Mitten in Grafing:Überall Verfassungsfeinde

Ein FDP-Politiker entdeckt einen Antifa-Sticker am Grafinger Jugendzentrum - und wähnt die öffentliche Ordnung in Gefahr. Steht die Revolution vor der Tür?

Kolumne von Dorian Baganz

Das sollen sie also sein, die Grafinger Verfassungsfeinde: Sie trinken Bier und spielen Kicker, im Hintergrund läuft Rockmusik. Eine Gruppe sitzt an einem Tisch und organisiert eine Demo gegen Rassismus - und für Weltoffenheit! Umverteilung finden sie hier, bei der Jugendinitiative Grafing (Jig), auch nicht verkehrt. In den USA würden diese Mädels und Jungs glatt als "Plünderer" durchgehen: Als solche hatte die Schriftstellerin Ayn Rand einmal die amerikanischen Sozialisten bezeichnet. Und wäre hierzulande Hans-Georg Maaßen noch im Amt, würde er die Hippies im Jig vermutlich als Prüffall einstufen. In diese Richtung dachte anscheinend kürzlich auch ein Grafinger FDP-Politiker, der nach einer Diskussionsveranstaltung im Jig das Emblem der "Antifa" an der Gebäudefassade entdeckte. Das ist die Kurzform für "Antifaschistische Aktion". Auf dem Symbol sind zwei wehende Fahnen zu sehen: Eine schwarze, die für Anarchismus steht - und eine rote für den Sozialismus. Anarchismus! Sozialismus! Das konnte der Liberale selbst den jungen Leuten nicht durchgehen lassen, klar.

Lauthals habe er sich beim Vorstand des Jugendtreffs, Keno Maierhofer, über die "verfassungsfeindlichen Symbole" beschwert, wie aus Reihen des Jig zu erfahren war. Der FDP-Mann führte damit auf kommunaler Ebene nur fort, was er von seinen Parteikollegen auf höheren Ebenen vorgelebt bekommt. Es war Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki, der im September 2019 der Linken-Abgeordneten Martina Renner einen Ordnungsruf erteilte, weil sie im Hohen Haus einen Anstecker der Antifa am Revers trug. Ob nun Anstecksymbole ein Verstoß gegen die Geschäftsordnung des Bundestages darstellen (oder nicht), das liegt ganz im Ermessen des Präsidenten. Recht präsidiale Züge trug aber auch das Verhalten des selbsternannten Grafinger Ordnungshüters. Allerdings liegt es so gar nicht in seinem Ermessen, ob die Sticker an der Fassade des Jig als verbotene Symbole einzustufen sind: Das entscheidet hierzulande immer noch der Verfassungsschutz. Und auf deren Liste steht das Antifa-Logo nicht.

Dementsprechend blieb der Sticker in Grafing dort kleben, wo er klebte. Ganz zum Ärger des FDP-Mannes. Schließlich können sie jetzt im Jig weiter ihre anarcho-sozialistische Revolution planen. Und Bier trinken. Wenn hier bald das Chaos ausgebrochen ist, die Typen vom Jugendtreff marodierend durch die Straßen ziehen und mit rot-schwarzen Fahnen den Sturm aufs Grafinger Rathaus üben: Wir wurden gewarnt!

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