Moosach:Verloren in der Kälte

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Wie ein Flüchtling: Cornelia Melián im Schlafsack. (Foto: Christian Endt)

Cornelia Melián zeigt ein Video ihrer Adaption von Schuberts Winterreise im Meta Theater

Von Peter Kees, Moosach

"Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus", so lauten die ersten Worte in Franz Schuberts Winterreise. Die Lieder mit Versen aus Wilhelm Müllers Gedichtband "aus den hinterlassenen Papieren eines reisenden Waldhornisten" haben seit ihrer Komposition 1827 einiges an Patina angesetzt. Kaum jemand, der den Liederzyklus nicht kennt. Kaum ein Sänger, der ihn noch nicht gesungen hat. Die Krusten der Aufführungsgeschichte verdecken längst den Kern des Werkes. Hier geht es nicht, wie man vielleicht vordergründig meinen mag, um Liebesschmerz, hier geht es um das essenzielle Fremdsein in der Welt.

Spätestens seit Hans Zenders komponierter Interpretation des Zyklus ist klar: Die Lieder bedürfen einer Entstaubung. Seither gibt es unzählige Adaptionen. Schubert und Müller können auch politisch verstanden werden, äußern sie doch durchaus subtile Kritik am herrschenden System. Der Winter kann als Metapher für das reaktionäre System unter Metternich verstanden werden. Mit einer derartigen Lesart hat sich auch Cornelia Melián von der micro oper München dem Stoff genähert. Im März diesen Jahres brachte sie eine Interpretation der Winterreise unter dem Titel "Winter, inszenierte Musik frei nach Franz Schubert" gemeinsam mit einem Elektro-Duo sowie einem Pianisten auf die Bühne. Wesentlich bei dieser Aufführung sind auch Videoprojektionen. Anlässlich der Atelier-Diagonale im Landkreis, bei der am Wochenende einige Künstler ihre Ateliers für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht haben, hat Melián einen Videomitschnitt der Münchner Aufführung am Samstagabend im Moosacher Meta Theater gezeigt.

Die erste Frage, die sich bei diesem Unternehmen stellt, ist, warum die Inszenierung nicht live, sondern lediglich auf der Leinwand gezeigt wird? Die Frage ist schnell beantwortet: Das Meta Theater ist schlicht zu klein, arbeitet das Team um Melián doch mit Bühnentechniken, die in Moosach nicht realisierbar sind. Es beginnt familiär. Melián erzählt dem ausgewählten Publikum von der Entstehung ihres Stücks, wie sie 2015 Horden von syrischen Flüchtlingen in Mazedonien auf Fahrrädern sah und sofort an den Wanderer aus der Winterreise denken musste. Für sie sind die Parallelen zwischen der politischen Situation um 1827 und Heute klar. Die Aufbruchsstimmung in der nachnapoleonischen Zeit, die in Schwierigkeiten für Intellektuelle und Künstler in der Zeit des Vormärz gipfelt, habe Analogien zur sozialen Kälte der Gegenwart.

Im Moosacher Videoscreening sieht man schließlich zunächst einen Suchscheinwerfer, der auf der Bühne um sie als Hauptdarstellerin und die drei Musiker kreist. Bald wird ein Himmel eingeblendet, ein Video, das in eine Fahrt durch ein Tunnel übergeht. Auf dem Bühnenboden kauert Melián in ein Kostüm aus Daunenjacke und Schlafsack gehüllt. Sie singt jene ersten Worte aus der Winterreise, begleitet von aufregendem Elektrosound. Abrupt springt sie in Zeilen aus dem Lied Nr.17, "Im Dorfe". Ein Wechselspiel entsteht, eine Art Kommentierung: Das Fremdsein rührt von den "bellenden Hunden", den "rasselnden Ketten" und den "schlafenden Menschen in ihren Betten". Fragmentarisches ergibt einen neuen Sinn und schon ist die Flüchtlingsproblematik angesprochen. "Ich bin am Ende mit meinen Träumen," singt sie, "Geh, geh weiter, Weitergehen," wiederholt sie gebetsmühlenartig. Doch halt, auch Melián bleibt solistisch auf der Bühne. Es geht also doch ums Fremdsein des Individuums in der Welt an sich. So zumindest kann man ihr Solo lesen. Im Grunde hätte das Ganze in Moosach auch live aufgeführt werden können, nämlich als inszeniertes Konzert.

Das täte Meliáns Winter vielleicht sogar ganz gut: das Verweben der Schubertschen Melodien mit dem Elektrosound, der so manche Krusten abträgt (Komposition: Marion Wörle und Maciej Sledziecki, Berlin), kombiniert mit den hinreißenden Videoeinspielungen (Manuela Hartel) bedarf keiner weiteren Ebene.

© SZ vom 03.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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