Moosach:"Wer nicht denkt, fliegt raus"

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Legendär: Joseph Beuys' Ein-Mann-Inszenierung vor einem Heu fressenden Schimmel 1969 in Frankfurt. War ihm das Theater womöglich näher als die Bildende Kunst? Darum geht es am Freitag in Moosach. (Foto: Ute Klophaus aus der Publikation: "Joseph Beuys. Zeige deine Wunde", Edition Lenbachhaus-07, Schirmer/Mosel-Verlag München 2021/oh)

Zum 100. Geburtstag von Joseph Beuys feiern das Moosacher Meta Theater und sechs weitere Kunststätten den Künstler.

Von Alexandra Leuthner, Moosach

Wer war Joseph Beuys? Erfinder der Fettecke? Provokateur? Der Mann mit dem Filzhut? Avantgardist? Stimme der Achtundsechziger? Künstler? Visionär? Gesamtkunstwerk? All diese Begriffe mögen auf ihn passen. Unterhält man sich mit Wolfger Pöhlmann, dann möchte man meinen, er war noch viel mehr. "So eine ähnliche Ausstrahlung könnte Jesus gehabt haben", sagt der Kunsthistoriker an einem sehr realen und irdischen Herbsttag in einem Café im Münchner Umland sitzend, und bringt mit seinen Worten die metaphysische Dimension ins Spiel, die bei dem legendären Künstler immer mitschwang, mehr noch, die zu den Triebkräften seines Schaffens gehörte.

Die christliche Leitidee von der Mitmenschlichkeit habe er immer praktiziert. Und so seien Beuys' Anhänger wie Jünger gewesen, sagt Pöhlmann, der dem damaligen Professor für monumentale Bildhauerei an der Kunstakademie Düsseldorf als sehr junger Mann begegnet ist, als Geschäftsführerassistent beim Deutschen Künstlerbund - und er versucht gar nicht zu verhehlen, dass er selbst jenen Jüngern nahesteht. Wenn er auch nicht in allem dem Meister folgen wollte - Pöhlmann nennt dessen Aufruf, das Demokratische System der Bundesrepublik zu boykottieren als Beispiel, nachdem Beuys zunächst die Grünen Ende der 70er Jahre mit aus der Taufe gehoben hatte.

Im Mai wäre der Rheinländer Joseph Beuys 100 Jahre alt geworden, und Pöhlmann, Vorsitzender des Vereins Meta Theater Moosach, hat die kuratorische Betreuung eines Programms übernommen, das jener Ausnahmeerscheinung der deutschen Kunstwelt gewidmet ist und sieben Spielstätten in München und Oberbayern mit einbezieht.

Die Galerie im Lenbachhaus, die Akademie der Schönen Künste, Das Maximum/Kunst-Gegenwart Traunreut, die Münchner Kammerspiele, die Pinakothek der Moderne, die Gemeinde Tyrlaching im Landkreis Altötting, der Omnibus für Direkte Demokratie und - federführend - das Meta Theater mit Axel Tangerding sind die Kooperationspartner der Veranstaltungen zwischen Donnerstag, 30. September, und Dienstag, 5. Oktober.

Johannes Stüttgen (links) und Wolfger Pöhlmann haben die Reihe "In jedem Detail das Ganze" zum 100. Geburtstag von Joseph Beuys organisiert. (Foto: Veranstalter / oh)

Hauptprotagonist ist Johannes Stüttgen, Autor, Künstler und Weggefährte Beuys', der Vorträge halten und dem Publikum das vielfältige Genie und seinen erweiterten Kunstbegriff mit der Maxime "jeder Mensch ist ein Künstler" näher bringen wird. In seiner "Tafelrede" im Meta Theater am Freitag wird er jenen legendären Auftritt wieder aufleben lassen, der durch die großartige Fotografie von Ute Klophaus ins kollektive Gedächtnis eingegangen ist: Beuys vor einem Heu fressenden Schimmel auf der Bühne.

