Süddeutsche Zeitung

Moosach:"Die meisten Leute passen sich an ihr Rad an. Wir passen das Rad an die Leute an"

In Moosach öffnen vier Fahrradenthusiasten einen Luxusladen. Hier können sich die Kundinnen und Kunden das Fahrrad maßschneidern lassen - Geduld und viel Geld müssen sie allerdings mitbringen.

Von Merlin Wassermann, Moosach

An einem regnerischen, kalten und ekligen Tag, wie er diese Woche häufiger vorkam, denkt man nur sehr ungern über Fahrradfahren nach. Nicht so jedoch in Moosach. Dort widmen sich vier Männer mit Leidenschaft diesem Thema, Regen hin, Regen her.

Nicholas Schick, Nico Windecker, Jens Schubert und David Farmer haben zusammen eine Firma gegründet, die CS-Cycling Sport. In der Taubenstraße 1, in den alten Räumen des Dorfladens, findet man nun statt Einmachgläsern High-Tech Karbonfahrräder, die stolz von Schubert und Schick vorgezeigt und erklärt werden. Zu erklären gibt es einiges, denn nicht nur sind die Räder komplexe Maschinen. Jedes von ihnen ist eine Maßanfertigung. Stangenware gibt es hier nicht. Deswegen nennen sich die vier auch "bike tailors", Fahrradschneider.

Für Nick Schick sind maßgefertigte Fahrräder ganz normal. "Als ich noch ein Kind war, habe ich ein normales Rad geschenkt bekommen", erinnert er sich. "Nach ein paar Tagen habe ich es auseinandergenommen. Es hat sich falsch angefühlt." Seitdem hat er sich jedes Fahrrad, dass er besessen hat, selbst gebaut. Und das waren einige. Schick war nie Profi, aber definitiv ambitionierter und versierter als die meisten.

Schick kommt ursprünglich aus Florida, seit sechs Jahren lebt er mit seiner Frau in Moosach. Als er ankam, trat er Fahrradclubs bei und schraubte in seiner Garage bald an Rädern herum, die Bekannte und Freunde ihm brachten. "Mit der Zeit wurden das so viele, dass ich meine Garage ausräumen und viel Zeit darauf verwenden musste."

Nico Windecker schlug dann bei einem dieser Abende, bei denen man lange zusammensitzt und ein bisschen herumspinnt, vor, dass man daraus ein Geschäft machen könnte. Windecker, Farmer und Schubert sind ebenfalls Fahrradenthusiasten. Letzterer etwa fährt seit der ersten Klasse Radrennen, "alles, was man sich so vorstellen kann". Mit 16 kam die erste Freundin, die Prioritäten verschoben sich - aber die Leidenschaft für die Fahrräder blieb.

Nachdem sich die vier Freunde die Räder der Konkurrenz angeschaut hatten, dachten sie sich: Das können wir besser und billiger. Nach einigem Hin und Her gründeten sie schließlich ihre Firma. Zunächst fingen sie an, ihre Räder online zu verkaufen. 50 bis 60 Stück haben sie bisher zusammengesetzt, weitere sind in Arbeit. Dabei hat jeder der vier derzeit noch eine geregelte Arbeit, bei BMW, als IT-Consultant oder in der Satellitenkommunikationsbranche. Mittel- und langfristig wollen sie sich jedoch ausschließlich auf ihre Leidenschaft konzentrieren.

Schon jetzt hat jeder seine Rolle in der Firma: Farmer ist der Ingenieur, der die Räder entwirft, Schubert setzt sie zusammen, Windecker kümmert sich um die Finanzen. Schicks Spezialität wiederum besteht darin, biometrische Messungen vorzunehmen und Fahrer durch den Prozess zu führen. "Die meisten Leute passen sich an ihr Rad an", so Schick. "Wir passen das Rad an die Leute an."

