Seit gut 30 Jahren beschäftigt sich Norbert Haberkorn intensiv mit Kunst. Angefangen hat der Autodidakt mit Skulpturen und Malerei, später kam die Fotografie hinzu – ebenso wie Installationen und Collagen. Teile seines Schaffens präsentiert der Mittsiebziger nun in der Pastettener „Hofkitchen“.

Auf keinen Fall fehlen darf dabei S2_Life-In-Transit. Tausende Pendler kennen den Blick aus dem Fenster im S-Bahn-Abschnitt zwischen Poing und München Hauptbahnhof – sollte man meinen. Und doch unterscheidet sich das gewaltig von dem, was Haberkorn bei seinem photosoziologischen Langzeitprojekt seit 2009 mit seiner Kompaktkamera einfängt. Ganz ohne Manipulation und Nachbearbeitung, nur mithilfe unterschiedlich langer Belichtungszeit oder durch die Wahl des Bildausschnitts sind so verblüffende Zeitdokumente zwischen Wirklichkeit und Kunst entstanden.

Weitere Fotoarbeiten hat er unter dem Oberbegriff Natur und Struktur zusammengefasst. Entstanden sind die Abbilder von Küsten und Stränden dort, wo der Poinger und seine schwedische Ehefrau so gern Zeit verbringen: auf seiner Lieblingsinsel Gotland. Dabei seien „Schnelligkeit, Zufall und Experiment“ Teil des Prozesses, um das Aufeinandertreffen von Wasser und Land passend in Szene zu setzen.
Doch nicht nur die Schönheit der Natur hat es dem studierten Elektrotechniker angetan, der zwar seine frühe Jugend in ländlicher Umgebung in der Gegend von Bad Tölz verbrachte, aber als Ingenieur für Projekt- und Teamentwicklung beruflich die ganze Welt bereiste. Auch Umwelt und Politik waren ihm stets wichtige Impulsgeber. In einem Gespräch sagte der Vater und Großvater einmal, zum Wohle der Kinder sei es quasi ein „Muss“, sich einzumischen.
Dass Haberkorn sich gern mit der Aktualität beschäftigt, zeigt seine Auseinandersetzung mit den Inhalten ausgewählter Seiten der Süddeutschen Zeitung. Er selbst hat die malerischen Reflexionen und Konnotationen zu und auf Bildern und Texten als SZ Kon-texturen bezeichnet. Vor allem Ausgaben der Jahre 2003 und 2004 bilden die Grundlage für diese Produkte mit ironischer Brechung oder Verstärkung der Inhalte.

Bei „Bagdad um halb acht“ etwa hat Haberkorn die gleichnamige Kurzgeschichte von Maxim Biller, veröffentlicht in der SZ vom 19./20./21. April 2003, zum Anlass genommen, seinen widersprüchlichen Gedanken beim Lesen und Betrachten der Seite Ausdruck zu verleihen. Das Ergebnis ist eine „Marienerscheinung“, erkennbar durch das Blau im Textblock, also eine „Friedensmadonna in diesem Land, nahe dem Geburtsort Jesu … in dem jetzt der Krieg tobt …“, wie er erläutert.

Ganz anders die Stimmung in „Bei Tisch“ (Ausgabe vom 14./15. Februar 2004). Sofort habe er sich hineingezogen gefühlt in die Tafelrunde von „Kant und seine Tischgenossen“. Die philosophische Gelöstheit und Klarheit des Werkes von Emil Doerstling habe den Wunsch erzeugt „dem Motiv etwas Gleichwertiges hinzuzufügen, dagegenzustellen, zu ergänzen!“ Das habe - was sonst! - die Schönheit von Blumen sein müssen, „collagiert!“, schildert Haberkorn den Entstehungsprozess.

Besondere Wucht entwickelt schließlich die „Damenwahl“, ursprünglich zu finden in der SZ vom 27./28. September 2003. „Allein der Titel kontrastiert die abgesengte, keusche, demütige Haltung der abgebildeten Dame. Ein Auge öffnet sich, widerspricht ganz frei und fragend, provozierend dem Blick des Betrachters“, erklärt Haberkorn.
Auch im Projekt „NothingButBlue“, das er seit 2019 regelmäßig um weitere 30 mal 30 Zentimeter große Werke erweitert, ergänzen sich zuweilen eigene Zeichnungen mit Fremdmaterial – hier einer Streichholzschachtel, dort einer Whisky-Verpackung.
Das zentrale Element dabei ist die Farbe. Unter Zuhilfenahme von Kuli, Füller, Stift, Pinsel, Spachtel, per Spray, als Stoffstück oder Foto entstehen Zeichnungen, Bilder oder Collagen in jeder nur denkbaren Schattierung, Tönung oder Nuance von Blau. „Weiß als Co-Farbe ist erlaubt.“

Komplettiert wird das abwechslungsreiche Ausstellungserlebnis durch Ölbilder, gemalt nach einer Reise durch die Weinlandschaften des Burgenlands und der Steiermark. Besonders ist hier die Technik, mit der er Wein und Weinstöcke bei Tag und bei Nacht malte: Die Farbe wurde mit den Fingern auf die Leinwand gebracht – „auch um der stofflichen Üppigkeit des reifenden Weines Rechnung zu tragen“. Doch auch hier bleibt die Brechung nicht aus: An manchen Stellen wurden „nachträgliche Krakeleien und Ritzungen mit spitzen Gegenständen“ angebracht.

Beim Blick auf die Vielfalt des Schaffens von Norbert Haberkorn wird klar, dass der Künstler einen wachen Blick hat fürs Detail, aber auch für das große Ganze. Offen ist er für Inspiration, ob vor der Haustür in Poing, im Norden Europas oder gar in Asien. Ebenso schätzt er den Kontakt und Austausch mit anderen Kunstschaffenden. Rund vier Jahre lang war er sogar selbst als Galerist tätig, seit 2012 ist er Teil des Kunst-Netzwerks „Kunststoff“. Die Mitglieder, alle aus dem Landkreisnorden, laden einmal im Jahr zum Besuch ihrer Werkstätten und Ateliers. Künstlergespräche, wie sie bei dieser Gelegenheit stattfinden, wird es sicher auch bei der Vernissage geben.
GranulArt: Vernissage am Dienstag, 28. Januar, 19 Uhr. Ausstellungsdauer: bis März 2025. Hofkitchen, Harrain/Pastetten. Besuch zu verschiedenen Zeiten möglich, Anmeldung erforderlich. (0171) 1290969 oder www.hofkitchen.de.