Notfall-Einsätze:Wenn die entscheidenden Sekunden fehlen

Rotes Kreuz Rettungskräfte

In Notfällen können Sekunden über Leben und Tod entscheiden.

(Foto: dpa)

Ebersbergs Rettungskräfte treffen bei mehr als jedem zehnten Einsatz nach der 12-Minuten-Frist ein. Der Landkreis steht damit schlechter da als der bayerische Durchschnitt.

Von Jan Schwenkenbecher

Zwölf Minuten. In dieser Zeit sollen bayerische Rettungskräfte in Notfällen vor Ort sein. Die Ebersberger SPD-Landtagsabgeordnete Doris Rauscher lernte jüngst höchstpersönlich, wie schwierig es sein kann, diese Frist einzuhalten - sie machte bei einem Praxistag mit einem Einsatz-Fahrteam des Roten Kreuzes (BRK) Ebersberg mit. "Deren Haltung ist natürlich, so schnell wie möglich beim Patienten zu sein", sagt Rauscher. "Die wissen, wie das ist, einen Tick zu spät zu kommen." Wenige Sekunden können über die Gesundheit eines Menschen entscheiden, manchmal sogar über Leben und Tod.

Die Hilfsfrist, so heißt die Zwölf-Minuten-Grenze im bayerischen Rettungsdienstgesetz, ist nicht auf medizinische Erkenntnisse zurückzuführen. Sie ist in jedem Bundesland unterschiedlich lang, am kürzesten ist sie mit acht Minuten in Berlin. Die Hilfsfrist ist ein Mittelweg zwischen Schnelligkeit und Machbarkeit. Für den alarmierten Rettungssanitäter ist die Frist in der Praxis nebensächlich - er fährt bei einem Notfall eh so schnell er kann. Wichtig ist die Frist vor allem für die Organisation, weil so die Standorte der Rettungsdienste bestimmt werden. Rettungswachen und Stellplätze werden im Freistaat so platziert, dass ein Krankenwagen in zwölf Minuten an jeden Ort gelangt, der an einer Straße gelegen ist.

Trotz dieser festgelegten Hilfsfrist, kommt es immer wieder zu Notfällen, in denen die Einsatzkräfte länger brauchen. Im Rettungsdienstbereich Erding, einer der 26 Bereiche Bayerns, zu dem neben Freising auch Ebersberg gehört, wurde laut Rettungsdienstbericht Bayern die Hilfsfrist im Jahr 2015 in 89,3 Prozent aller Einsätze eingehalten. Mehr als jeder zehnte Rettungswagen brauchte länger. Damit lag Erding unter dem bayerischen Durchschnitt von 91 Prozent.

Drei rund um die Uhr besetzte Rettungswachen gibt es im Landkreis Ebersberg: in Vaterstetten, Markt Schwaben und in Ebersberg. Dazu gibt es noch einen Stellplatz in Grafing, der von neun bis 23 Uhr besetzt ist. Für den Grafinger Stellplatz liegen keine Zahlen im Rettungsdienstbericht vor, wohl aber für die drei Rettungswachen. In der Kreisstadt schafften es die Sanitäter im Jahr 2015 in 86 Prozent der Fälle, die Hilfsfrist einzuhalten, in Markt Schwaben waren es 86,9 Prozent - beides deutlich unter dem bayerischen Durchschnitt. Einzig Vaterstetten schaffte es, mit 91,6 Prozent über den Durchschnittswert.

BRK

Mehr als 2100 Hilfeleistungen haben die Aktiven des Bayerischen Roten Kreuzes im Landkreis vergangenes Jahr erbracht.

(Foto: BRK)

Die Leitstelle für Ebersberg reagiert bayernweit am zweitlangsamsten

Woran genau es bei den Einsätzen hapert? Auch das zeigen die Zahlen aus dem Rettungsbericht. Dort sind die zwölf Minuten noch mal in drei Abschnitte unterteilt: Leitstellenintervall, Ausrückintervall und Fahrzeit. Alle Notrufe aus dem Landkreis Ebersberg landen zunächst bei der Integrierten Leistelle (ILS) Erding. Die funkt dann die nächstgelegene Rettungswache an.

