SPD wählen wollen, nicht mehr zu sprechen?"

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