Die Maßanfertigung basiert zu gleichen Teilen auf moderner Technik und langjähriger Erfahrung

Dabei bedienten sie sich einer "Mischung aus Wissenschaft und schwarzer Magie." Kommt ein Kunde oder eine Kundin das erste Mal zu den Bike Tailors, wird er oder sie zunächst einmal ausgiebig befragt: für welche Strecke soll das Rad dienen? Wie oft und wie weit fahren Sie? Haben Sie Vorerkrankungen, wie etwa eine Knieverletzung?

Anschließend wird beinahe jegliches erdenkliches Maß genommen: Armlänge, Schulterabstand, Handgröße, Abstand zwischen den Gesäßknochen. Dazu verwenden die Fahrradschneider eine Vielzahl unterschiedlicher Geräte, von einfachen Zollstöcken, über einen Nunchaku-ähnlichen Gegenstand zur Bestimmung der idealen Lenkerposition bis hin zu Hochgeschwindigkeitskameras und spezieller Software, mit deren Hilfe die Winkel der Extremitäten beim Fahren sichtbar werden.

Doch alle Technik kann die Erfahrung nicht gänzlich ersetzen. "Die Theorien darüber, was die ergonomisch besten Winkel sind, ändern sich ständig", so Schick. "Ich halte mich auf dem Laufenden, aber verlasse mich stark auf meine zwanzig Jahre Erfahrung in diesem Bereich."

Schick führt zu Demonstrationszwecken einen Trick vor. Hält man besagte Nunchakus mit offenen Augen in einer bequemen Position und anschließend mit geschlossenen Augen, zeigen sich deutliche Unterschiede in der Haltung. "Das liegt daran, dass man eine visuelle Vorstellung davon hat, wie die Haltung aussehen soll", erläutert Schick. Der Körper spreche jedoch oft seine eigene Sprache.

Nachdem ebenjener Körper des Kunden gläsern gemacht wurde, geht es schließlich daran, die letzten Design-Fragen zu klären. Welches Zubehör darf nicht fehlen, welches Farbschema soll verwendet werden. Auch hier liegt der Fokus auf Individualität: "Manchmal schicken mir Leute Bilder von Dingen - nicht Fahrrädern - deren Design sie toll finden", erzählt Schick. An diesem könne er sich orientieren, um das Fahrrad zu finalisieren.

Das Endprodukt kostet mehrere tausend Euro

Der ganze Prozess, vom ersten Schritt in den Laden bis zum ersten Tritt ins Pedal, dauert etwa vier bis zehn Wochen. "Je nachdem, wie viel Zeit sich der Kunde für seine Entscheidungen nimmt, kann es auch mal deutlich länger dauern", so Schuster. Der Aufwand würde sich aber lohnen. Nicht nur kann es viel Spaß machen, auch die Kunden würden durch diesen Prozess Vertrauen gewinnen.

Was Zeit, individuelle Gestaltung und auch Kosten anbelangt, bringt Schick es mit dem Spruch "the sky is the limit" auf den Punkt. Die Basis-Preise der Räder liegen bei mehreren tausend Euro, also eher nichts für den wöchentlichen Trip zum Supermarkt, aber auch nicht ungewöhnlich für hochklassige Produkte. Das ganze Einkaufs-Erlebnis richtet sich an Fahrradenthusiasten und solche, die es noch werden wollen.

Dennoch gibt es keinen typischen Kunden, der bei den Bike Tailors einkauft. "Wir haben eine große Bandbreite", so Schick. "Von semiprofessionellen Vielfahrern zu Nicole, die ihren Plastikfrosch vorne an den Lenker klebt und einfach froh ist, dass sie ein Fahrrad hat, das ihrem Körper passt." Da macht vermutlich selbst im Regen Fahren Spaß.

Der Fahrradladen in der Taubenstraße 1, in Moosach ist an diesem Samstag, 7. Januar, von 14 bis 18 Uhr das erste Mal geöffnet, alle Interessierten sind eingeladen.

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