Vaterstettenerin bei den Grünen:"Vieles würde ohne meinen Mann nicht funktionieren"

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Nicole "Nici" Augustin, Grünen-Politikerin aus Vaterstetten und Mitglied im Bundesfrauenrat. (Foto: Ilona Stelzl/oh)

Nicole Augustin aus Purfing wird bei der Fortsetzung des Parteitags mit überwältigender Mehrheit in den Bundesfrauenrat der Grünen gewählt. Warum sie mit 37 noch in die Politik ging - und wie sich das mit Beruf und Kindern vereinen lässt.

Interview von Michaela Pelz

Manches dauert in der Politik sehr lange - manchmal aber geht es ganz schnell: 2020 wurde Nicole Augustin, genannt "Nici", Teil des Grünen-Ortsvorstands in Vaterstetten, nachdem sie erst ein Jahr zuvor in die Partei eingetreten war. Wieder ein Jahr später kandidierte die 39-Jährige, die in einem Tech-Startup für die Kundenkommunikation zuständig ist, als Delegierte für den Bundesfrauenrat und bekam die meisten Stimmen. Im Interview spricht die Purfingerin über die Herausforderungen für berufstätige Mütter wie sie selbst, was sie antreibt - und warum sich ihre Bewerbungsrede anfühlte wie wenn man ein Pflaster abreißt.

SZ: Frau Augustin, arbeiten Sie lieber mit Frauen oder mit Männern zusammen?

Nicole Augustin: Das ist mir tatsächlich egal, Hauptsache der Mensch ist gut. Also jemand, der hält, was er verspricht, zuverlässig ist, kreativ und nicht zu bierernst, mit Spaß bei der Sache.

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Freunde kann man sich aussuchen, Partei-Kollegen eher nicht, oder?

Ich glaube, dass ich grundsätzlich mit vielen Menschen auskomme. Innerhalb der eigenen Partei kann man sich meist auf gemeinsame Werte verständigen, selbst wenn sich die Ansichten in den Details unterscheiden. Das macht uns aus: Wir diskutieren über Themen und suchen nach einer gemeinsamen Basis. Politik besteht in der Hauptsache darin, Kompromisse einzugehen, aber so, dass sich alle wiederfinden, ohne den jeweiligen Standpunkt komplett zu verwaschen.

Das haben Sie auch im Bundesfrauenrat vor. Was ist dessen wichtigste Aufgabe?

Die Koordination der frauenpolitischen und gleichstellungspolitischen Arbeit innerhalb der Partei als oberstes Gremium. Mindestens zweimal im Jahr wird getagt. Da der Bundesfrauenrat aus vielen Delegierten aus vielen Bereichen besteht, hat er eine große Sprachkraft.

Am 22. Januar bekamen Sie unter 13 Bewerberinnen bei der Wahl der vier Delegierten aus Bayern die meisten Stimmen.

Das stimmt. Im ersten Wahlgang waren es 131 von 291. Weil das nicht der absoluten Mehrheit entsprach, gab es eine zweite Runde. Mit 162 von 290 hatte ich dann genug Stimmen.

Es stand deutlich mehr an als die Wahl für den Bundesfrauenrat. Es musste einiges von der Landesdelegiertenkonferenz vom November 2021 nachgeholt werden. Was war der Grund?

Aufgrund des unglaublichen Mitgliederzuwachses hatten sich viele gute Leute auf Ämter beworben. Weil man jedem zugestehen wollte, eine Rede zu halten, war in der Novembersitzung am Ende zu wenig Zeit. Es handelte sich ja um eine Präsenzveranstaltung, zu der die Menschen aus ganz Bayern nach Augsburg gekommen waren. Irgendwann mussten viele abreisen und wir waren nicht mehr beschlussfähig, darum wurden diverse Wahlen verschoben.

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Von Michaela Pelz

Hatten Sie Ihre Rede da schon gehalten?

Nein, leider nicht (lacht). Der Abbruch zeichnete sich ja schon mittags ab und es bringt ja nix, eine Rede zu halten, wenn die Wahl erst drei Monate später stattfindet. Da weiß ja keiner mehr, was gesagt wurde.

