Das begehrteste Gerät im Tonstudio von Christof Bachmeier ist zurzeit ein kleiner, alter Fernseher ohne Rückwand. Nur dank ihm nämlich lässt sich der Inhalt beinahe historischer VHS-Kassetten wiedergeben. Bei der ersten Inbetriebnahme habe der Fernseher schrecklich geraucht, erzählt Bachmeier und lacht. „Da war so viel Staub drin, dass es zu brennen angefangen hat.“ Deswegen habe er die Verkleidung abgeschraubt und das Innenleben gereinigt. Nun funktioniere das Teil wieder einwandfrei.
Zum Glück, denn momentan sind Bachmeier und seine Familie schwer damit beschäftigt, das Archiv des Musikers, der seine aktive Karriere eigentlich bereits beendet hat, zu sichten. Sie sind auf der Suche nach Material rund um einen eigentlich längst vergessenen Song, der plötzlich heiß begehrt ist auf der ganzen Welt: „Just a Game“ lautet sein Titel, Bachmeier hat ihn 1988 komponiert für ein Wohltätigkeitskonzert in der Grafinger Stadthalle. Die Musiker wollten Spenden sammeln für die von Karlheinz Böhm gegründete Stiftung Menschen für Menschen, es ging um hungernde äthiopische Kinder. Eine Benefizaktion also, die Bachmeier nun zu gänzlich unerwartetem Ruhm verholfen hat.
Ohne das Internet aber gäbe es diese ganze verrückte, schöne Geschichte nicht. Auch nicht ohne einen User namens „Gabor72“, der im Jahr 2018 den Ausschnitt eines mysteriösen Songs auf einer Plattform hochgeladen hat, wohl in der Hoffnung, dass jemand den Titel identifizieren könne. Doch niemand wusste etwas über diese 30 Sekunden Musik – und so kam eine Suchaktion ins Rollen.
Auf Reddit, einem Onlineportal, fahndeten schließlich Hunderte Menschen jahrelang nach der vollständigen Version von „Just a Game“ und nach Informationen darüber. Wilde Spekulationen und Gerüchte inklusive. Sogar kreativ wurden die Fans, sie kreierten potenzielle CD-Cover und per KI sogar Remixe, es gebe inzwischen eine französische Version oder eine im Punk-Rock-Stil, erzählt Bachmeier und lacht.
Das Problem: „Just a Game“ war 1988 in Grafing von einer eigens zusammengestellten Band aus Musikerfreunden live gespielt worden, außerdem gab es an dem Abend eine Vinyl-Single davon zu kaufen, alles für den guten Zweck. Doch darüber hinaus wurde das Lied nie weiter aufgeführt, verbreitet oder gar digitalisiert. Die übrig gebliebenen Schallplatten wanderten auf den Speicher der Bachmeiers in Oberpframmern. Von wo sie der Musiker nun wieder hervorgeholt hat.
Die große Frage aber, die auch Bachmeier nicht beantworten kann, lautet: Woher hatte Gabor72, angeblich ein Ungar mit einer Vorliebe für italienische Musik, den Songschnipsel überhaupt? Dieses Rätsel wird sich leider nicht mehr lösen lassen, denn der Initiator der Suche nach dem verlorenen Lied ist inzwischen gestorben. Durchaus tragisch, dass die ganze Sache erst nach seinem Tod Anfang 2024 wirklich Fahrt aufgenommen hat: Ungefähr zu jenem Zeitpunkt nämlich kontaktierte die Community Gabors Tochter, die schließlich doch eine komplette Version von „Just a Game“ fand – und zwar wohl direkt auf dem PC ihres Vaters.
„Ich hab’ bestätigt, dass ich der Richtige bin, und einfach gefragt: ,How can I help you?’“
Über die Gema landeten die Musikdetektive schließlich in Oberpframmern. Denn Bachmeier hatte den Song bei der „Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte“ registrieren lassen und dabei auch die erste Zeile der Lyrics mit angegeben, „um eine Identifikation zu ermöglichen“. Lieder mit dem Titel „Just a Game“ gebe es nämlich zuhauf. Und so landete schließlich eine auf Englisch verfasste Mail in Bachmeiers Postfach. „Ich hab’ bestätigt, dass ich der Richtige bin, und einfach gefragt: ,How can I help you?’“, erzählt er. Daraufhin sei ein digitaler Sturm der Begeisterung ausgebrochen. „We got him!“ Wir haben ihn. Endlich.
Noch mehr aus dem Häuschen gerieten die Liebhaber des Songs, als Bachmeier ihnen erklärte, noch im Besitz der originalen Masterbänder von 1988 zu sein, und ankündigte, „Just a Game“ nun digitalisieren zu wollen. „Außerdem hab’ ich eine längst vergessene Videoaufnahme gefunden, die zeigt, wie Mario Lehner den Song in meinem Studio einsingt.“ Der Digitalversion von „Just a Game“ auf Youtube stellte Bachmeier einen Ausschnitt dieses Videos voran – eine Hommage an den 2010 bei einem tragischen Unfall gestorbenen Musikerfreund, dessen markante, soulige Stimme die Refrains veredelt.
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Neben Mario Lehner haben an der Rock-Pop-Nummer Regina Simon, Karli Mayer und Bachmeier selbst mitgewirkt. Der Name des Charity-Projekts vor 36 Jahren lautete „Change to Win“. Der Titel ziert auch die Single, auf der sich neben dem nun so gehypten Song noch ein zweites, ebenfalls für das damalige Konzert geschriebenes Lied befindet: „A chance to change“, geschrieben von Josef Bartl, Rudi Baumann und Kathrin Green.
