Stipendien am Meta Theater:Verlaufen erlaubt

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Zwölf Menschen, sechs Projekte, ein voller Erfolg: Der Abschluss der Take-Care-Residenzen unterstreicht den Wert des freien Experimentierens in der Kunst.

Von Michaela Pelz

Ob Schwimmabzeichen oder Musikvorspiel - oft wird dort, wo es eigentlich um die Freude am Tun gehen sollte, nur zielorientiert gedacht. Selbst die Kinder ihrer Kurse hätten vor allem die Aufführung im Blick, statt einfach jede Probe zu genießen, beklagt Theaterpädagogin Evi Koblin, neben Gabi Sabo und Tabea Tangerding eine der begleitenden Mentorinnen der Take-Care-Residenzen bei der virtuellen Abschlusspräsentation des Förderprogramms von Neustart Kultur. Hier war zum Glück alles anders.

Wie Axel Tangerding vom Meta Theater erläutert, stand bei den unter dem Dach seines Hauses vergebenen Stipendien der Laborcharakter im Vordergrund. Alle beteiligten Künstlerinnen und Künstler konnten sich dank dieser Finanzierung dem "Erforschen hingeben, statt den Markt zu bedienen". Für die Beteiligten nicht nur als Motivation während der Pandemie, die eigene künstlerische Arbeit fortzusetzen, bedeutsam. Denn, so "Jacqueline", Alter Ego von Reinhold Florian: "Ihr habt mir echt den Arsch gerettet, auch finanziell."

Kreatives Forschen: Um Licht, Raum, Vernetzungen, Bewegungen und moderne Heldinnen geht es bei den sechs Take-Care-Residenzen unter dem Dach des Meta Theaters. (Foto: Veranstalter)

Als Magier "Gaston Florin" international bekannt, hat er sich vorgenommen, in seinem Rechercheprojekt namens "Lied der Lieder" zu erforschen, wie Menschlichkeit im digitalen Raum funktioniert. Dafür will der Brucker etwas tun, wovon seine Kunstfigur mit der entzückenden Garderobe und dem hinreißenden Augenaufschlag seit Jahren träumt: öffentlich zu singen - obwohl da "noch Luft nach oben" ist, wie der Künstler selbst nach seiner Darbietung lachend sagt. Doch der wahre Kern des Projekts ist eigentlich ein anderer: Darf man vor aller Augen etwas tun, worin man nicht perfekt ist? Nach Jacquelines Auftritt im Meta Theater kann die Antwort nur lauten: Man darf nicht nur, man sollte es unbedingt! Wertvoll und bereichernd ist es, wenn jemand, der in anderer Hinsicht ein Meister seines Faches ist, sich so ungeschönt verletzlich zeigt und dadurch nicht nur Stärke beweist, sondern auch anderen Mut macht, etwas zu wagen.

Was wiederum das Kernthema und auch der Anspruch des gesamten Programms ist, wie Theatermacher Winfried Wrede, von Oldenburg zugeschalteter Initiator und künstlerischer Leiter des Bundesnetzwerks "Flausen+", erläutert. "Wir müssen uns das Scheitern wieder erlauben." Die daraus resultierenden Erkenntnisse seien ein wichtiger Prozess. Darum steht im Vordergrund, sich ausprobieren und auch mal verlaufen zu können - mit jenem Freiraum, den es zur Entfaltung braucht. Die Präsentationen des Abends beweisen: Alle Beteiligten haben ihn gut genutzt!

Alle beteiligten Künstlerinnen und Künstler konnten sich dank der Finanzierung dem "Erforschen hingeben, statt den Markt zu bedienen", so Axel Tangerding vom Meta Theater. (Foto: Veranstalter)

Mit dem aktuellen Geschehen rund um die Corona-Pandemie setzt sich das Projekt "DIY Echo Chamber" von Nicole Kleine, Chantal Maquet und Steffen Wick auseinander. Basis für ihr Spiel mit Medien bilden Interviews mit rund 40 ganz unterschiedlichen Personen zu 16 Fragen rund um das Thema. Herausgekommen ist unter anderem ein Clip, in dem Schauspielerin Kleine in einer Doppelrolle einen Dialog führt, in dem die "Gerechtigkeit" bestimmter Maßnahmen hinterfragt wird. Ein weiteres Video setzt Aussagen von Feministin Kübra Gümüşay sehr ungewöhnlich und plastisch in Szene.

