Neues Projekt in Ebersberg:"Die Lösung aller Probleme"

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Auch in Ebersberg gibt es nun eine Regionalgruppe der Gemeinwohl-Ökonomie Bayern. Der Verein ist Teil einer weltweiten Bewegung und möchte zum wirtschaftlichen Umdenken anregen

Von Karin Pill, Ebersberg

"So kann es doch nicht weitergehen", sagt Lakhena Leng und bringt damit kurz und knapp auf den Punkt, was die Motivation ihres Projektes ist. Denn Leng engagiert sich für Gemeinwohl-Ökonomie. Zusammen mit Georg Hengster agiert sie als Koordinatorin der Regionalgruppe Ebersberg für Gemeinwohl-Ökonomie in Bayern. Gemeinwohl-Ökonomie - dieser sperrige Begriff hat nichts mit kommunistischer Weltanschauung zu tun, sagt Hengster. "Als wir vor vier Wochen unseren Landrat um Unterstützung bei der Verteilung von Einladungen gebeten haben, wusste auch der nicht, was GWÖ eigentlich ist", sagt Hengster.

Die GWÖ, wie Hengster es abkürzt, "ist ein Wirtschaftsmodell, in dem der Mensch als solcher im Mittelpunkt steht. GWÖ ist eine ethische Marktwirtschaft, deren Ziel nicht die Vermehrung von Geldkapital ist, sondern das gute Leben für alle", sagt er. Um es noch stärker zu verdeutlichen, fügt Leng hinzu: "Alle Menschen müssen wirtschaftlich handeln. Je günstiger die Produkte und Dienstleistungen sind, desto besser. Die Konsequenz ist aber häufig eine Überproduktion, weil eine Massenproduktion in Billiglohnländern einfach günstiger ist." Doch der Preis dieser Wirtschaftlichkeit ist nicht menschenwürdig, so Leng und Hengster einstimmig.

Hengster, studierter Volkswirt und ehemaliger IT-Mitarbeiter von Siemens, ist seit zwei Jahren in Rente. Ihm war es wichtig, "im Leben noch was zu bewirken", wie er sagt. Er wollte enkeltauglich leben, also ein Leben führen, das nicht die Lebensgrundlagen anderer Menschen auf der Welt zerstört. Hengster las mehrere Bücher und informierte sich eingehend. "Für mich stellte sich heraus, dass Gemeinwohl-Ökonomie die Lösung aller Probleme ist", so Hengster.

Doch die nächsten GWÖ-Regionalgruppen gab es damals nur in München oder Wasserburg. Hengster hätte immer das Auto nehmen müssen. Ganz und gar nicht nachhaltig, befand er. So schloss er sich mit Ebersbergs Dritter Bürgermeisterin Lakhena Leng zusammen, die er zuvor auf einer Wahlveranstaltung kennengelernt hatte. Sie gründeten im März 2020 die Regionalgruppe Ebersberg für Gemeinwohl-Ökonomie. Damit ist die Ebersberger Regionalgruppe nun Teil einer großen Bewegung, die weltweit vertreten ist.

Mit circa 4000 aktiven Mitgliedern, 600 Unternehmen, 200 engagierten Hochschulen sowie knapp 60 aktiven Gemeinden machen sie sich dafür stark, dass die heutigen Regeln der Wirtschaft - Ausbeutung und schlechte Bezahlung von Arbeitskräften sowie unökologisches Handeln - nicht weiter unterstützt werden. "Wir wollen, dass nicht die Unternehmen profitieren, die ein Produkt am günstigsten anbieten, sondern Firmen, die Menschenwürde und Solidarität großschreiben", so Leng. Unternehmensgewinne sollen nicht der Vermögensvermehrung externer Kapitalgeber dienen, sondern Freiräume für gemeinwohlorientiertes Wirtschaften schaffen. Ohne Druck zu größtmöglicher Kapitalrendite.

Leng, die auch als Stadt- und Kreisrätin auf kommunaler Ebene Erfahrung hat, beschreibt, wie das nachhaltige Modell in der Realität umgesetzt werden kann: "Unternehmen, die menschenwürdig, gerecht, ökologisch und transparent handeln, können beispielsweise Steuervorteile erhalten. Ein weiterer Punkt, bei dem wir in der Kommunalpolitik enormen Einfluss nehmen können, ist die Vergabe von Aufträgen. Man könnte zuerst dem Unternehmen einen Auftrag geben, das zum Beispiel viel Wert auf Umweltschutz legt".

Der selbständigen Unternehmerin ist außerdem wichtig, dass nicht mehr alles nur in Zahlen und Euro bewertet wird. Vielmehr möchte sie "Werten wieder einen Wert geben, die, zumindest aktuell, noch nicht monetär messbar sind". Das Modell der Gemeinwohlökonomie hat da seine eigene Methode für die Wertemessung entwickelt. Unternehmen können eine Gemeinwohl-Bilanz erstellen, die den Umgang mit ihren Berührungsgruppen bewertet. Für 20 Themen wie zum Beispiel Menschenwürde, Solidarität und Gerechtigkeit werden Plus- und Minuspunkte vergeben. Diese münden dann in eine Gesamtpunktzahl. Alle Unternehmen, die sich qualifizieren, erhalten dann ein Label und so können Kunden und Auftraggeber eine bewusste Entscheidung treffen.

Während Hengster die Gemeinwohl-Ökonomie "im großen Stil denkt", wie er sagt, sieht Leng es eher als Modell und möchte vorrangig kleine Dinge umsetzen. 2019 gründete sie zusammen mit einem Geschäftspartner ihr eigenes Unternehmen. Sie beschlossen, dass sie nicht nur auf Gewinne aus sein wollten, sondern es sollte um die Menschen gehen; um die Kunden einerseits und um ihre eigenen Mitarbeiter andererseits. "Ich möchte die Menschen zum Umdenken bewegen. Die Idee sollte sein, dass man bei jeder wirtschaftlichen Handlung reflektiert 'Was mache ich da eigentlich?'"

Als Dritte Bürgermeisterin der Kreisstadt hat Leng eine Position inne, in der sie Entscheidungen treffen kann. Dennoch ist den beiden Gründern der Ebersberger Regionalgruppe wichtig zu betonen, dass die Gruppe völlig überparteilich agiert. Sie wollen keine Politik machen, sondern Menschen für ihre Idee gewinnen. Sie möchten als Hüter des Gemeinwohls verstanden werden und Kommunalpolitiker dazu bewegen, bei der Auftragsvergabe genau zu reflektieren: Zahlt der Lieferant soziale Löhne? Verfügt er über eine nachhaltige Produktion?

Corona-bedingt sind große Versammlung derzeit natürlich undenkbar. Dennoch fand im Oktober ein Zoom-Treffen mit 32 Teilnehmern statt. Auf lange Sicht ist es Hengsters Wunsch, dass "80 Prozent der Menschen im Landkreis wissen, was Gemeinwohl-Ökonomie überhaupt ist". Hengster ist seinem Ziel immerhin schon einen kleinen Schritt nähergekommen. Seit er nämlich Landrat Robert Niedergesäß (CSU) um die Verteilung von Einladungen zum Zoom-Treffen bat, weiß dieser nun, was sich hinter dem Begriff Gemeinwohl-Ökonomie verbirgt.

© SZ vom 04.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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