Öffentliche Diskussion gefordert:Grafinger Museumschef in der Kritik

Anlass ist eine Ausstellung über die Jahre 1918/19. Diese vermittle ein zu "rechtsnationales und verzerrtes Bild", so der Vorwurf, den das Bündnis für Grafing (BfG) und der DGB nun erheben. Der Stadtrat befasst sich am Dienstag mit dem Thema

Von Thorsten Rienth, Grafing

Seit Ende Oktober ist im Museum der Stadt nun schon eine Ausstellung zu den lokalen Wirren der Revolution von 1918/19 zu sehen. Doch jetzt, zweieinhalb Monate später, werden schwere Vorwürfe laut: Das Bündnis für Grafing (BfG) attestiert ein "rechtsnationales und verzerrtes" Geschichtsbild. Der Ebersberger Kreisverband des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) reagiert mit einer offiziellen Gegenrede zu der Ausstellung - ein bislang im Landkreis wohl einmaliger Vorgang.

"Das Alte stürzt, es ändern sich die Zeiten - die Revolution von 1918/19 in ihren Auswirkungen auf den Grafinger Raum", hatte Museumsleiter und Stadtarchivar Bernhard Schäfer als Kurator die Ausstellung benannt. In fünf Museumsräumen und mehreren Schaukästen und -tafeln trug er Dutzende Einzeldokumente zusammen. Mit ihnen wirft Schäfer einen lokalen Blick auf den politischen wie gesellschaftlichen Umbruch nach dem Ersten Weltkrieg.

Nach Ansicht des BfG und des DGB geschieht das jedoch auf die völlig falsche Weise. Die Ausstellung falle nach Ansicht etlicher Besucher durch "einseitige und tendenziöse Darstellung der Geschehnisse zugunsten der rechtsnationalen Freikorps" auf, kritisiert die BfG-Stadträtin Marlene Ottinger in einem für die Stadtratssitzung am Dienstag eingereichten Dringlichkeitsantrag. "Die Opfer der gewaltsamen Niederschlagung (der Räterepublik, Anm. d. Red.) verdienen gewürdigt zu werden und nicht deren Ermordungen und standrechtlichen Hinrichtungen gerechtfertigt und entschuldigt", fordert sie. Seit Weihnachten sei sie von mehreren Seiten kritisch auf die Ausstellung angesprochen worden. Dabei will sie auch erfahren haben, so schreibt die Stadträtin, dass Besucher bereits bei der Eröffnung im Oktober "ihrer Empörung über die Einseitigkeit Ausdruck geben wollten". Gelegenheit dazu hätten sie jedoch nicht bekommen. Der Antrag schaffe nun im Stadtrat die überfällige "Möglichkeit zur öffentlichen Diskussion".

Museum Grafing - Ausstellung Revolution 1918

Museumsleiter Bernhard Schäfer wirft in der Ausstellung einen lokalen Blick auf den gesellschaftlichen Umbruch nach dem Ersten Weltkrieg.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Dazu legte das BfG einen Katalog von zehn Fragen bei. Das Bündnis will zum Beispiel wissen, ob es bei derartigen Ausstellungen eine Qualitätskontrolle gebe, was die "genaue fachliche Qualifikation" von Kurator Schäfer sei, ob Bürgermeisterin Angelika Obermayr (Grüne) die Ausstellung vorab gesehen habe und ob bereits Schulklassen die Ausstellung besucht hätten. Ebenfalls beigeheftet ist eine Kommentierung des Rosenheimer Privatschullehrers Andreas Salomon. "Wer gewisse Grundkenntnisse über die Novemberrevolution hat, wird von der Ausstellung wegen ihrer Parteinahme und Einseitigkeit enttäuscht sein", kritisiert er. "Wer über nur wenige oder gar keine Kenntnisse verfügt, wird nicht in die Lage versetzt, die damaligen Ereignisse auch nur einigermaßen korrekt einschätzen zu können."