Höchst aktuell ist auch "Köpfe voller Brillen" von I.L.Y.A. Das Kollektiv aus Sahra Al-Yassin, Theresa Eirich, Franziska Glatt und Gladys Mwachiti hat sich "in einem sicheren Raum von gegenseitigem Vertrauen und Zuhörkultur" intensiv mit Rassismus beschäftigt. Welche Auswirkungen Sprache hat, zeigen die vier in einer ebenso einfachen wie verblüffenden Performance - von den meisten anfänglich gar nicht als solche erkannt. Ein hervorragendes Beispiel für die Erkenntnis, dass gegen blinde Flecken Humor, Satire und ein Perspektivwechsel viel mehr helfen als ein erhobener Zeigefinger.

"Spiderweb" von Tänzerin Anna Orkolainen und Musikerin Marja Burchard: (Foto: Veranstalter)

Den will auch Andrea Kilian mit "Stationen einer Heldin - Eine moderne Jeanne D'Arc" nicht auspacken, obwohl sie nach ihrer Beschäftigung mit Greta Thunberg einiges darüber zu sagen hätte, wie die Sicht der Gesellschaft auf junge Frauen aussieht, die mal als Heldin, mal als Bedrohung gelten. Stattdessen nähert sie sich dem Thema durch einen ungewöhnlichen Mix von auf Thunberg-Reden basierenden Tanzminiaturen sowie klassischen Texten zur Jungfrau von Orleans. Für eine Mimin und Regisseurin ein durchaus mutiges Vorgehen, das sie bravourös meistert. Ihre ausdrucksvoll leidenschaftlichen, dann wieder kindlich entschlossenen Bewegungen erzeugen ein Meer von Bildern.

"Kino im Kopf" bietet auch "Tanz mit dem Raum" von Lichtforscherin und Raumkünstlerin Judith Rautenberg. Das Setting mit künstlichem Nebel und einem dadurch entstehenden "Raum im Raum" sowie einer darin agierenden Tänzerin erinnert an eine packende Verfolgungsszene. Diesmal hat die Wahl-Weimarerin ihre gewohnte Struktur verlassen und beim Bespielen der Bühne des Meta Theaters statt mit den Schauspielern mit dem Licht angefangen.

Nicht minder überwältigend ist die Aktion namens "Spiderweb" von Tänzerin Anna Orkolainen und Musikerin Marja Burchard: Durch das Spannen von Saiten quer über die gesamte Bühne des Meta Theaters verwandelt sich der Raum in ein Klanginstrument und thematisiert gleichermaßen Verletzlichkeit und Vernetzung.

Andrea Kilians "Stationen einer Heldin - Eine moderne Jeanne D'Arc": Ein Mix von auf Thunberg-Reden basierenden Tanzminiaturen sowie klassischen Texten zur Jungfrau von Orleans. (Foto: Veranstalter)

Die Atmosphäre bei dieser Online-Veranstaltung, eigentlich als Live-Event zum Launch der "Flausen"-Zeitung geplant, ist eine ganz besondere: Man glaubt sofort, dass sich, wie Produktionsleiterin Elsa Büsing sagt, alle Kunstschaffenden während der Werkabende gegenseitig inspiriert haben. Jedem hier ist klar, dass genau solche Arbeit ohne Erfolgsdruck unterstützt werden muss. Wie zu erfahren ist, gibt es nun eine dreijährige Bundesförderung für "Flausen+". Wie wichtig und richtig!

Weitere Informationen liefert die Flausen-Zeitung mit QR Code zu jedem Rechercheprojekt. Digital auf der Website oder als Print-Version (kostenlos, Spenden sind willkommen) erhältlich. Bestellung über info@meta-theater.com

© SZ vom 14.04.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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