Museum der Stadt Grafing:Madonna mit Fußball

Museum der Stadt Grafing: Eingehend betrachten Natascha Niemeyer-Wasserer und ihre Schützlinge im Museum ein wertvolles Kunstwerk, die "Grafinger Madonna".

Eingehend betrachten Natascha Niemeyer-Wasserer und ihre Schützlinge im Museum ein wertvolles Kunstwerk, die "Grafinger Madonna".

(Foto: Christian Endt)

Kunsthistorikerin Natascha Niemeyer-Wasserer bietet einen weihnachtlichen Workshop für Kinder an. Eine regelmäßige "Familienzeit" ist in Planung

Von Anja Blum, Grafing

Das nennt man wohl ein bewegtes Leben: Diese kleine Holzfigur hat vermutlich bereits mehrere Brände überstanden, den Schweden wie den Franzosen getrotzt, zwei Weltkriege unbeschadet kommen und gehen sehen: Die "Grafinger Madonna", etwa 800 Jahre alt, ist nicht nur ein christliches Symbol für die Überwindung des Bösen und Zeichen der Liebe, sondern auch ein beeindruckendes Zeitzeugnis und ein Kunstwerk von sehr hohem Rang. Welchen Schatz das Museum der Stadt da beherbergt, das können nun auch Kinder erfahren - in einer sogenannten "Familienzeit", einem Workshop, der am kommenden Wochenende ein weiteres Mal angeboten wird.

Denn was würde besser passen in die Adventszeit als eine Schatzsuche auf den Spuren der Grafinger Madonna? Schließlich ist es ja Maria, die Gottesmutter, die hier darstellt wird. Allerdings nicht in einer Krippenszene. Diese Himmelskönigin sitzt vielmehr auf einem kastenartigen Thron, leicht lächelnd reckt sie wachsam den Kopf nach vorne, auf ihrem Schoß sitzt das Jesuskind, das sie mit großer Hand liebevoll stützt. In der anderen hält sie einen Apfel. Das archaisch anmutende, Ruhe ausstrahlende Bildwerk "orientiert sich stilistisch an Buch- und Freskenmalereien um 1200, zeigt aber auch Anklänge an monumentale Steinbildwerke der Kathedralenkunst des 12. Jahrhunderts", ist auf einer Tafel zu lesen. In ihrer strengen Geschlossenheit verkörpere diese Madonna eine im Mittelalter gängige Verschlüsselung der christlichen Heilsbotschaft: "Im Geben und Nehmen des Apfels zwischen Mutter und Sohn fand der Schnitzer eine eindringliche Bildmetapher für die Wandlung von der sündenbeladenen Frucht Evas zu dem durch Christi Kreuzestod von aller Schuld befreiten Apfel Mariens."

Den fünf Kindern zwischen sechs und acht Jahren, die an diesem Nachmittag im Museum auf Schatzsuche gehen, sind diese theologischen Zusammenhänge freilich nicht so geläufig. Insofern haben sie die verschiedensten Ideen parat, als Workshopleiterin Natascha Niemeyer-Wasserer fragt, was das runde Ding in der Hand der Madonna denn sein könnte. Ein Klumpen Gold? Eine Weltkugel? Ein Fußball gar? Schwierig zu lösen ist dieses Rätsel auch deshalb, weil man der 60 Zentimeter großen Skulptur ihr Alter durchaus ansieht, auch wenn Niemeyer-Wasserer, Kunsthistorikerin aus Zorneding, sie als "ganz gut erhalten" bezeichnet. Die Farbe ist größtenteils abgeblättert, das Rot des Apfels nurmehr zu erahnen, das Kirschbaumholz hat einige Risse, von den Beinen des Jesuskinds fehlt ein Stück. Auch die Krone, die die Himmelskönigin höchstwahrscheinlich einst trug, ist dem Zahn der Zeit längst zum Opfer gefallen.

