Nur ein paar Meter den holprig geteerten Weg entlang und es ist ein Zwitschern zu hören. „Eine Singdrossel“, sagt Klaus Grünebach. Er ist der Naturschutzwächter hier, an den Gutterstätter Streuwiesen bei Moosach. Als ehrenamtliche Hilfskraft ist der 72-Jährige im Einsatz der Unteren Naturschutzbehörde, neben ihm gibt es noch 15 weitere im Landkreis Ebersberg. Die Mönchsgrasmücke, ein Singvogel, komme hier auch vor, sagt Grünebach. Ebenso wie die Herbstzeitlose – eine Pflanzenart – und Trollblumen, Orchideen, Sumpfdotterblumen, blaue Schwertlilien und Sumpflilien. „Unsere einzige giftige Schlange fühlt sich hier auch wohl“, sagt Grünebach weiter. Die Kreuzotter also. „Vielfalt ist ganz wichtig in der Natur.“
Wegen dieser Vielfalt sind die Gutterstätter Streuwiesen, wo Klaus Grünebach mit dem Vorsitzenden des Ebersberger Kreisverbands des Bundes Naturschutz (BN), Sepp Biesenberger, an diesem Morgen unterwegs ist, ein sogenanntes FFH-Gebiet – ein Areal, das die Europäische Union als schutzwürdig einstuft.

„Natura 2000“ nennt sich ein europaweites Netz von Schutzgebieten „zur Erhaltung gefährdeter oder typischer Lebensräume und Arten“, wie das Bundesumweltministerium auf seiner Homepage schreibt. Dabei setzen sich die Flächen zusammen aus Vogelschutzgebieten – „Special Protection Area for Wild Birds“, kurz „SPA“ – und Fauna-Flora-Habitaten (FFH), also ausgewählte Lebensräume für Pflanzen. „Das Schöne an solchen Gebieten ist, dass sie verbinden“, sagt Naturschutzwächter Grünebach. Ein Schutzgebiet auf deutschem Boden endet also nicht an der Grenze zu Polen oder Österreich, sondern dort, wo das Gebiet der Vogelschutz-Richtlinie oder der FFH-Richtlinie der EU nicht mehr entspricht. Derzeit gibt es laut Bundesumweltministerium etwa 27 000 Schutzgebiete auf 18,6 Prozent der EU-Landfläche, damit ist Natura 2000 das „größte grenzüberschreitende, koordinierte Schutzgebietsnetz weltweit“ – und das alles mit dem Ziel, „einen wichtigen Beitrag zum Schutz der biologischen Vielfalt in der EU“ zu leisten.

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Das Natura-2000-Netzwerk gibt es bereits seit 1992 und bildet „die Eckpfeiler der europäischen Naturschutzpolitik“, wie das Ebersberger Landratsamt informiert. Demnach gelte für jeden Mitgliedsstaat die Pflicht, besonders schützenswerte Gebiete zu melden und dann ebenjene mithilfe der Eigentümer des betreffenden Grundes in einem guten Zustand zu erhalten.
Im Landkreis Ebersberg gibt es sechs Gebiete: fünf FFH-Gebiete – der Ebersberger und Großhaager Forst, das Flusstal der Attel bei Emmering, der Kastensee mit angrenzenden Kesselmooren, der Rotter Forst und die Rott, sowie das Kupferbachtal, die Glonnquellen und die Gutterstätter Streuwiesen – sowie der Ismaninger Speichersee und Fischteiche als Vogelschutzgebiet. Insgesamt ergibt das eine Fläche von fast 3600 Hektar, das entspricht 5042 Fußballfeldern. Dabei entfallen fast 90 Prozent der Fläche, nämlich 3266 Hektar, allein auf den Ebersberger und Großhaager Forst.

Die Gutterstätter Streuwiesen, wo Grünebach und Biesenberger gerade stehen, sind dem Landratsamt zufolge als FFH-Gebiet ausgewiesen, um das Kupferbachtal zwischen Unterlaus und Reisenthal sowie der Glonnquellen als bedeutsame Quell- und Feuchtgebiete in Bayern zu erhalten – zum Beispiel gibt es dort Kalktuffquellen und kalkreiche Niedermoore. „Tuffstein war der Baustein früher“, erklärt Grünebach. So seien etwa die Mauern der St.-Georg-Kirche in Taglaching – übrigens bereits Anfang des 13. Jahrhunderts entstanden und damit eine der ältesten in der Umgebung – aus ebenjenem Stein zusammengefügt.