Drei Tage nachdem Ottingers Antrag am 4. Januar im Grafinger Rathaus eingegangen war, meldete sich auch der DGB-Kreisverband zu Wort, der enge Verbindungen zum BfG pflegt. Die Ausstellung mache "kritische Anmerkungen und wichtige Ergänzungen" notwendig, schreibt er. Ein Podium werde sie am Montagabend, 14. Januar, in der Grafinger Weinstube "zum Sirtl" präsentieren.

Kurator Schäfer kann die Aufregung um die Ausstellung so recht nicht nachvollziehen. Er nehme zur Kenntnis, dass seine Kritiker anderes erwartet hätten, sagte er zur SZ. "Aber eine Allerweltausstellung, sozusagen eine Gesamtschau der Räterepublik und ihrer Niederschlagung, die kann jemand in München machen. Im Museum der Stadt braucht sie einen klaren örtlichen Bezug." Die Stimmung in der Stadt sei zu der Zeit eine klar antirevolutionäre gewesen. "Das ist nun einmal die Quellenlage - die in der Ausstellung auch so zu sehen ist."

Rotes München

Es war nur eine kurze Phase in der Geschichte: Vom 7. April bis zum 3. Mai 1919 bestand in München die Räterepublik - doch ihre Macht reichte kaum über die Stadtgrenzen hinaus. Am 1. Mai rückten rechtsnationale Freikorps in München ein. Dort hatte die der Räterepublik unterstellte Rote Armee tags zuvor zehn als Geiseln genommene Mitglieder der deutsch-völkischen Thulegesellschaft ermordet.

Die Rache der Freikorps sei grausam gewesen, ordnet etwa das Deutsche Historische Museum (DHM) auf seiner Internetseite ein. Dem Einmarsch seien mindestens 335 Zivilisten zum Opfer gefallen. Die Toten bis zur schlussendlichen Niederschlagung der Räterepublik beziffert das DHM auf mehr als 600. Da zahlreiche Protagonisten der Linken jüdischer Herkunft waren, sei gerade in München "eine Welle von wüstem Antisemitismus" auf die Niederschlagung gefolgt.thri

Den Vorwurf, er habe bei der Vernissage kritische Wortmeldungen unterbunden, weist der Historiker entschieden zurück. "Es hat sich doch überhaupt niemand gemeldet, der etwas sagen wollte." Und wenn? "Dann hätte ich natürlich versucht, das moderierend zu gestalten."

In der Öffentlichkeit jedenfalls erhielt die Ausstellung auch Lob, etwa vom Zornedinger Heimathistoriker Peter Maicher. Der hatte im Oktober in einem Leserbrief zur Vernissage etwa ausdrücklich Schäfers Didaktik hervorgehoben. Dessen Texttafeln würden zunächst die "verwickelten Zusammenhänge und Motive" darstellen. "Mit solch Hintergrundwissen reich ausgestattet, vermag man sich aus den zahlreichen historischen Schriftstücken, Presseausschnitten und Fotos (...) ein scharf belichtetes Geschichtsbild formen."

Zu sehen ist die Ausstellung noch bis zum 10. Februar, und zwar sonntags von 14 bis 16 Uhr und donnerstags von 18 bis 20 Uhr.

Eine Veranstaltung des DGB mit kritischen Anmerkungen und Ergänzungen zur Ausstellung gibt es am Montag, 14. Januar. Beginn in der Weinstube "Zum Sirtl" ist um 19 Uhr. Es referieren die DGB-Kreisvorsitzende Maria Volland, Günter Baumgartner und Manfred Sambs von der Aktivgruppe DGB Ebersberg, sowie Andreas Salomon und Georg Wiesmaier von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Am Dienstag, 15. Januar, befasst sich der Stadtrat mit dem BfG-Antrag. Beginn ist um 19 Uhr im Rathaus.

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