Wie ging es Ihnen in der Zwischenzeit?

Ich war schon geknickt. Man hat sich vorbereitet, hat all seinen Mut zusammengenommen, um in einer Messehalle zu sprechen, in der bis zu 600 Leute sitzen. Von der Aufregung her ist das absolut nicht zu vergleichen mit der digitalen Versammlung von vor ein paar Tagen, bei der ich in meinem Wohnzimmer vor meinem Laptop saß. Die Energie, die in einer Halle entsteht, wenn jemand etwas sagt und alle applaudieren, die ist schon etwas ganz Besonderes.

Wie fühlte es sich jetzt, beim zweiten Mal an - waren Sie schon routinierter, weniger aufgeregt?

Mit Hilfe einer Kollegin aus der Partei habe ich vorher noch einmal alles durchgetestet - danach war es so: Einmal tief Luft holen, Pflaster abreißen, durchziehen. Ich hatte diese Rede geschrieben, sie war meine. Was da stand, hat mir gefallen, gab mir ein gutes Gefühl.

In Ihrer Rede ging es auch darum, wie Frauen im Alltag Steine in den Weg gelegt werden. Wo passiert das am meisten?

Im Bereich, der im Englischen "Mental Load" heißt. Das geht ja bei vielen Müttern morgens schon los: Brotzeit machen, dann überlegen: Wer hat Fußball, wer hat Schwimmen, wer muss wann abgeholt werden und wann waren die Kinder eigentlich zum letzten Mal beim Zahnarzt? Dieses ständige Kreiseln ist es, das einen am Ende des Tages so müde macht. Kein Wunder also, wenn man am Abend keine Kraft mehr hat, um irgendwohin zu gehen und sich zu engagieren. Gerade bei der Doppelbelastung Arbeit und Familie.

Mit 37 sind Sie in eine Partei eingetreten. Wie kam es dann dazu?

Ich hatte lange mit dem Gedanken gespielt, ausschlaggebend war dann, dass eine Bekannte in den Ortsverband eingetreten ist. Die sagte mir: "Du, es tut gar nicht weh, die sind voll nett!" Und das stimmt: Es handelt sich nicht um einen elitären Club, wie ich befürchtet hatte, jeder ist willkommen, jeder darf sich einbringen.

Auch im Bundesfrauenrat basieren die Beschlüsse auf gemeinsamen Werten. Welches "Herzensthema" möchten Sie dort als erstes zur Sprache bringen?

Weil es auch meine Realität ist: Wie können wir die Vereinbarkeit von Familie und Beruf einfacher machen, dafür sorgen, dass die Menschen Zeit und Kraft für ein Ehrenamt haben. Es kann nicht sein, dass man deswegen auf Kinder verzichten muss. Vielleicht wäre es stattdessen sinnvoll, wenn man nicht mehr 40 Stunden arbeitet, sondern nur noch 30 oder 35.

Mit "alle" meinen Sie...

Frauen und Männer. Es ist doch so: Im Sportverein finden sich keine Trainerinnen und Trainer, weil niemand Zeit hat. Es muss sich im Gesamten drehen - das freiwillige Engagement muss mehr Anerkennung finden. Wir müssen für alle Erleichterung schaffen, damit wir nicht nur im Hamsterrad stecken. Die Realität hat sich verändert. Auch Väter möchten Teil des Ganzen sein.

Welche Rolle hat Gleichberechtigung bei Ihnen zuhause?

Mein Mann und ich haben es uns aufgeteilt, jeder weiß, wo er seinen Bereich hat. Darauf können wir uns auch verlassen. Vieles würde ohne meinen Mann nicht funktionieren, wenn er nicht selbstverständlich anpacken würde. Bei den Jungs ist noch Aufholbedarf, was das Mithelfen im Haushalt anbetrifft (lacht) - wie wohl bei allen Acht- bis Zehnjährigen.

Ihr Motto in einem Satz?

Wenn einem etwas wichtig ist, muss man es machen.

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