Süddeutsche Zeitung

Nur sieben Prüflinge erfolgreich:Scheitern mit System

Seit Jahren besteht nur ein Bruchteil der angemeldeten Absolventen der Freien Schule Glonntal die Mittlere Reife. Leiter Hartmut Lüling sieht das als Teil der Erlebnispädagogik.

Von Isabel Meixner

Von der Freien Schule Glonntal haben in diesem Jahr nur wenige Schüler die externen Prüfungen zur Mittleren Reife bestanden. Von 17 angemeldeten Schülern traten überhaupt nur zwölf zu den Abschlussexamen an, gerade einmal sieben waren erfolgreich. Während sich an den staatlichen Realschulen zwischen 97 und 98 Prozent der jungen Menschen über ihre Mittlere Reife freuen können, sind es in Glonntal nur 41 Prozent. Für Hartmut Lüling, Leiter der Glonntal-Schule, ist diese Zahl allerdings kein Problem, sondern Teil der Erlebnispädagogik, die die Schule verfolgt: "Das ist eine Mutfrage. Wenn man nichts wagt, entwickeln die Jugendlichen nicht das, was sie fürs Leben brauchen." Wenn Schüler sich austesten und zu den Prüfungen antreten möchten, halte man sie nicht ab. Wenn sie dann durchfallen, ist das für Lüling kein Scheitern: "Sie konnten ihren Mut beweisen."

Bereits in den vergangenen Jahren hatten sich mehr Glonntal-Schüler zu den externen Prüfungen an der Realschule Ebersberg angemeldet, als letztlich angetreten sind. Im vergangenen Jahr fielen von acht Angemeldeten zwei durch, 2012 sechs von 15 und 2011 acht von elf. 2010 bestanden nur vier von elf Schülern die Mittlere Reife. Einige Jugendliche meldeten sich an, um sich die Chance auf die Prüfungen offenzuhalten, sagt Lüling. Warum sie dann letztlich nicht antreten, habe häufig mit den "speziellen Biografien" zu tun.

In diesem Jahr hätten sich viele jüngere Schüler für die Prüfungen angemeldet, die aus Sicht des Schulleiters von der Persönlichkeit noch nicht bereit für den Abschluss waren: "Ihr Motivations- und Durchhaltevermögen ist noch nicht ausgeprägt." Er habe manchem Schüler davon abgeraten, zu den Prüfungen anzutreten: "Wir lassen niemanden ins Messer rennen. Aber wir wollen auch nicht selektieren." Ein Versäumnis in der Unterrichtsplanung sieht Lüling nicht.

Bei der Glonntal-Schule handelt es sich laut Bayerischem Kultusministerium um eine staatlich genehmigte Einrichtung. Sie kann, im Gegensatz zu einer staatlich anerkannten Schule, keine staatlichen Abschlüsse wie das Abitur oder die Mittlere Reife vergeben. Stattdessen müssen ihre Schüler die Prüfungen extern schreiben, und zwar in größerem Umfang als die Absolventen von staatlichen oder staatlich anerkannten Einrichtungen: Sie können ihre Noten aus dem laufenden Schuljahr nicht einbringen.

An der Glonntal-Schule könnten sie das ohnehin nicht, denn dort gibt es keine Bewertungen, wie es im Internet heißt: "Wir verzichten ganz bewusst darauf, die Leistungen der Schüler in abstrakten Noten zu messen. Auch ein 'Sitzenbleiben' gibt es bei uns nicht." Stattdessen zählt das Lernen durch Entdecken und Erfahren zu den Hauptpfeilern des Konzepts. In der Mittelstufe etwa segeln die Schüler mehrere Wochen auf einem Schiff durch das Mittelmeer. Das Kultusministerium lässt den staatlich genehmigten Schulen in ihrem Lehrplan freie Hand, solange sie nicht gegen Grundsätze des Grundgesetzes verstoßen. Erst wenn eine Schule staatlich anerkannt werden möchte, müsse sie sich an die bayerischen Lehrpläne halten, sagt ein Pressesprecher.

In Glonntal werden die Schüler - gleich, ob sie Mittlere Reife oder Abitur anstreben - bis zur zwölften Klasse unterrichtet. Der Lehrplan orientiere sich an dem der Waldorfschulen. Immer wieder wollten Jugendliche bereits nach der zehnten Klasse ihren Abschluss, sagt Lüling. Er sieht das kritisch. Man befinde sich in einem Entwicklungsprozess, der nicht unterbrochen werden sollte: "Sie werden flügge, haben aber keine Flügel." Ein junger Mensch brauche 18 bis 19 Jahre, bis seine Persönlichkeit ausgereift sei.

Wie die Schüler auf derartige Misserfolge reagieren? Der Leiter gibt zu, dass es bei manchen "antipathische Gefühle" gegenüber der Glonntal-Schule gebe: "Wir befinden uns mit den Jugendlichen in sehr intensiven Prozessen." Weiter möchte Lüling das nicht ausführen. Er verweist stattdessen darauf, dass es in der Verantwortung der Kinder liege zu erkennen, wann ihr Motivations- und Durchhaltevermögen ausgebildet sind: "Das ist nicht unser Job."

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