Süddeutsche Zeitung

Volksmusik:Die Tuba-Boarischen

Kann man heute mit traditioneller Volksmusik überhaupt noch Menschen erreichen? Sechs Musikanten aus Moosach sind mit ihrer "Stoabuckl Musi" auf einem guten Weg.

Von Korbinian Eisenberger, Moosach

Fingerhakeln ist ein zeitaufwendiger Sport, weil, wer es ernst meint, täglich übt. Dem ernsthaften Ex-Fingerhakler Nikolaus Sigl braucht man das nicht zu erzählen, er kennt die umkämpfte Szene, und genau aus dem Grund habe er mit dem Sport aufgehört, sagt er. "Durch die Musi habe ich für das Fingerhakel-Training einfach keine Zeit mehr gehabt", erzählt Sigl. Die Musi hat den Sport verdrängt, Sigl, 21, trägt immer noch Filzhut und Krachlederne, doch jetzt ist er Bandleader. Fingerhakeln sei schön, sagt er. Aber Musispuin ist halt noch viel schöner.

Zwischen Moosach und Kirchseeon, in dem kleinen Dorf Baumhau ist die Stoabuckl Musi zuhause, an diesem Abend wird geprobt. In der Finsternis hört man die Kuhglocken bimmeln, nur hinter einem Fenster auf einer Anhöhe brennt noch Licht. Hier, in der Stube des Baumhauer-Hofs, sitzt Nikolaus Sigl mit seinen Spezln beisammen, Instrumente in der Hand, Weißbier auf dem Tisch. Es erklingt beste Volksmusik mit Horn, Trompete, Tuba, Harfe und Ziach. Traditionell soll es sein, und fetzen soll es. "Brachial, schmissig und ohne Liebeleien", sagt Sigl. Wie beim Fingerhakeln, nur ohne Verlierer.

Die Stoabuckl Musi, das sind sechs junger Männer, die es mit den modernen Weichspüler-Tönen aufnehmen wollen. "Mia san a traditionelle Band", sagt Nikolaus Sigl, der sich mit dem Münchner Sänger Günther Sigl von der berühmten Spider Murphy Gang nur den Nachnamen teilt. Musikalisch kommt die Stoabuckl Musi ganz anders daher, mit den Tönen ihrer Urväter nämlich. Sigl und seine Gruppe stehen für das, was in diesen Zeiten immer seltener zu hören ist, zumindest im Radio oder im Fernsehen: bayerische Instrumente mit bairischem Gesang, Polka, Gstanzl und Danzl. Ohne Schnickschnack, ohne Verstärker, ohne jede Schnittmenge mit Pop oder Schlager.

In der Stube dröhnen jetzt die kräftigen Stimmen der jungen Musikanten, zwischen Holzvertäfelungen hat vor drei Jahren alles angefangen mit der Musi, beim Hoagascht oder beim Volksfest. "Wir haben schnell gemerkt, dass das passt", sagt Sigl. Seitdem treffen sich die Sechs von der Stoabuckl Musi jede Woche auf dem Hügel bei Moosach, den sie hier nur den "Stoabuckl" nennen. Denn in den Sechzigerjahren haben die Einheimischen hier Kies abgebaut und auf Waggons verfrachtet. Damals fuhr zwischen Glonn und Grafing noch eine Bahn, der "Musikantenstadel" war noch gar nicht erfunden, und auf Bayern 1 lief traditionelle Volksmusik.

Es gibt Leute, die diesen Zeiten hinterhertrauern. Und es gibt Gruppen wie die Stoabuckl-Musi aus Baumhau, die Blechhoiz Musi aus Baiern oder die Schonseitn Musi aus Otterfing. Es gibt sie, die jungen Musikanten, die mit Polka und Tanzl etwas anfangen können. "Wir wollen die Volksmusik zurück in die Öffentlichkeit holen", sagt der 17-jährige Ludwig Feichtner, Harfenist, Zwölftklässler und mit einem Lausbuben-Gesicht gesegnet, dass man ihm sogleich eine Stunde Nachsitzen aufbrummen möchte. "Man merkt, dass uns die Leute gern zuhören", sagt Toni Wolpertinger, der wirklich so heißt, seinen Eltern gehört der Hof. Der Ziachspieler ist 21, Modellbauer und schaut immer ein bisserl drein, als habe er den anderen vor dem Üben heimlich ihre Instrumente verstimmt.

Mit Instrumenten und einer Kiste Bier per Rikscha an der Berliner Polizei vorbei

Es ist wie sonst auch, die sechs Musikanten sitzen um das geschnitzte Stoabuckl-Holzschild herum, Kniestrümpfe und Goiserer-Schuhe, Lederhosen und Federhüte. Für ihre Auftritte haben sie sich mittlerweile eine einheitliche Tracht zugelegt, jetzt, wo ihnen die Veranstalter mehr Gage anbieten, wo die Wege zu Auftritten weiter und die Terminkalender voller werden. Schwer zu sagen, wer von ihnen der größere Halunke ist. Es hat sich jedenfalls herumgesprochen, dass diese Burschen musikalisch nicht gerade auf der Brennsupp'n daher g'schwommen sind, dass sie sich als Botschafter des bayerischen Geschmacks sehen, und dass sie oft auch als solche verstanden werden - bis über die Landesgrenzen hinaus.

Neulich hat die CSU die Stoabuckl-Musikanten in die bayerische Vertretung nach Berlin eingeladen. Die sechs spielten auf, wie sonst auch, laut und unpolitisch, ehe sie sich samt Instrumenten und einem Kasten Bier per Rikscha durch die Hauptstadt kutschieren ließen. "Auf dem Weg hat uns die Polizei aufgehalten", sagt Stephan Heyenbrock, 24, Ingenieur im Masterstudium, Hornbläser und Rotzlöffel. "Die Beamten fanden es nicht so gut, dass ich ein Martinshorn nachgemacht habe", sagt er. Nach einer Ermahnung ging es weiter ins Berliner Hofbräuhaus, "da war tote Hose", sagt Heyenbrock. Klar, da legte die Stoabuckl Musi gleich los, nach zwei Liedern standen die Leute auf den Bänken.

Der Schongang, der liegt ihnen allesamt nicht besonders. Weder Markus Sedlmaier, dem 20-jährigen Tubisten, noch dem 19-jährigen Peter Wolpertinger an der Trompete. Laut ist die Stoabuckl Musi und stimmungsvoll - das ist vielleicht die einzige Gemeinsamkeit mit Bands wie La-Brass-Banda oder den Cuba-Boarischen. Und natürlich: die Gaudi.

Grinsen auf der Eckbank, die Ohrwascheln werden rot: Logisch waren sie dabei, alle war'n sie dabei, damals, als der Moosacher Pfarrer sie für einen Festgottesdienst in den Vatikan eingeladen hatte. "Wir wussten, dass Bierkrüge am Papstaltar nichts zu suchen haben", sagt Sigl. Also mussten die Stimmbänder bereits auf der Hinfahrt geölt werden, und zwar mit mehreren Tragln Bier. "Die Nonnen im Bus waren irritiert, weil ich beim Beten eingeschlafen bin", sagt einer. Die strengen geistlichen Blicke entspannten sich erst, als die Stoabuckl Musi im Petersdom zu spielen anfing. Ausgeschlafen, mit flinken Fingern und ganz ohne Hakler.

Live erleben kann man die "Stoabuckl Musi" bereits am Sonntag, 15. Oktober, bei der Dorfkirta in Obereichhofen.

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Quelle:
SZ vom 14.10.2017/koei
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