Da streckt Grünebach seine rechte Hand aus und fasst auf den Tuffstein. Er sieht härter aus, als er ist – unter den Fingern fühlt sich der Stein bröselig an, als ob man die kleinen spitzen Erhebungen mit etwas Geduld wegkratzen könnte. Kein Wunder, zählt Kalktuff schließlich zu den weichen Naturwerksteinen.

Heute ist von dem Steinbruch, der sich einst inmitten der Gutterstätter Wiesen befand, um dort Tuffstein abzubauen, nicht mehr viel zu sehen. Nur ein paar Überbleibsel von Bahnschienen, über die der abgebaute Tuffstein abtransportiert wurde, sind hier und da noch zu erkennen – eingewachsen von Büschen und anderen Pflanzen.

Und ein Gebäude, das seine besten Zeiten längst hinter sich hat, erinnert ebenfalls daran, dass hier mal ein Steinbruch war. Neben Graffiti sind in einem der Räume sogar noch Reste schwerer Maschinen von damals zu sehen.

Bayernweit sind durchschnittlich 11,4 Prozent der Landkreisflächen Vogelschutz- und FFH-Gebiete, der Bundesdurchschnitt liegt darunter, bei nur 9,3 Prozent – aber im Vergleich zum Landkreis Ebersberg ist das immer noch viel. Hier liegt der Flächenanteil bei gerade einmal 6,55 Prozent, wie die Pressestelle des Landratsamts mitteilt. Woran liegt das?
„Die Ausweisung der Gebiete erfolgte durch die Mitgliedstaaten zur Umsetzung der zugrundeliegenden europäischen Richtlinien auf Grundlage festgelegter Arten beziehungsweise Lebensraumtypen“, erklärt das Landratsamt. „Sofern ein solcher vorhanden ist/war, wurde das betreffende Gebiet durch den Mitgliedstaat gemeldet.“ Im Landkreis Ebersberg gebe es derzeit keine weiteren potenziellen Natura-2000-Flächen mehr.

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Neben den EU-weiten Natura-2000-Gebieten gibt es auch Flächen, die nationale, deutschlandweite Schutzkriterien erfüllen: Naturschutzgebiete, Nationalparks, Biosphärenreservate, Landschaftsschutzgebiete und Naturparks. Sie können sich laut Bundesamt für Naturschutz überlagern, beispielsweise seien viele Naturschutzgebiete gleichzeitig FFH-Gebiete. Das ist auch der Grund, weshalb ein wertender Vergleich zwischen den Schutzgebietskategorien, also ob ein FFH-Gebiet nun schützenswerter oder wertvoller für die Natur ist als ein Landschaftsschutzgebiet, „schwierig“ ist, wie es aus dem Landratsamt heißt. Allen Gebieten gemeinsam sei, dass für bestimmte Vorhaben auf den Flächen mögliche Auswirkungen auf die Natur geprüft werden müssen – klassischerweise wären das Bauprojekte. „Maßnahmen, die den Schutzzwecken oder den Erhaltungszielen widersprechen, sind unzulässig.“

Vorsichtig hebt Klaus Grünebach ein altes Wellblech ein paar Zentimeter empor. „Ausnahmsweise“, sagt er, um zu zeigen, wie wichtig das FFH-Gebiet bei den Gutterstätter Streuwiesen für Natur und Tierwelt ist – Spaziergänger sollten das auf keinen Fall machen. Da huschen zwei Eidechsen in Richtung Schatten, zwei Blindschleichen kräuseln sich zusammen, und drum herum ist viel Gekrabbel von kleinen Insekten zu sehen. „Wir haben viel zu wenig Ahnung von der Natur“, sagt Grünebach. Der frühere Volksschullehrer ist sich sicher: Nur wer die Natur kennt, versteht, wie schützenswert sie ist.
Die nächste von Klaus Grünebach geführte Naturwanderung findet statt am Dienstag, 18. Juni, zu den Hangquellen von Schlipfhausen bei Glonn. Weitere Infos und Führungstermine gibt es online unter www.ebersberg.bund-naturschutz.de/termine.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels wurde behauptet, dass Tuff aus verfestigtem vulkanischem Eruptivgestein besteht. Ein solches Tuffgestein gibt es zwar auch, jedoch handelt es sich bei dem Gestein auf den Gutterstätter Streuwiesen um Kalktuff, wie zuvor im Text bereits richtig erwähnt.