Öffentlicher Nahverkehr:"In den heißen Landtagswahlkampf geraten"

Öffentlicher Nahverkehr: Robert Niedergesäß bei einer S-Bahn-Taufe im Jahr 2015.

Robert Niedergesäß bei einer S-Bahn-Taufe im Jahr 2015.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Im Landkreis München nimmt die Kritik an der MVV-Tarifreform zu. Ebersbergs Landrat Robert Niedergesäß (CSU) verteidigt sie - und sieht mehrere Gründe für den heftigen Gegenwind bei den Nachbarn

Interview Von Barbara Mooser, Ebersberg

Lange war über die MVV-Tarifreform verhandelt worden, nun könnte sie auf den letzten Metern doch noch gekippt werden. Vor allem im Landkreis München regt sich Kritik, der dortige CSU-Landtagsabgeordnete Ernst Weidenbusch behauptete, der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) habe selbst erklärt, die Landkreise "über den Tisch gezogen" zu haben - was wiederum Reiter bestreitet. Ebersbergs Landrat Robert Niedergesäß (CSU) saß als Sprecher der MVV-Landkreise mit am Verhandlungstisch - und fühlt sich nicht übervorteilt.

SZ: Was sagen Sie zu den Vorwürfen Weidenbuschs?

Robert Niedergesäß: Während der ganzen Verhandlungen zur Tarifreform seit 2015 hatten wir Landräte nicht den Eindruck, dass OB Dieter Reiter und auch Zweiter Bürgermeister Josef Schmid die Landkreise hier "über den Tisch ziehen" wollten. Die Verhandlungen waren geprägt von einem partnerschaftlichen Miteinander und Verständnis für die Position des jeweils anderen. Natürlich hat jeder versucht, für seine Region und seine Bürger das Beste herauszuholen, auch wir. Und das ist in vielen Bereichen auch gelungen!

Sind Nachverhandlungen notwendig?

Ein Kompromiss bedeutet immer, dass sich nicht jeder im Detail durchsetzen konnte. Die Landeshauptstadt, die Landkreise und der Freistaat haben naturgemäß unterschiedliche Interessen. Gerade auch der Freistaat hat Wert darauf gelegt, dass er keinen Präzedenzfall schafft, da er ja für ganz Bayern zuständig ist. Insofern hat der Freistaat auch vehement abgelehnt, Ausfallrisiken in der Übergangszeit zu tragen. Dafür hat der Freistaat aber die allgemeinen ÖPNV-Zuweisungen erhöht, insbesondere für Verkehrsverbünde. Allein für unseren Landkreis macht das schon 2018 eine satte Steigerung von über 220 000 Euro aus. Auch die Verkehrsunternehmen spielen eine nicht unwesentliche Rolle und haben jegliches Risiko von sich gewiesen. Hier mussten wir gegen deren Widerstand beschließen. Die Situation im Landkreis München ist sicher aufgrund der geografischen Lage um München herum eine ganz spezielle Situation, die nicht mit allen Landkreisen vergleichbar ist. Zudem ist das Thema dort nun in den heißen Landtagswahlkampf geraten, da die Kandidaten von CSU und SPD für den in der Reform umstrittenen Landkreisnorden beide auch stellvertretende Landräte sind und dieses Thema für sich entdeckt haben. Im Übrigen haben die Kreistage von Tölz-Wolfratshausen, Starnberg und Fürstenfeldbruck vor der Sommerpause jeweils mit breiter Mehrheit bis hin zur Einstimmigkeit zugestimmt.

Falls das Ganze noch einmal aufgeschnürt würde, welche Verbesserungen sollte der Landkreis versuchen zu erreichen?

Sollte das Paket wirklich noch einmal aufgeschnürt werden, würden wir uns noch einmal deutlich ins Zeug dafür legen, dass insbesondere die Einpendler aus den Außenbereichen bessergestellt würden. Durch die Forderung der Stadt München nach einer Flatrate wird es zudem für die Einpendler in den bisherigen Münchner Außenraum spürbar teurer, weil diese nun den ganzen Innenraum kaufen müssen. Dies war uns ein Dorn im Auge, war aber mit der Stadt nicht verhandelbar. Allerdings buchen laut Aussagen der Fachleute schon heute gut 90 Prozent der Fahrgäste den gesamten Innenraum. Ferner müssten wir für die Senioren noch etwas nachverhandeln, hier erreicht mich nachvollziehbare Kritik, die ich auch ernst nehme.

Fürchten Sie ein Scheitern der Reform?

Wenn ein Kreistag ablehnen sollte, haben wir schon ein Problem. Von den Statuten der MVV-Gesellschafter würde es reichen, wenn fünf von acht Landkreisen zustimmen, weil die Landkreise in der Gesellschafterversammlung mit einer Stimme sprechen. Allerdings müssen die Landkreise ja auch in der Anfangszeit der Tarifumstellung jeweils ein Ausfallrisiko übernehmen - im Fall von Ebersberg rund 375 000 Euro pro Jahr - und das im Kreistag beschließen. Wenn hier ein Landkreis aussteigt, dann würde sich dessen Risiko faktisch auf die anderen Landkreise verteilen. Ein Scheitern der Reform wäre kein gutes Zeichen, da die Reform insgesamt in die richtige Richtung geht, auch wenn sie sicher nicht der ganz große Wurf ist.

Wie sehen die Rückmeldungen der Bürgermeister aus? Gibt es aus stadtnahen Gemeinden wie Poing oder Vaterstetten Forderungen, dem Innenraum zugeordnet zu werden wie beispielsweise aus Ismaning oder Unterföhring?

Solche Forderungen kenne ich nicht. Gerade auch Vaterstetten und Poing profitieren von der Tarifreform. Für die meisten Kunden wird es spürbar günstiger. Zum Beispiel war auch der Abbau der Tarifsprünge dort eine Forderung, die wir durchgesetzt haben. Bis jetzt braucht man zum Beispiel von Vaterstetten vier Streifen nach München, in Haar nur zwei. Künftig braucht man nur noch drei Streifen aus Vaterstetten, das macht die Fahrt mit der Streifenkarte günstiger. Diese Beispiele lassen sich fortsetzen. Aufgrund der Vereinfachung des Systems kommt es zum Teil auch zu leichten Verteuerungen, wo dann zum Beispiel die Monatskarte um etwa zwei bis vier Euro teurer wird.

Falls die Münchner die Reform kippen, welche Folgen sind zu erwarten?

Dann würde die ganze Diskussion vermutlich von vorne losgehen, beziehungsweise auch errungene Kompromisse wieder in Frage gestellt werden. Auch das verbundweite Sozialticket, das nicht zuletzt auf meine Forderung hin gegen den Willen der meisten Partner durchgesetzt werden konnte, würde wieder diskutiert werden. Das wäre für die betroffenen Bürger sehr schade.

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