Süddeutsche Zeitung

Denkmal in Wasserburg:"Ort der Erinnerungsarbeit für die ganze Region"

Wasserburg errichtet ein Denkmal für die Opfer des Nationalsozialismus. 700 Menschen kamen dort einst ums Leben, viele Einheimische starben an Euthanasie.

Von Ulrich Pfaffenberger, Wasserburg

Die Opfer hat man einst aus der Mitte der Gesellschaft herausgerissen. Mit dem Denkmal am Heisererplatz kehren sie nun dorthin zurück." Ein berührender Gedanke, den Steffi König, Stadträtin in Wasserburg und Jurymitglied, ausspricht, als die Inn-Stadt vorstellt, wie sie künftig der Wasserburger Opfer des Nationalsozialismus an zentraler Stelle im Ort gedenken will: Eine im Oval lose angeordnete Gruppe von 60 Stelen aus Stahl, unterschiedlich hoch, mit trapezförmigem Querschnitt.

Die breitere Außenfläche ist spiegelglatt poliert, die schmälere Innenseite mit den Namen und dem jeweiligen Alter der rund 700 bekannten Opfer beschriftet - das ist die Idee der beiden Stuttgarter Künstler und Designer Dagmar Korintenberg und Wolf Kipper, die als Sieger aus dem Denkmal-Wettbewerb hervorgegangen sind. Neben Vertretern der Parteien im Stadtrat waren in der Jury auch Künstler, Historiker und die Stadtbaumeisterin sowie Vertreter der KBO-Klinik und von Stift Attel, aus deren Einrichtungen vor allem die Euthanasie-Opfer kamen.

Die spiegelnden Flächen sollen es sein, denen das Verbindende zwischen einst und jetzt zukommt. Sie werden nicht nur Fragmente des Stadtbilds aufnehmen und reflektieren, sondern vor allem auch die Besucher und Passanten rund um das Denkmal optisch einbeziehen. Dass es an einem Schulweg liegt und obendrein in einem Park, der schon zwei steinerne Monumente für die Gefallenen zweier Weltkriege und des Kriegs 1870/71 beherbergt, binde das künftige Denkmal - es soll 2020 errichtet werden - stark in die Geschichte und das Leben der Stadt ein, ist sich die Jury einig.

Sitze sollen zum Verweilen und Nachdenken einladen

Wobei deren Äußerungen während der Präsentation ein seltenes Bild der Verständigung erkennen lassen: Die aufwendige Auswahl von zunächst fünf aus 95 Vorschlägen zur Ausarbeitung und die offenbar knappe Entscheidung für den Siegerentwurf hat keine Gräben hinterlassen und keine Widersprüche.

Einmütig bekennt sich die Jury, über Parteien, Funktionen und Kompetenzen hinweg zum Ergebnis des mehrjährigen Prozesses aus Idee, Planung, Forschung, Wettbewerb. Kein Nachtarocken, kein "Aber, wenn...", keine Nachforderung: Die Haltung der Verantwortlichen wird der Würde der Aufgabe gerecht. Dies auch im Sinne der heute in Wasserburg Lebenden, denen es leicht gemacht werden soll, das neue Denkmal anzunehmen.

Sitzgelegenheiten im Inneren sollen zum Verweilen einladen, zum Innehalten und Nachdenken. "Das Denkmal fällt auf und ist offen für alle", merkt Stadträtin und Jurorin Marlene Hof-Hippke an. "Da können auch Kinder dazwischen spielen." Diese Brücke zwischen gestern, heute und morgen kommt auch in der Idee zum Ausdruck, von der sich die beiden Gestalter des Denkmals leiten ließen, das "stille und in sich gekehrte Andenken an die historischen Personen und Schicksale zum einen.

Zum anderen ist es auch Teil einer reflektierten Erinnerungskultur, historische Geschehnisse nicht nur als Ereignis der Vergangenheit zu betrachten, sondern als geschichtliches Wissen in den heutigen Alltag zu integrieren."

Opfer aus Gabersee und Attel hatten den größten Anteil

Auch wenn die Euthanasie-Opfer aus Gabersee und Attel von der Zahl her den größten Anteil haben, soll das Denkmal aller Menschen gedenken, die dem Nationalsozialismus in Wasserburg zum Opfer fielen, betont Bürgermeister Michael Kölbl. Darum finden sich auf den Stelen auch die Namen von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern, Kriegstoten, politischen Opfern, Wehrdienstverweigerern und Deserteuren sowie Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfern.

Mancher von ihnen wird bereits an anderer Stelle in der Stadt mit eigenen Gedenktafeln gedacht, unter anderem auf Friedhöfen und am Klinikum. Doch die Opfer als Gemeinschaft zu zeigen, das war eines der innersten Anliegen der Jury. "Wir wollen ihnen ihr Gesicht und ihren Namen zurückgeben", sagt Peter Rink vom Historischen Verein Wasserburg. "Es soll eine Auffälligkeit durch den Platz geben und eine Individualität im Gedenken." Wobei das "Gesicht" das des Betrachters sein kann: In der Begegnung mit dem eigenen Spiegelbild kehren die Ermordeten, die sich auf eine vermeintliche Normalität und den Schutz der Gesellschaft verlassen wollten, in die Gemeinschaft zurück.

Über den Zeitpunkt der Entscheidung für ein solches Denkmal sagt Stadtarchivar Matthias Haupt, dass solch eine Initiative erst heute in dieser Form überhaupt möglich sei. Denn erst 2018 sei die Forschung nach den Opfern in Wasserburg soweit gediehen, dass keine wesentlichen Lücken mehr bestünden.

Dennoch gehen Haupt und der ebenfalls intensiv forschende Bezirksarchivar Nikolaus Braun davon aus, dass sie noch nicht alle Opfer haben ausfindig machen können. "Wir sind sehr weit gekommen, aber noch nicht am Ende", sagt Haupt und verweist auf den Verlust zahlreicher Quellen, die über den Verbleib von Menschen berichten könnten.

"Jeder Tote einer zu viel"

Auf der anderen Seite hätten sich gerade aus dem zeitlichen Abstand heraus manche Quellen aufgetan, die - zum Beispiel wegen familiären oder institutionellen Schweigens - in der Vergangenheit gefehlt hätten. Leere Flächen auf den Stelen sollen nun zeigen, dass es noch immer blinde Flecken bei der Suche nach möglichen Opfern des Nationalsozialismus gibt, und gleichzeitig Raum bieten, um neu gefundene Namen zu ergänzen.

Gerade weil viele der Ermordeten aus den beiden Anstalten in Gabersee und Attel keine gebürtigen Wasserburger waren, sondern aus einem größeren Einzugsgebiet stammten, sieht Rainer Schneider, stellvertretender Bezirkstagspräsident, in dem Denkmal einen "Ort der Erinnerungsarbeit für die ganze Region". Es gehe dabei nicht darum, nach Herkunft und Anlass für die Ermordung zu trennen oder aufzurechnen: "Jeder Grund war in sich falsch, jeder Tote einer zu viel", sagt er mit Hinweis auf die benachbarten Mahnmale für die Gefallenen.

Ein Gedanke, der sich auch in einer Anmerkung von Stadtrat und Juror Lorenz Huber widerspiegelt: "Ich bin von frühesten Kindesbeinen an vertraut mit den Bewohnern von Attel und Gabersee in unserer Nachbarschaft. Wie konnte man da nur von ,lebensunwert' sprechen?" Nicht nur er wünscht sich, dass das neue Denkmal nachhaltig Wirkung zeigt - "weit nach unserer Generation".

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Quelle:
SZ vom 29.03.2019/koei
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