Süddeutsche Zeitung

Mitten in Grafing:Kommt Zeit, kommt Rat

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Mit dem Alten so lange wie möglich, mit Neuem so bald wie nötig. Diese Doktrin aus dem real existierenden Konservativismus strahlt in Grafing weit über die Stadtplanung hinaus

Glosse von Thorsten Rienth

Beständigkeit gilt in Grafing als hohes Gut. Deshalb hat es in Stadtrat und Rathaus gute Tradition, die Dinge nicht zu überstürzen. Das Kinderzentrum an der Forellenstraße etwa geht noch auf die Amtszeit von Alt-Bürgermeister Rudolf Heiler und das Jahr 2010 zurück. Laut aktuellem Zeitplan soll der Betrieb im Herbst 2023 starten. Zwei Jahre länger schon wird an der früheren VHS- und Musikschulzentrale in der Rotter Straße 8 nichts überstürzt. Dort hatte es die Stadt beim Brandschutz, nun ja, nicht ganz so genau genommen. Deshalb sperrte das Landratsamt das ehrwürdige städtische Gebäude im Dezember 2008 größtenteils zu.

Mit dem Alten so lange wie möglich, mit Neuem so bald wie nötig. Diese Doktrin aus dem real existierenden Konservativismus strahlt in Grafing weit über die Stadtplanung hinaus. Und kräftig ins Stadtratsgeschäft hinein, wo sich eine bemerkenswerte politische Behäbigkeit offenbart.

Zu den guten Traditionen gehört nämlich auch, dass sich neu zusammengewürfelte Stadtratsgremien nach ein paar Schnupperwochen zur Klausur zurückziehen: Ein Wochenende außerhalb der öffentlichen Gremienarbeit, an dem die Hochglanzbroschüren aus dem Wahlkampf mal kritisch auf ihre Praxistauglichkeit abgeklopft wird. Und das, was am Ende übrig bleibt, grob in eine sinnvolle und mehrheitsfähige Reihenfolge geordnet wird. Zum Beispiel, dass man jetzt mal wirklich loslegen sollte mit der allseits proklamierten Marktplatz-Neugestaltung. Oder die "RO8"-Sanierung hintenanstehen muss, weil kein Geld mehr da ist. Und es inzwischen ohnehin keinen großen Unterschied mehr macht, ob die alte Schule nun 13 Jahre lang vor sich hinrottete oder 18. So viele werden es bei den Kommunalwahlen 2026 jedenfalls sein.

Kommendes Wochenende hätte die Grafinger Stadtratsklausur stattfinden sollen. Eineinviertel Jahre nach der konstituierenden Sitzung des Gremiums. Dann gab es Beschwerden. Ob das denn wirklich sein müsse? Eine Klausur mitten im Sommerurlaub? Grafings Bürgermeister Christian Bauer (CSU) gab dem Einspruch statt. Nun soll es im Herbst einen neuen Termin geben. Bis dahin ist ein knappes Viertel der Wahlperiode gelaufen. Kommt Zeit, kommt Rat. Man hofft es.

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SZ vom 20.07.2021
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