Nach der Evakuierung:Der Schock weicht dem Alltag

Nach der Bombendrohung ist am Gymnasium Grafing wieder Normalität eingekehrt - im Unterricht wird das erschreckende Ereignis thematisiert.

Martin Mühlfenzl

Vereinzelt genießen ältere Schüler die Ruhe im Zentrum des Altbaus. Dort, wo sich die Bücherei des Gymnasiums Grafing befindet, und die Bibliothekare streng über die Einhaltung des Gesetzes der Stille wachen. In der Aula indes herrscht das gewohnte Getümmel - Schüler der Unterstufe suchen gegen die größeren Mitschüler meist hoffnungslos eine gute Ausgangsposition in der Schlange vor der verlockenden Auslage des Kioskes. Die Lautlosigkeit des Vortages ist dem Lärmpegel eines normalen Schultages gewichen. Doch nicht alles ist normal - einen Tag nach dem Schock der Bombendrohung. Immer wieder ist aus den Gesprächen der Schüler herauszuhören, dass sie die Geschehnisse des Vortages noch nicht verdaut haben.

Hinter der Tür des Direktorates herrscht derweilen eine gewisse Hektik. Schulleiter Harald Parigger ist im Dauerstress - einem Haken schlagenden Hasen gleich auf der Hatz von Pressetermin zu Gesprächen mit Kollegen, dem Elternbeirat und zurück in das eigene Büro, um die ermittelnden Beamten der Kriminalpolizei Erding zu empfangen. Parigger selbst hat einen Drohbrief erhalten (Seite 1), der nun von der Kriminalpolizei und den Mitarbeitern des ebenfalls in Erding beheimateten Büros für Staatsschutz untersucht wird.

Seine ständige Stellvertreterin Nicole Storz nimmt sich daher Zeit für ein Gespräch in ihrem Büro. Das Team funktioniert auch einen Tag nach dem ungeheuerlichen Ereignis. Bereits am Morgen hat die Oberstudienrätin einen Brief ausgearbeitet, den sie allen Lehrkräften übermittelt hat. Der Inhalt ist nüchtern: Kurz und knapp erläutert Storz die Geschehnisse nach dem Erhalt der Bombendrohung, verweist auf die zügig und ohne Komplikationen erfolgte Evakuierung der Schule - und bittet ihre Kollegen, dies ihren Schülern mitzuteilen. So knapp Storz die Ausführungen gestaltet, so eindeutig ist die Botschaft: Die Lehrer sollen in ihren Unterrichtsstunden bewusst das Gespräch, den aufarbeitenden Dialog, mit ihren Schülern suchen. "Für uns ist es ganz wichtig, dass im Unterricht darüber gesprochen wird", sagt die stellvertretende Direktorin. Das Direktorat und das Lehrerkollegium machen deutlich, dass sie zur Verfügung stehen, für die Schüler da sind. Storz selbst gehört dem von ihr initiierten sogenannten Kriseninterventionsteam an - gemeinsam mit der Schulpsychologin und anderen Kollegen. Die Lehrer wollen ihren Schülern die Scheu nehmen, Hilfe anzunehmen und das Gespräch zu suchen - über die eigenen Ängste. "Einige haben dieses Angebot auch schon angenommen. Denn ein paar Schüler brauchen diese Hilfe, um das Erlebte aufzuarbeiten", berichtet Storz. "Dabei kommen vor allem Fragen auf, wie wir weiter machen sollen, ob wir zum Beispiel auch weiter auf die Straße gehen sollen."

Wie es ihre Art ist - und ebenso die ihres Vorgesetzten Harald Parigger -, versteht sich die stellvertretende Direktorin darauf, die Schüler zu beruhigen und zur Gelassenheit zu mahnen: "Wir dürfen uns nicht verrückt machen lassen." So, wie sich die Schule als Einheit auch am Montag nicht hat verrückt machen lassen. Die schnellstmögliche Evakuierung hält Storz in diesem Zusammenhang auch für eine Selbstverständlichkeit: "Denn wir dürfen nie ein Risiko eingehen." Wachsam und offenen Auges müssten daher Schüler und Lehrer durch das Schulgebäude gehen: "Wir achten alle darauf, ob sich ein Fremder in unsere Schule befindet. Wir sind mit wachen Sinnen in unserer Schule unterwegs."

Dies wissen auch die Eltern der rund 1200 Schüler zu schätzen. Es erfolgt am Tag nach der Bombendrohung keine Panik, die etwa das Sekretariat zu erfassen droht. Nur vereinzelt rufen Mütter und Väter an. "Um uns zu sagen, dass wir richtig und gut gehandelt haben", berichtet Storz. Die Schulgemeinschaft habe am Tag der Evakuierung hervorragend funktioniert - die älteren hätten auf die jüngeren Schüler aufgepasst. Und sie funktioniert auch am Tag danach. "Der Zusammenhalt ist groß. Das zeichnet unser Gymnasium aus."

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