Muslimische Gemeinden im Landkreis:Angst vor dem Stimmungsumschwung

Die muslimischen Gemeinden in Kirchseeon und Markt Schwaben spüren den Zuwachs an Gläubigen durch die Flüchtlinge vor allem bei den Freitagsgebeten. Sie helfen, wo sie können - gleichzeitig befürchten sie, die Akzeptanz in der Bevölkerung zu verlieren.

Von Annalena Ehrlicher, Kirchseeon/Markt Schwaben

"In islamistisch steckt das Wort Islam", sagt Ekremhan Tuncer. Der Sprecher der muslimischen Ditib-Gemeinde Kirchseeon ist besorgt um das Bild der Muslime, das von Terroranschlägen wie in Paris stark beschädigt werde. "Ich würde mir wünschen, dass der Islam irgendwann nicht mehr mit Gewalt assoziiert wird." Die beiden Anschläge in Paris - der im Januar auf Charlie Hebdo sowie die Anschläge im November - hätten bei vielen Mitbürgern ein Interesse daran geweckt, was in der Moschee passiert. "Wir müssen erklären, was wir machen - weil viele Leute unsere Religion nicht kennen und deshalb Angst haben", fügt Tuncer hinzu.

Die muslimische Gemeinde Kirchseeon steht in regelmäßigem Austausch mit der politischen Gemeinde Kirchseeon und deren Jugendpfleger Rainer Schott. Dieser beobachtet die Entwicklung von Jugendlichen und wirkt Radikalisierungstendenzen entgegen. "Es gibt nun mal Jugendliche, die den Dschihad spannend finden", sagt Schott. Es sei im Interesse aller, das frühzeitig in den Griff zu bekommen.

"Wir selbst beobachten die Entwicklung unserer Mitglieder natürlich auch", betont Hasan Yavuz, Vorsitzender der Gemeinde Kirchseeon. Die langjährigen Mitglieder kennen er und die anderen Verantwortlichen; diejenigen, die nur hin und wieder in die Moschee kommen, behalten sie jedoch ebenfalls im Auge. "Aber wenn uns jemand nicht auffallen würde, dann bekäme es die Gemeinde sicherlich rechtzeitig mit", fügt Tuncer hinzu.

Muslimische Gemeinden im Landkreis: Nachtgebet in einer Moschee der Ditib in Markt Schwaben.

Nachtgebet in einer Moschee der Ditib in Markt Schwaben.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die Markt Schwabener Muslime arbeiten eng mit der Polizei zusammen, berichtet Izzet Tüymen, Vorstandsvorsitzender des Vereins Ditib Ulu Camii Moschee in Markt Schwaben. Ob die aktuelle Flüchtlingssituation die Haltung gegenüber Muslimenverändert habe? In beiden Gemeinden kommen die Antworten zögernd - und doch eindeutig. "In der Arbeit höre ich jetzt manchmal, dass die Flüchtlinge aus einer anderen Kultur kommen und hier nicht her passen", erzählt Izzet Tüymen, "und ich habe den Eindruck, dass wir da alle in einen Topf geworfen werden". Welchen Topf? "Den islamisch geprägten."

Tuncer bestätigt den Eindruck: "Eine Verfärbung empfinde ich schon." Selbst bis in die Grundschule ziehe sich das. Unlängst wurde sein Sohn in der Schule verprügelt - angeblich weil er etwas gegen Christen gesagt hat. Tuncer glaubt das nicht. Der Vorfall hat ihn sehr beunruhigt: "Wir haben regelmäßig Dialogabende mit der Kirche und das Friedensgebet. Und jetzt so was. Da frage ich mich doch: Woher haben die Kinder das?"

