Mitten in Grafing:Gute alte Zeit

Inmitten der zweiten Lockdown-Tristesse bietet die Stadt Grafing einen gedruckten Fluchtweg in eine bessere Zeit

Glosse von Thorsten Rienth

Wenn sich eine Druckmaschine des Freisinger Reba-Verlags 7400 mal öffnet und danach alles ruhig ist, waren die Grafinger am Werk. So hoch nämlich ist die Auflage des Amtsblatts "Grafing Aktuell", des wohl reichweitenstärksten regelmäßig erscheinenden Grafinger Print-Produkts. Wie viele Exemplare ihre Monatsfrist auf den städtischen Schrieb-, Couch- und Küchentischen abliegen oder bei so allerlei anderen Sitzungen konsumiert werden, das darf freilich brav in der Privatsphäre von rund 14 000 Grafinger weichgezeichnet bleiben.

Unbekannt ist auch, wie viele von ihnen sich bei einer festtagsvöllereibedingt womöglich etwas längeren Sitzungen der vergangenen Tage über die Sommer-Ausgabe vom 31. Juli wunderten. Jedenfalls gab es Briefkästen, in denen eben jenes Blatt anstelle der vergangene Woche zu versendeten Dezember-Ausgabe gelegen hatte. "Leider sind Mitte Juli einige neue Fälle im bereits als coronafrei bezeichneten Landkreis Ebersberg aufgetaucht", schreibt Bürgermeister Christian Bauer (CSU) nun also etwas aus der Zeit gefallen an die "Lieben Mitbürgerinnen und Mitbürger." Auch sonst - am Erscheinungstag hatte die bundesdeutsche Sieben-Tage-Inzidenz bei etwas über fünf Fällen pro 100 000 Einwohner gelegen - ist das Heftchen eine Rückblende in die gute alte Zeit: Beim Breitbandausbau startete die dritte Ausschreibungsrunde, für den Senioren-Beirat soll ein Logo ausgearbeitet werden, das Ordnungsamt sucht einen neuen Sachbearbeiter. Das an Kinderbetreuungsplätzen notorisch klamme Grafing verkündet plötzlich freie Kita-Plätze und die Ebersberger Energieagentur inseriert eine ganzseitige Anzeige "Zum Tag des Toilettenpapiers am 26. August". Das passt insofern, als dass es auf der folgenden Seite um Problemmüll geht, an den das Toilettenpapier aufgrund der schieren Verbrauchsmenge von 40 Rollen pro Bundesbürger knapp heranreiche - und der Leser ja womöglich gerade sitzt. Sei's drum. In die Spalte mit den Schokopralinen ist ja auch irgendwie das Foto einer Weißbierflasche gerutscht.

Unterm Strich ist's, wie nicht nur der Bayer sagt, sondern es auch zum Thema passt: wurscht. Denn auch Grafing ist in puncto Digitalisierung große Schritte gegangen. Das Amtsblatt kommt auf der Rathaus-Webseite herunterladbar daher, auch die Dezember-Ausgabe. Wenn das mal kein Grund zum Böllern ist!

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