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Dass der Bildhauer, Aktionskünstler, Kunsttheoretiker und Zeichner Beuys damals mit seinem legendären Filzhut auf dem Kopf und in einer Ein-Mann-Bühneninszenierung "Iphigenie auf Tauris" und "Titus Andronicus" gestikulierend und zitierend in Eins goss, während im Hintergrund vom Band die Originaltexte abgespielt wurden, wäre schon Avantgarde genug gewesen - "und wäre es heute immer noch", vermutet Pöhlmann. Die antike griechische Tragödie mit dem in der spätrömischen Zeit sich ereignenden Drama zu verbinden, Goethe und Shakespeare in einer Collage zusammenzuführen und das Ganze vor dem Moment der unkalkulierbaren Natur in Form eines Pferdes darzustellen, habe alle gängigen Vorstellungen von Theater aus den Angeln gehoben.

So seien Kritiker von damals, Botho Straus und Peter Handke, die den Auftritt besprochen hatten, "beide zutiefst gerührt" gewesen. Er selbst, Pöhlmann, sei nicht dort gewesen im Frankfurter Theater am Turm, "aber das Bild hat sich mir wahnsinnig eingeprägt". Im Theaterraum waren allerdings viele junge Studenten zugegen, die bei der zweiten Vorstellung die Bühne stürmten und versuchten, das Pferd zu befreien. Selbst Beuys, der ja Kunst als Vehikel benutzte, um Reaktionen zu provozieren, sein Publikum zum Mitdenken zu animieren - "wer nicht denkt, fliegt raus" -, war eine "solch destruktive Reaktion, die gefährlich werden kann", zu viel, so Pöhlmann. "Aber Stüttgen war dort, und auch davon kann er im Meta Theater erzählen."

Johannes Stüttgen, der nach einem abgebrochenen Theologiestudium in die Klasse Beuys an der Düsseldorfer Kunstakademie kam und zum Lieblingsstudenten und Dialogpartner des Lehrmeisters wurde, schließe mit seiner Tafelrede eine Lücke in der Rezeption des Künstlers, erklärt Pöhlmann. Ihn selbst verbindet nach seinem Wirken unter anderem als Mitarbeiter des Münchner Kulturreferats und später Vertreter des Goethe-Instituts in Madrid und Athen eine lange Freundschaft mit Stüttgen. Er sei immer wieder überrascht davon, dass zwar viel über Beuys geschrieben worden sei, über sein Verhältnis zur Musik, zum Material, zu Christus oder zur Medizin, aber nichts über sein Verhältnis zum Theater.

Dabei sei der Künstler dem Theater weitaus näher gewesen als der Bildenden Kunst, setzten sich doch seine Werke, seine Skulpturen immer aus "Requisiten von Handlungen" zusammen, so wie jener Schrank aus der Sammlung Karl Ströher in Düsseldorf, die Pöhlmann erstmals mit Beuys konfrontiert hatte. "Ein aufgeklappter großer Wandschrank voller Utensilien - das war anders als alles, was ich je gesehen hatte, eher ein Altar, ein Hochaltar", beschreibt er.

Als Beuys sich 1968 für eine Ausstellung im Komm in Nürnberg beworben hatte, nicht mit einem Werk, sondern dem Ansinnen, einen Raum gestellt zu bekommen, begegnete Pöhlmann ihm in Natura. Das heißt, er hörte ihn. 100 Kilogramm Fett hatte Beuys verlangt - Fett war für ihn nach Erfahrungen des Ausgeliefertseins im Zweiten Weltkrieg immer ein Symbol für Wärme, Energie und Überleben gewesen.

Dazu orderte er 100 Luftpumpen mit Holzgriff. Dann habe er sich zwei Tage lang im Raum eingesperrt, "hinter der Tür hörte man nur so dumpfe Laute", erinnert sich Kunsthistoriker Pöhlmann. Als sich die Tür wieder auftat, war das Fett verschossen - und die Boulevard-Presse machte eine große Geschichte daraus, in der sie mit dem Bild eines Biafra-Kinds gegen Beuys Stimmung machte.

Über Joseph Beuys und das Theater spricht Johannes Stüttgen am Freitag, 1. Oktober, im Meta Theater Moosach. Beginn 19 Uhr, Infos unter (08091) 3514 oder info@meta-theater.com

© SZ vom 30.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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