Musikalisch-literarischer Abend:Fliegende Gans an Katzenmusik

Gerd Anthoff - Damals an Weihnachten

Der Schauspieler Gerd Anthoff präsentiert mit den Musikern Thomas Bogenberger und Jost-H. Hecker die Lesung "Damals an Weihnachten".

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Schauspieler Gerd Anthoff serviert zusammen mit Gitarrist Thomas Bogenberger und Cellist Jost-H. Hecker ein ganz und gar nicht besinnliches Weihnachtsmenü aus Literatur und Musik

Von Rita Baedeker

Georg fand, dass "Weihnachten, wie es früher war, nicht mehr sein konnte". Georg, das ist der Protagonist einer verstörenden Weihnachtsgeschichte von Peter Härtling. Sie heißt "Der Koffer". Darin, man schreibt das Jahr 1945, reist der zehnjährige Bub mit Mutter, Schwester und Oma in einem Güterwaggon ins Ungewisse. Es ist Heiliger Abend. Der Zug hält, Georg steigt aus und sieht im Fenster eines Hauses, wie man dort gerade Weihnachten feiert, warm und geborgen.

Ein Weihnachten wie früher gibt es also nicht mehr. Und doch heißt die bewegende Lesung, die Gerd Anthoff zusammen mit dem Gitarristen Thomas Bogenberger und dem Cellisten Jost-H. Hecker in der Trattoria Limone in Pöring präsentiert hat, "Damals an Weihnachten".

Wie es damals war an Weihnachten, wie Menschen litten, hofften, froren und hungerten, davon erzählen Erich Kästner, Oskar Maria Graf, Peter Härtling, Fritz Müller-Partenkirchen und Bert Brecht in literarischen Momentaufnahmen. Völlerei, Berge von Geschenken, Kitsch und Kommerz waren zumindest für die kleinen Leute so fern wie der Mond. Ernüchternd Kästners spröde Wehmut, sinnlich Oskar Maria Grafs barocke Fabulierlust, ergreifend Peter Härtlings Schlichtheit, grotesk Fritz Müller-Partenkirchens Lügengeschichte, die er ins Groteske steigert; gnadenlos Bert Brechts Schilderung der Atmosphäre im Schlachthofviertel von Chicago. "Und der Wind wehte scheußlich vom Michigan-See herüber durch den ganzen Dezember, und gegen Ende des Monats schlossen auch noch eine Reihe großer Fleischpackereien ihren Betrieb und warfen eine ganze Flut von Arbeitslosen auf die kalten Straßen." Und doch, oder vielmehr gerade da, wo sich die Menschen Bosheiten ausdenken, macht Gott ein unverhofftes Geschenk.

Die acht Geschichten, von der Weihnachtsgans, die aus dem Fenster fliegt (Oskar Maria Graf), bis zum Sohn, der am Heiligen Abend zum Senfholen geschickt wird und fünf Jahre nicht wiederkommt (Kästner), sind beste Literatur. Dass sie beim Zuhörer Gänsehaut und Begeisterung auslösen, liegt an Gerd Anthoff, der ein unerschöpfliches Repertoire an Stimmlagen, Sprachmelodien, Klangfarben, Temperamenten, Tonhöhen, Dialekt-Nuancen, dazu die passenden Gesten und das entsprechende "Gschau" parat hat. Wer ihn nur als durchtriebenen Bauunternehmer Toni Rambold oder als Amtsleiter Claus Reiter aus TV-Serien kennt, für den öffnet sich bei der Lesung ein Ensemble literarischer Figuren und Charaktere, die ihre verborgenen Emotionen offenbaren: der cholerische Metzgermeister, der Bauernbursch, der im Theaterstück über die Verkündigung an Maria in der Rolle des Erzengels Gabriel seinen Text verpfuscht. Der Unglückswurm Max Stadelmann, der, weil er die ersehnten Schlittschuhe zu Weihnachten nicht bekommen hat, vor den Freunden welche erfindet und sich in Lügen verstrickt; und der Protagonist, der sich ans "Mettengehen" seiner Kindheit erinnert, an die kohlschwarze Nacht, das tief brummende Glockenläuten, an die ganze Pracht des Himmels, offenbart in einem kurzen Augenblick.

Wer bei der vom Verein Christophoruskirche anlässlich des Literarischen Herbstes Zorneding veranstalteten Lesung mit besinnlichen Geschichten und Gefühlsduselei gerechnet hatte, lag falsch. Eher sarkastisch klingt Kästners "Weihnachtslied, chemisch gereinigt": "Morgen, Kinder, wird's nichts geben" oder sein "Dezember"-Fazit: "Das Jahr kennt seine letzten Tage, und du kennst deinen nicht!"

Thomas Bogenberger - auch als Krimiautor bekannt - und Jost-H. Hecker, Mitbegründer des Modern String Quartet, erweisen sich als Improvisationskünstler, etwa bei Heckers Arrangement der "Stillen Nacht", einer Katzenmusik, die klingt, als werde sie auf quietschenden Luftballons gespielt. Neben Klassikern wie "Black Orpheus" gibt es ein Wiederhören mit dem Lied vom Alten Peter, dem rotnasigen Rentier und dem Weihnachtslied "Es werd scho gleich dumpa", bei dem einige der Zuschauer leise mitsummen.

Befreites Gelächter bei den Zugaben, einem Gedicht aus der Sammlung des Pfarrers Anton Nagel, von den Drei Königen, die in Köln landen, und der Story von der Weißblechdose, die in einem Paket von der Tante aus Amerika liegt und deren Inhalt von der Familie verspeist wird. Was es damit auf sich hat, soll jedoch unerwähnt bleiben. Zumindest am Heiligen Abend.

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