Süddeutsche Zeitung

Neue Konzertreihe in Vaterstetten:Wenn Musik das Schwimmbecken flutet

Gelungene Premiere von "Beyond the Mainstream" aus Vaterstetten: Geigerin Sunny Howard und Gitarristin Ingrid Westermeier geben leidenschaftliches Duett im alten Hallenbad von Baldham

Von Ulrich Pfaffenberger

Die einen haben keinen Publikumsverkehr, die anderen keine Auftrittsmöglichkeiten - und viele den großen Wunsch, wenigstens ein bisschen das kulturelle Leben wieder aufblühen zu lassen. Auf solchem Boden gedeiht Kreativität und bringt dann Ideen hervor wie "Beyond the Mainstream". So nennt Vaterstetten eine neue Reihe von Online-Konzerten, die am Sonntagabend mit einem Stream aus dem alten Hallenbad in Baldham begann. Wie sich in der einstündigen Übertragung zeigte, nicht nur eine ungewöhnliche Kulisse, sondern auch eine akustisch überzeugende Räumlichkeit.

Ein wasserloses, blau gekacheltes Becken als Auftrittsort? Eine Lösung, die offenbar mit flexibler Hilfe aus dem Rathaus zustande kam, als die Zeit knapp wurde, um die Reihe zu beginnen. Christl Mitterer und Kay Rainer, federführend für das neue Angebot, sind wohl schon auf einige Locations gestoßen, die abseits eingeschlagener Pfade liegen und damit dem Konzept entsprechen. Aber die Entscheidung für den Premieren-Ort erfolgte dann doch relativ kurzfristig, nahte doch schon der zweite Termin, bereits fest vereinbart: am Sonntag, 13. Juni, bei Käfer in Parsdorf.

Was ein solches Konzert von Live-Veranstaltungen unterscheidet, ist der hohe technische Aufwand. Während Konzertsäle mit allem ausgestattet sind, was man braucht, um den Klang zum Publikum zu bringen, muss in diesem Fall alles herangeschafft und installiert werden. So war dann auch am Sonntag die tiefe Seite des Beckens gefüllt mit Monitoren, Steuerpulten, Lautsprechern und Technikern, um dafür zu sorgen, dass erstens die Qualität der Aufnahme stimmte und dass sie, zweitens, auch zuverlässig in die Welt hinausgetragen wurde. Bei dem Team, das sich schon um die Übertragungen aus der Musikschule gekümmert und dabei einen erstklassigen Job gemeistert hat, konnte man in Vaterstetten auf Eigengewächse zugreifen.

Kunst kommt von Können: Dieser Merksatz schließt bei Streams nunmehr nicht nur die Solisten und Ensembles ein, sondern auch die Übermittler. Wie souverän und präzise die jungen Männer an den Reglern arbeiteten, ließ sich zum Beispiel bei jenen Passagen vernehmen, in denen Sunny Howard in höchstem Tempo und in den höchsten Lagen ihrer Geige den Teufel eines irischen Volkslieds kreischen und tanzen ließ. Dass ein solcher Moment online genauso intensiv ankommt wie live, dafür müssen alle Beteiligten einander tief vertrauen. Nicht anders bei der Bildführung, die zwischen Totale und Nahaufnahme wechselte, dabei aber nicht allein dem Auge folgen darf, sondern auch die Melodie und deren Dramaturgie zum Wegweiser haben muss. Es ist einen Applaus wert, wie hier innerhalb eines guten Jahres eine Qualität gereift ist, die sich mit Fernsehstandards messen kann. Das laute Herabzählen von Zehn auf Null des Regisseurs zu Beginn der Sendung war nur das äußere Signal für durchgängige Studioatmosphäre. Diese war offenbar auch bei Howard und Gitarristin Ingrid Westermeier angekommen: Die Anspannung im Vorfeld und die Erleichterung nach dem "Fading out" war bei beiden erkennbar. Ansonsten: Wer so viele Jahre Bühnen- und Lehrerfahrung mitbringt, den werfen auch ungewohnte Situationen nicht aus der Bahn. So entwickelte sich das Konzert zu einem leidenschaftlichen, fröhlichen Miteinander der beiden Solistinnen.

Hätte es noch eines Beweises bedurft, warum sich die Kombination Geige-Gitarre einer so großen Beliebtheit erfreut, Howard und Westermeier haben ihn an diesem Abend geliefert. Mit einer traditionellen Malaguena eröffnete das Duo seine musikalische Reise, glitt im bewegten Tanzschritt hinüber in den Csardas bevor es den irischen "Boatman" in See stechen und nach getaner Arbeit in eine gesellige Runde zurückspringen ließ. Filigrane Stimmvariationen auf der Geige begegneten dabei kräftigen Rhythmusgriffen, die Poesie der bereisten Landschaft fand sich ebenso wieder wie die Stimmen und Gefühle der jeweiligen Bewohner. Mit zwei "Horas" aus der Klezmer-Musik brachte das Duo Würze ins Klangbild, mit der traditionellen rumänischen Weise "Die Lerche" und dem russischen "Gari, Gari" (Brenne, brenne!) erwiesen sie dem Kunstlied wie dem Volkslied ihre Referenz, in einer unwiderstehlichen Fusion von Impressionismus und Imitation. Bestens aufeinander abgestimmt und im ebenso raschen wie schlüssigen Wechsel der Stimmführung ließen die beiden Musikerinnen genau jene Art von Konzert entstehen, bei dem Zeit und Raum sich auflösen, weil die Musik alles umfängt. Da trat dann sogar die Hallenbad-Kulisse in den Hintergrund, die gleichwohl einen optischen Genuss beisteuerte und der Übertragung einen Mehrwert verlieh. So gesehen, so gehört: ein vielversprechender Auftakt für die neue Reihe.

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Quelle:
SZ vom 04.05.2021
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