Süddeutsche Zeitung

Messerstecher-Prozess:Warum hilfst du dem auch noch?

Der Anzinger Rechtsanwalt Florian Alte hat den Messerstecher von Grafing-Bahnhof vor Gericht verteidigt. Warum er das gemacht hat - und wie er mit der Kritik umgeht.

Aus dem Gericht von Korbinian Eisenberger

Die Arbeit im Gerichtssaal ist getan, die Entscheidung steht bevor. Es ist Donnerstag, nach knapp zwei Wochen der letzte Tag der Verhandlung. Ein Mann zieht seine Robe aus und nutzt die Minuten vor der Urteilsverkündung zum Frischluftschnappen. Er hat gerade ein flammendes Plädoyer gehalten, für den Rechtsstaat, dafür, dass jedem Beschuldigten ein Verteidiger zusteht. Auch Paul H., der vor einem Jahr nach Grafing fuhr und dort einen Menschen mit neun Messerstichen tötete. Der Mann ohne Robe zündet sich eine Zigarette an, da schreit ihn eine Frau von der Seite an: "Wie können Sie das nur machen?"

Es ist nicht das erste Mal, dass Florian Alte dieser Tage solche Fragen hört: Warum verteidigst du den? Wie kannst du nur? Wieso hilfst du dem auch noch? Alte ist Rechtsanwalt und einer der Protagonisten im derzeit prominentesten Fall in der Region. Der Anzinger verteidigt den Messerstecher von Grafing-Bahnhof, den Mann, der einen Mord und drei Mordversuche begangen hat. Alte verteidigt einen 28-Jährigen, der später für schuldunfähig erklärt werden wird und nicht ins Gefängnis muss, sondern in die Psychiatrie. Deswegen die Fragen, deswegen muss der Verteidiger Alte sich auch selbst verteidigen. Erklären, warum er einem Mörder hilft.

Alte, 41, hat die Robe ausgezogen, trägt Krawatte und Hemd. Ein Treffen in der Kantine im Münchner Landgericht: Wie antwortet er denen, die ihn kritisieren? Alte nimmt die Brille ab und erzählt. "Ich kenne meine Aufgabe, sie ist zutiefst im Rechtsstaat verankert." Das erkläre er auch den Kritikern. "Jeder ist, spätestens wenn er selbst beschuldigt ist, froh um dieses Recht." Zumal ja Menschen nicht selten unschuldig vor Gericht stünden. "Ich habe viele solche Fälle erlebt, zum Beispiel bei sexuellem Missbrauch", sagt er. Am Rechtsstaat führt für ihn kein Weg vorbei.

Die Entscheidung über den Verteidiger traf weder Florian Alte noch Paul H.

Aber warum Florian Alte aus Anzing? Warum nicht jemand anderes? Die Erklärung ist einfach, die Entscheidung traf hier weder der Täter noch der Anwalt. Paul H. wollte bei seiner Vernehmung auf der Polizeiwache gar keinen Anwalt - also bestimmte der damalige Haftrichter einen Pflichtverteidiger. Die Wahl fiel auf Alte: "Da war mir gleich klar, das wird heftig."

Heftig wurde es, und wie. Nicht nur, dass im Prozess mehrfach detailliert nacherzählt wurde, wie H. auf seine Opfer einstach und eines davon auf grausame Art und Weise tötete. Sondern auch, weil am letzten Prozesstag beide Söhne und die Frau des verstorbenen Wasserburgers Siegfried W. im Raum sitzen, in einer Reihe mit Johannes B., seit dem Angriff halbseitig gelähmt, und Jens O., ihm geht es körperlich wieder gut. Christof W., 19, hat am 10. Mai 2016 seinen Vater verloren, er sitzt zum ersten Mal mit im Raum. Vor dem Urteil liest er eine Seite vor, mit schweren Vorwürfen gegen den Täter: "Mein Vater hat es nicht verdient, so abgeschlachtet zu werden."

Dann hält Alte das Plädoyer für den Mörder des Familienvaters, es gibt einfachere Situationen. Seine Aufgabe sei es, dass der Mensch hinter dem Täter richtig dargestellt werde, sagt Alte. "Das heißt nicht, dass ich kein Mitleid mit den Opfern habe." Er sei keine emotionslose Maschine. "Natürlich empfinde ich Mitgefühl." Dann moniert Alte, dass B. trotz schwerer Folgen bisher keine staatliche Opferentschädigung bekommt. "Eigentlich nicht zu ertragen", sagt Alte - eine Kritik am Staat, der er ein Plädoyer für den Rechtsstaat folgen lässt. "Man kann sich nicht aussuchen, wem ein Recht auf fairen Prozess zusteht", sagt er. "Dafür gibt es das Justizsystem und Verteidiger."

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SZ vom 18.08.2017/koei
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