Das Leitstellenintervall beschreibt die Zeit, die die Leitstelle vom Öffnen der Eingabemaske des Notrufs braucht, bis sie Rettungswache oder Stellplatz alarmiert hat. Zwischen 2006 und 2015 stieg dieser Wert in Bayern von 1:34 auf 2:05 Minuten. Der Erdinger Rettungsdienstbereich schnitt hier besonders schlecht ab, die ILS benötigte 2015 im Mittel 2:29 Minuten. Der zweitschlechteste Wert aller bayerischen Rettungsdienstbereiche. Woran das lag, dazu gab die ILS keine Stellungnahme ab.

Schneller geworden sind die Einsatzkräfte hingegen beim Ausrückintervall, der Zeit, die die Rettungswache nach dem Eingang des Alarms braucht, bis der Wagen losfährt. Diese Zeit sank in Bayern in den letzten zehn Jahren von 1:40 auf 1:19 Minuten. Der dritte Zeitabschnitt, die reine Fahrzeit der Rettungskräfte, stieg wiederum, von 5:09 auf 5:46 Minuten.

Für letzteres, die Fahrzeit, liegt das Problem auf der Straße. "Verkehr, Baustellen, Tageszeit", sagt Martha Stark, stellvertretende Kreisgeschäftsführerin und Leiterin der Rettungsdienste BRK Ebersberg, über die Hindernisse der Rettungskräfte. "Wir merken alle, dass die Straßen voller sind." Sie selbst ist seit 20 Jahren bei den Rettungskräften, 19 Jahre davon rückte sie im Notfall selbst mit aus. Eine besondere Herausforderung seien Straßensperren, sagt sie.

Das Rote Kreuz sucht jetzt nach Ehrenamtlichen, die vor Ort helfen

"Gerade haben wir beispielsweise eine Sperrung der Bahnübergänge in Grafing. Das teilt Grafing in zwei Hälften und da haben wir keinen Einfluss darauf." Die Situation sei ihnen mitgeteilt worden, reagieren könne sie darauf aber nicht. "Ich kann nicht einen Rettungswagen auf beide Seiten stellen. Die Grundanzahl der Einsatzwagen ist vorgegeben, das denken nicht wir uns aus."

Für Landtagspolitikerin Rauscher sind die Werte der Rettungswachen im Landkreis Ebersberg zwar noch kein Grund zur Beunruhigung, dennoch solle man sie im Auge behalten. "Ich will da jetzt auch gar nicht Alarm schlagen", sagt sie, "auch wenn wir unter der bayerischen Quote liegen." Dennoch sei es schon mehr als jeder zehnte Patient, der da länger warten müsse. "Ich würde mal sagen, wir sollten über 90 Prozent kommen." So 91, 92 Prozent, das wäre zunächst mal eine Zielmarke, die erreicht werden solle. "Ziel sollte sein, nicht unter bayerischem Durchschnitt zu liegen", so Rauscher. Allerdings sei es auch nicht so, dass Bürger Angst haben müssten, dass sie schlecht versorgt werden.

Dass das so ist, darum kümmert sich Martha Stark. Um die professionellen Einsatzkräfte zu unterstützen, baut das BRK Ebersberg derzeit ein First-Responder-Netzwerk auf. "Das sind ehrenamtliche Helfer, die parallel mit den Rettungskräften informiert werden", sagt Stark. Die Ausbildung und das Material stelle das BRK zur Verfügung. "Die sind meistens viel schneller da und ergreifen dann schon die ersten Maßnahmen, bis der Rettungsdienst eintrifft." Derzeit gebe es die First-Responder im Landkreis Ebersberg in Glonn, Hohenlinden und Poing. Von der Zwölf-Minuten-Frist befreien die Ehrenamtler die Profis allerdings nicht.

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