Tatsache ist, dass mit den Flüchtlingen zahlreiche Muslime in den Landkreis gekommen sind. Die muslimischen Gemeinden spüren eine deutliche Veränderung durch den Zuwachs - vor allem bei den Freitagsgebeten, so Hasan Yavuz, der Vorsitzende der muslimischen Gemeinde Kirchseeon. "Wenn früher beispielsweise fünfzig Mitglieder unserer Gemeinde gekommen sind, dann haben wir heute zusätzlich fünfzig oder mehr Flüchtlinge. Praktisch fast halbe-halbe", erklärt er.

Essen in der muslimischen Gemeinde Kirchseeon

Zum Opferfest hat die muslimische Gemeinde Kirchseeon Flüchtlinge eingeladen, um den religiösen Feiertag gemeinsam zu begehen.

(Foto: privat)

Ähnlich sieht es in der Ulu Moschee in Markt Schwaben aus: Zu den Freitagsgebeten kommen zusätzlich nun zahlreiche Flüchtlinge. "Mit den Räumlichkeiten wird es bei den Freitagsgebeten langsam knapp", sagt Izzet Tüymen zögernd. Das Untergeschoss sei voll, auch die Nebenräume kämen langsam an ihre Grenzen. "An den übrigen Tagen ist es aber gar kein Problem", fügt er hinzu.

Dennoch stößt die Frage, ob genug Platz vorhanden ist, vor allem in Kirchseeon auf ein gewisses Unverständnis. "Ob wir genug Platz haben? Diese Frage ist für uns sehr fremd", antwortet Ekremhan Tuncer mit gerunzelter Stirn. "Wir sagen: Unsere Türen sind offen, es können so viele kommen wie eben kommen möchten." Er fügt hinzu: "Von mir aus beten wir übereinander." Izzet Tüymen spricht vom "Grundprinzip der Menschlichkeit", dass man Menschen in Not - egal woher sie kommen - helfen muss.

Was die Kommunikation zwischen Gemeindemitgliedern und Flüchtlingen teilweise kompliziert macht, ist die Sprachbarriere. "Das ist manchmal ein bisschen schwer", bedauert Yavuz, "weil wir kein Arabisch sprechen, außer der Imam". Der zweite Vorsitzende der Gemeinde, Sezayi Baysal, fügt hinzu: "Einige können ja Englisch, dann können wir so kommunizieren. Und manchmal gibt es Flüchtlinge, die auch ein bisschen Türkisch können."

Auch in diesem Punkt sind die Erfahrungen ähnlich wie in Markt Schwaben. Izzet Tüymen erzählt ebenfalls von vorwiegend syrischen Flüchtlingen, die zwischen Türkisch und Arabisch dolmetschen. Der gesamte Verein sei eine Anlaufstelle für die Flüchtlinge - "für alle, die es brauchen", betont Tüymen. Und es sind einige, auf die das zutrifft. "Wenn man so ganz neu in ein Land kommt und orientierungslos ist, dann hilft einem ein Ort, an dem man seinen Glauben pflegen kann", argumentiert Baysal.

Ditib-Moscheen

Ditib ist die türkische Abkürzung für die türkisch-islamische Union der Anstalt für Religion. Ditib ist ein bundesweiter Dachverband, der seit 1984 religiöse und soziale Belange der türkisch-islamischen Moscheegemeinden koordiniert. Die einzelnen Gemeinden sind selbständige Vereine, inzwischen gibt es bundesweit mehr als 900. Allein der Landesverband Südbayern vertritt nach eigenen Angaben zirka 100 000 Muslime. Ditib versteht sich selbst als überparteilich und bekennt sich ausdrücklich "zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung". Zum Angebot gehören unter anderem Integrationskurse für Neuankömmlinge. ehrl

Doch nicht nur als spirituelle Anlaufstelle engagieren sie sich. Zu Feiertagen wurden Flüchtlinge zum Essen in die Kirchseeoner Moschee eingeladen. Vertreter beider Gemeinden waren bereits mehrere Male in den Unterkünften, sammelten Kleider oder im Fall von Markt Schwaben auf Wunsch der Flüchtlinge Bücher und Gebetsteppiche.

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