Süddeutsche Zeitung

Natur in Bayern:Wolf in Aßling gesichtet: Landratsamt meldet gerissenes Schaf

Auf einer Wiese in Aßling wird ein Wolf gesichtet, wenige Tage später ein gerissenes Schaf im Gemeindegebiet Ebersberg gemeldet. Experten gehen davon aus, dass das Tier bald weiterziehen wird.

Von Franziska Langhammer, Aßling

Er steht aufrecht, die Ohren sind gespitzt, der Blick direkt auf den Fotografen gerichtet: Das Tier, das Andreas Schwarz am vergangenen Dienstag auf einer Aßlinger Wiese gesichtet und abgelichtet hat, ist aller Wahrscheinlichkeit nach ein Wolf. Zum ersten Mal gesehen wurde das Tier am vergangenen Dienstagvormittag, südlich von Niclasreuth, das zur Gemeinde Aßling gehört. Am Donnerstag nun meldete das Landratsamt Ebersberg ein gerissenes Schaf im Gemeindegebiet. Ob es sich dabei tatsächlich um einen Wolfsriss handelt, wird derzeit noch vom eingeschalteten Landesamt für Umwelt untersucht.

Von seiner Begegnung mit dem Wolf in Aßling berichtet Andreas Schwarz: "Eine Nachbarin hat ihn aus ein paar hundert Metern Entfernung gesehen und schon vermutet, dass es sich um einen Wolf handelt." Daraufhin habe sie ihn angerufen. Schwarz, der bis 2014 eine Hundeschule leitete und seit 16 Jahren Jäger ist, beschäftigt sich seit 21 Jahren mit Hunden und der Ausbildung von Jagdhunden. Mit dem Auto fährt er an die Wiese, kommt bis zu 80 Meter an das Tier heran. Etwa zehn Minuten beobachtet Schwarz den Wolf durch das Fernglas. Auch der Wolf ist neugierig. "Er hat in meine Richtung geschaut und versucht, mich einzuordnen", erzählt Schwarz.

Immer mal wieder versucht er, dem Tier näher zu kommen, doch der Wolf behält die Distanz immer bei. Dass es sich um ein Weibchen handeln kann, macht er daran fest, wie es uriniert: Wie bei Hunden auch heben bei Wölfen die männlichen Exemplare das Bein dazu, die weiblichen nicht. Junge Rüden jedoch heben auch manchmal nicht das Bein. Dass der Wolf nicht gleich die Flucht ergriffen hat, verwundert Andreas Schwarz nicht: "Für den ist der Mensch keine Gefahr. Er wird nicht bejagt." Trotzdem sei das Tier vorsichtig geblieben.

Auch Andreas Schwarz weiß, dass das Thema Wolf sehr polarisiert. "Die einen sagen, der Wolf müsse unbedingt wieder angesiedelt werden", sagt er. "Andere meinen: bloß nicht." Dass ein Wolf jedoch von sich aus Menschen attackieren würde, das hält er für unwahrscheinlich. "Der Wolf läuft eher weg", sagt Andreas Schwarz. "Man kann weiterhin in Aßling und Umgebung ohne Angst spazieren gehen."

Dass das gesichtete Exemplar sehr nach Wolf aussieht, findet auch Uwe Friedel, Wolfsexperte beim Bund Naturschutz in Bayern: Nicht nur dessen Körperhaltung und der helle Kehlbereich, sondern auch die Tatsache, dass Andreas Schwarz das Tier längere Zeit beobachten und daher gut einordnen konnte, sprächen dafür. Wolfssichtungen um diese Jahreszeit seien völlig normal. "Gerade ist die Zeit, in der neue Welpen auf die Welt kommen, und ein Teil der Jährlinge - also die einjährigen Wölfe - das Rudel verlassen müssen", erklärt Friedel. Jährlinge seien optisch kaum mehr von erwachsenen Wölfen zu unterscheiden.

Da es derzeit keine Rudel in der Nähe von Aßling gibt, sei davon auszugehen, dass das Tier von weiter her stamme, etwa aus Ostdeutschland oder aus den Alpen. Weil kaum ein Wildtier in Deutschland so gut erforscht sei wie der Wolf, könnte hier etwa die Analyse seines Kots weiterhelfen: Daraus könne man erschließen, aus welcher Population er stamme, ja sogar aus welchem Rudel.

Zur Vorsicht seien einzig Hundebesitzer derzeit angehalten. "Je nach Situation sieht der Wolf den Hund als Paarungspartner, als Beute oder als Revierkonkurrenten", sagt Friedel. "Das kann im schlimmsten Fall tödlich für den Hund ausgehen." Hundebesitzer sollten ihr Tier deshalb lieber an der Leine führen. "Wenn ein Mensch in unmittelbarer Nähe ist, passiert dem Hund nichts", so der Wolfsexperte. Besitzer von Weidetieren sollten sich über Herdenschutz Gedanken machen. Obwohl etwa der Bund Naturschutz sich dafür einsetzt, diesen landesweit präventiv zu unterstützen, kann die Förderung vielerorts erst beantragt werden, wenn es zu einem Riss von einem Schaf oder einem Rind gekommen ist. "Wir halten das für einen Riesenfehler", so Uwe Friedel, "denn so gewöhnen sich Wölfe daran, Weidetiere zu reißen." Eine Maßnahme, die jedoch nun nach dem Schafsriss in Ebersberg greifen könnte.

Von mehr als zwanzig Wolfssichtungen in ganz Bayern allein schon in diesem Jahr berichtet Andreas von Lindeiner, Landesfachbeauftragter für Naturschutz beim Bayerischen Landesbund für Vogelschutz und Mitglied in der Arbeitsgruppe "Große Beutegreifer". "Das ist landesweit festzustellen, und jeder Bezirk ist betroffen", sagt er. Die durchwandernden Tiere kämen von allen Seiten: aus Mitteldeutschland, aus Polen, dem Balkan oder auch aus der alpinen Gegend. "Bayern ist eine Art Drehscheibe der Durchwanderung", so von Lindeiner. Die Wanderungen der geschlechtsreifen Tiere seien zum Großteil nicht besonders zielgerichtet. Meistens seien die Männchen etwas wanderfreudiger, aber auch Weibchen würden sich auf die Walz begeben.

Ob sich ein Wolf wirklich in einem neuen Revier niederlässt, kann etwa durch das Finden von Losung, also Kot, oder Wildkameras festgestellt werden. Von Lindeiner warnt jedoch vor Angstmacherei: "Hier ist weder Euphorie noch Panikmache angesagt. Wir sollten sachlich mit dem Thema umgehen."

Inzwischen wurde der Wolf wieder von Niclasreuthern gesichtet. Und vor kurzem ist Andreas Schwarz nachts mit der Wärmebildkamera losgezogen, den Wolf hat er jedoch nicht gesehen. Das Rehwild habe aber recht entspannt gewirkt. "Der Wolf frisst eher Mäuse oder schaut, dass er Junghasen erwischt", so Schwarz. Problematisch könne es für trächtige Rehgeißen werden - potenziell leichte Beute. Ob der Wolf sich jedoch noch in der Region herumtreibt, ist fraglich. Andreas Schwarz vermutet, dass er auf der Suche nach Anschluss ist und weiterziehen wird. Und auch Wolfsexperte Uwe Friedel sagt: "Wölfe lassen sich nicht oft als Single dauerhaft in einem neuen Revier nieder."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5279665
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 30.04.2021/aju
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.