Auf der Rückseite wurde die Figur fachmännisch ausgehöhlt. "Das musste man so machen, weil das Holz sonst gesprungen wäre", erklärt Niemeyer-Wasserer ihren jungen Zuhörern. Außerdem hätten im frühen 13. Jahrhundert immer mehrere Handwerker an einem solchen Kunstwerk gearbeitet: "Einer hat geschnitzt, der nächste grundiert, wieder ein anderer gemalt." Anhand eines Buches zeigt sie, wie eine solche mittelalterliche Werkstatt ausgesehen haben mag. Als die Kinder die Gesichtszüge und den Faltenwurf des Gewandes der Madonna mit einem imaginären Schnitzmesser in der Hand nachempfinden, merken sie zudem schnell, dass eine solche Arbeit durchaus anstrengend ist.

Wer die romanische Skulptur um 1250 herum erschaffen hat, ist unbekannt. Allerdings sprechen alle Anzeichen dafür, dass die Madonna einst im Kloster Ebersberg stand, dort die zwei Brände von 1305 und 1781 überstanden hat und nach der Auflösung des Klosters 1808 nach Grafing gebracht wurde. Heute befindet sich die Figur im Eigentum des Bayerischen Nationalmuseums, das sie nach ihrer Restaurierung dem Museum der Stadt Grafing als unbefristete Leihgabe zur Verfügung gestellt hat. "Und hier wird sie von einer ganz großen Alarmanlage geschützt, so wertvoll ist sie", sagt die Workshopleiterin - und die Kinder machen große Augen.

Diese brauchen sie denn auch, als es darum geht, weitere Marienfiguren zu finden: Drei sogenannte Guckkästen hat Niemeyer-Wasserer mitgebracht, kleine Papierkrippen verschiedener Traditionen, eine orientalische, eine italienische und eine bayerische. Und in deren mehrschichtigen, höchst detailverliebten Darstellungen die Gottesmutter zu entdecken, ist gar nicht so einfach. Doch die jungen Museumsbesucher, allesamt sehr interessiert am Geschehen, erweisen sich als "super Detektive!". Dass sie obendrein höchst kreativ sind, zeigt sich anschließend beim Krippenbasteln: Lauter individuelle Kunstwerke von großer Ausdruckskraft entstehen da, fein bis wild, und mit jeder Menge Goldglanz für Stern und Heiligenschein. Die Vorlagen zum Ausschneiden und Anmalen bleiben eher links liegen.

Kinder an Kunst heranzuführen, das sei das Anliegen einer Stifterin, die neuerdings jährlich ein großzügiges Budget für derlei Aktionen im Grafinger Museum bereit stellen (aber namentlich ungenannt bleiben) wolle, erklärt Niemeyer-Wasserer. Deswegen soll es dort nun regelmäßig "Familienzeit" geben, zu den unterschiedlichsten Themen. Die Madonna bietet sich an im Advent, die Tierbilder von Max Joseph Wagenbauer wären wohl ganzjährig beliebt, aber auch die Heimatkunde gibt sicher das ein oder andere Motto her. Außerdem sollen zu den Sonderausstellungen Kinderworkshops entwickelt werden. Als etwa das Museum die Nachlässe der Künstler Rudolf Hofmann und Friedrich Senser präsentierte, gehörte eine "Familienzeit" mit Bilderschatzsuche und lustigen Porträts zum Begleitprogramm. Allerdings machen solche Angebote viel Arbeit, weswegen Museumspädagogin Niemeyer-Wasserer gerade dabei ist, ein Team aufzubauen, das ihr bei der Umsetzung hilft. Kunststudentin Anna Rudakova und Grafikstudent Jalil Daif sind schon mit von der Partie. Schließlich schadet - wenn die Kunst schon so unglaublich alt ist - ein wenig jüngeres Blut nicht.

"Familienzeit" im Museum Grafing, "Weihnachtsgeschichten rund um die Grafinger Madonna" für Kinder von fünf bis zehn Jahren, am Samstag, 7. Dezember, von 14.30 bis 16 Uhr. Anmeldung unter (08092) 703 59 erbeten.

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