Süddeutsche Zeitung

Mitten in Vaterstetten:Drei Farben Grau

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Der Sitzungssaal hat einen neuen, weniger bunten Anstrich bekommen. Wenn damit die Gemeinderatsmitlieder besänftigt hätten werden sollen, muss die Strategie als wenig geglückt bezeichnet werden

Kolumne von Wieland Bögel

Im Herbst, so wissen es viele Gedichte und Lieder, wird es erst sehr bunt, dann sehr grau. Analog kleiden sich viele Menschen im Frühherbst eher farbenfroh, und immer dezenter, je näher ernste Termine wie Allerheiligen, Buß- und Bettag oder Totensonntag rücken. Soweit ist es ja derzeit nicht, in Vaterstetten hat man sich aber offenbar schon darauf vorbereitet - und sich bei der Renovierung des Sitzungssaales zumindest farblich an der Sepulkralkultur orientiert.

Bisher war an dem Ort, an dem Vaterstettens Gemeinderäte ihre Argumente austauschen, gewissermaßen ewig Frühherbst. Die Wände waren in einem ins Rötlich-ockerfarbene changierenden Gelb gehalten, das durch die verwendete Schwammtechnik an herbstliche Laubbäume erinnerte. Genau wie die Säulen, die auch einen unregelmäßigen Farbverlauf verpasst bekamen, dessen rotbrauner Grundton ebenfalls ein herbstlicher war. Insgesamt schien eine "Herbst in Neuengland"-Postkarte als Vorlage gedient zu haben, inklusive der dort gerne neben buntem Herbstlaub abgebildeten Spiegelseen, hier umgesetzt als spiegelnde Metallelemente an der Frontseite.

Diese sind zwar immer noch da, allerdings hat der Rest des Raumes über die Sommerferien einen Wechsel zwischen goldenem Oktobernachmittag hin zu November um kurz nach elf Uhr abends hingelegt. Die Wand an der Stirnseite bekam einen Anstrich in Anthrazit, wie es der Himmel in einer spätherbstlichen Nacht nicht besser hinbekäme. Für die Säulen hatte man wohl beim Bauhof noch ein paar Kübel Farbe übrig, wie sie an Betonelementen von Straßenunterführungen gerne zum Einsatz kommt. Der Rest der Wände ist in einer Art gedecktem Weiß oder leichtem Hellgrau gehalten, eben wie die Nebelschwaden, die solche Novembernächte gelegentlich durchwehen.

Aber vielleicht steckt weniger Ästhetik als Taktik hinter der Neugestaltung: Gedeckte Farben sollen die manchmal sehr diskussionsfreudigen Ratsmitglieder in ruhige Stimmung versetzen. Der bisherige Verlauf der Sitzungswoche gibt indes wenig Anlass dazu, diese Strategie als geglückt zu bezeichnen - ist aber auch klar: Gegen die Kühle des Herbstes hilft eine hitzige Debatte eben fast so gut wie Glühwein.

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Quelle:
SZ vom 20.09.2019
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