Bei „Just a Game“ habe er versucht, dem Benefizthema gerecht zu werden, erzählt Bachmeier: Der Text verweist auf die „verzweifelten Kinder in der Wüste“, das Leben wird besungen als ein Spiel, das manchmal traurig sei, manchmal lustig. Und doch will der Refrain Hoffnung vermitteln: Man müsse die Regeln nicht kennen, um dieses Spiel zu spielen – und könne selbst entscheiden, wie man dem Leben und seiner Unvorhersehbarkeit gegenüberstehe: „You can choose the way you play“.
Bachmeiers Wohnzimmer sieht inzwischen aus wie eine Paketstation, denn der Musiker hat seinen Followern angeboten, die Singles zu verschicken – mit durchschlagendem Erfolg. Rund 450 Anfragen sind bislang in Oberpframmern eingegangen, die Päckchen reisen von dort rund um den Globus, vor allem in die USA, aber auch nach Irland, Norwegen, Neufundland oder Peru, sogar an Orte, wo die nächste Post einen eintägigen Fußmarsch entfernt liege, erzählt Bachmeier. „Deswegen hat mich der Empfänger gebeten, Bescheid zu sagen, wann die Platte ungefähr ankommen wird.“
Bezahlen muss für die Platte niemand, lediglich um eine Spende für die Stiftung Menschen für Menschen bittet ihr Oberpframmerner Schöpfer – und um einen kleinen Gefallen: In den Umschlägen finden die Fans neben der Single von 1988 und einer handschriftlichen Widmung einen kleinen Zettel mit einer Bitte: „Ich hätte nämlich sehr gern ein Feedback, am liebsten ein Foto mit der Single an einem markanten Punkt der jeweiligen Umgebung.“
„Eine total spannende und schöne Geschichte“, sagt Stiftungsmitarbeiterin Amelie Knaus. „Wir freuen uns riesig, dass wir nach dem Benefizkonzert 1988 wieder Teil davon sein dürfen.“ Die Fans des Songs hätten inzwischen bereits knapp 1900 Euro gespendet, berichtet sie.
„Mein Papa macht Musik seit er 14 ist“, sagt Violetta Ditterich, die den ganzen Trubel um ihren Vater begeistert begleitet und dokumentiert. Bachmeiers erste Band 1975 hieß Stainless Steel Back (SSB), wenige Jahre später baute er einen Schweinestall zum Studio um, machte sein Diplom als Tonmeister. Anfang der 90er entstanden die Zuckerband und die Musikfirma Oton. Bachmeier spielt Bass, Gitarre und Klavier. Er komponierte und produzierte, Geld verdiente er vor allem mit Werbe-Jingles, Sounddesign und Musik fürs Fernsehen.
Man kann wohl sagen: Christof Bachmeier war erfolgreich, aber nie berühmt. Doch nun ist er für seine zahlreichen Fans in aller Welt ein „Hero“, sein alter Song ein „absoluter Hit“. Sein gerade erst eingerichteter Youtube-Chanel hat bereits mehr als 1000 Abonnenten, das Video zum Song wurde 30 000 Mal aufgerufen. Wenn man den Namen des 63-Jährigen bei Google eingibt, schlägt der Algorithmus sofort „Just a Game“ als Ergänzung vor. „Die Menschen graben gerade alles aus, was sie über mich finden können“, sagt Bachmeier und lacht. Auch die Familie ist schwer bewegt. Bruder Markus sagt: „Nach dem ersten Ton war die Erinnerung sofort wieder da!“, und Schwester Gundi erzählt, sie habe „geheult vor Freude“.
Bachmeier wurde durch den Hype inspiriert, seine Archivarbeit zu intensivieren
Und was sagt der neue Star selbst zu dem Rummel? Er sei überwältigt, sagt Bachmeier, die ganze Geschichte sei für ihn „ein Symbol für vereinte Menschen auf der ganzen Welt“. Außerdem freue er sich über all die begeisterten Reaktionen viel mehr als über einen Charthit – auch wenn er wohl gern für ein anderes Werk bekannt geworden wäre. Ausgerechnet „Just a Game“ habe er eigentlich nie wieder angehört, gesteht er. „Ich hab’ mich eher dafür geschämt, vor allem für den mehr schlecht als recht zusammengezimmerten Text.“
Andererseits hat ihn der Hype inspiriert, seine bereits begonnene Archivarbeit zu intensivieren. „Ich hatte eh’ beschlossen, nichts Neues mehr zu machen, sondern nur noch das Alte zu sichten, zu sortieren, zu digitalisieren und vielleicht ein paar halbfertige Ideen nochmal anzupacken“, erzählt Bachmeier. Der neue Youtube-Kanal könnte nun zu einem richtigen Digitalarchiv werden, sagt Tochter Violetta, zu einer Plattform für ein ganzes Musikerleben. Ton-, Bild- und Videomaterial jedenfalls scheint es in Oberpframmern genug zu geben.
Gerade erst hat Bachmeier einen zweiten, bisher unveröffentlichten Song hochgeladen. „What is up ... must come down“ stammt aus dem Jahr 1992 und wurde gesungen von Mario Lehner. An den Drums saß Wolfgang Lohmeier, Akkordeon und Keyboard spielte Christof von Haniel, die Sologitarre Knud Mensing, Bachmeier Bass und akustische Gitarre. Die Botschaft des so kraft- wie gefühlvollen Songs lautet „believe in yourself“, zu sehen gibt es Videoaufnahmen von einem Lagerfeuerfest in Oberpframmern, inklusive herrlicher 90er-Outfits und eines riesigen Mobiltelefons.
Und wer weiß, was Christof Bachmeier noch so alles findet in seinem Haus, vielleicht sogar einen Livemitschnitt vom Benefizkonzert in Grafing damals. Eine vielversprechend beschriftete VHS-Kassette lässt jedenfalls Gutes hoffen.