Süddeutsche Zeitung

Nur 42 Prozent gingen zur Landratswahl:Der reizlose Weg zur Urne

Laut Experten ist Apathie ein Grund - und Unwissen über das Amt des Landrats

Anja Blum

Es ist paradox: Gerade dort, wo die Politik den Menschen am nächsten ist, finden sie besonders selten den Weg an die Urne. Am Sonntag waren die Ebersberger aufgerufen, einen neuen Landrat zu bestimmen - doch von diesem Recht machten nur 42 Prozent Gebrauch. Die letzte Landratskür außerhalb der turnusmäßigen Wahlen fand in Ebersberg vor 19 Jahren statt: Damals, 1994, gaben noch 53 Prozent ihre Stimme ab. "Die Wahlbeteiligung geht generell zurück, aber besonders eklatant ist es auf kommunaler Ebene", sagt Edgar Grande, Professor für Politikwissenschaft an der LMU München. Hier ließen sich die Menschen noch schlechter mobilisieren als bei Wahlen auf Bundes- oder Landesebene. Das liege vor allem daran, dass die lokalen Themen weniger ideologischen Diskussionsstoff böten und dass es den Parteien lokal demzufolge auch nicht so gut gelinge, die Menschen anzusprechen. "Es geht hier eben nicht um die großen Entwürfe, um Freiheit oder Sozialismus, sondern um Straßen und Kindergärten - also um eigentlich unpolitische Fragen", erklärt der Professor.

Generell verzeichnen die Experten einen "Trend zur politischen Apathie", den sie mit vielerlei Aspekten begründen. Grande sieht vor allem die Kräfte der Individualisierung am Werk: Die sozialen Gruppen und Milieus lösten sich immer mehr auf und verlören damit ihre politische Einflussnahme. "Parteien, Kirchen und Gewerkschaften verlieren alle an Mitgliedern." Daraus folgt auch, was Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, konstatiert: "Es wird einfach nicht mehr als Pflicht angesehen, zwischen Kirche und Mittagessen zum Wählen zu gehen - so wie das früher einmal war." Auch werde das Fernbleiben von der Urne nicht mehr moralisch sanktioniert. Laut Michael Efler vom Verein "Mehr Demokratie" sind es vor allem bildungsferne und einkommensschwache Schichten, die sich zunehmend aus politischen Prozessen "ausklinken". Diese wieder mehr anzusprechen, mit Aktionen auf dem Marktplatz oder an der Haustür und vor allem mit einfacherer Sprache, sieht er als einzige Möglichkeit, die Wahlbeteiligung wieder anzukurbeln. "Ansonsten haben auch wir kein Patentrezept."

Die niedrige Beteiligung in Ebersberg indes ist laut Grande auch über den Trend hinaus verwunderlich: "Da ging es doch um was, und der Ausgang war ungewiss - das ist eigentlich immer ein starker Anreiz, zur Wahl zu gehen", sagt der Professor. Ein Problem sehen die Experten im Amt des Landrats: Er nehme eine eigentümliche "Zwitterrolle" ein, sagt Efler, zwischen Verwaltung, Landespolitik und kommunalen Entscheidungen. Die Folge sei, dass sich wahrscheinlich viele fragten: "Was macht der eigentlich?" Der Bürgermeister sei da den Menschen "schon viel näher". Außerdem immer schwierig: ein Urnengang außer der Reihe und noch dazu im Schatten größerer Wahlen. "Deswegen ist es immer besser, die Termine möglichst zusammenzulegen", sagt Grande. Eine ganz andere Erklärung für das geringe Interesse liefert Akademiechefin Münch: "Vielleicht ist der Leidensdruck in Ebersberg einfach nicht so hoch?" Jedenfalls sei der Wunsch nach Protest offenbar nicht sehr ausgeprägt.

Dass die Beteiligung an der Stichwahl am 28. April noch einmal steigen wird, halten die Experten für unwahrscheinlich - ganz im Gegenteil. "Der Trend geht hier ganz klar zurück", sagt Efler und plädiert deswegen für ein ganz anderes Wahlsystem, mit dem schon im ersten Durchgang mittels mehrerer Präferenzen ein Gewinner ermittelt werden könne.

Laut Grande und Münch hängt die Beteiligung an der Stichwahl von den Erwartungen ab, also davon, ob der Ausgang offen sei. Denn nur dann könne echte Wechselstimmung aufkommen. Und davon, ob die beiden unterlegenen Parteien ihre Anhänger für einen der anderen Kandidaten noch einmal mobilisierten. "Aber ich vermute nicht, dass es spannend wird, denn die Distanz ist schon ziemlich groß", prophezeit Grande.

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SZ vom 16.04.2013
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