Mitten in Grafing:Gott mit Dir, Du Distelfink

Schottervorgärten
(Foto: dpa)

Die Bayernpartei in Grafing warnt vor der fortschreitenden Überfremdung der bayerischen Gartenkultur und ruft (echter Wortlaut) zu "Rassismus im Blumenbeet" auf

Kolumne von Wieland Bögel

In Bayern gehen ja nicht nur die Uhren, sondern, wie man spätestens seit gestern weiß, auch die Kalender anders. Denn während im Rest der Republik die meisten kleineren Geschäfte am Montag wieder aufmachen durften, bleibt im Freistaat der corona-bedingte Sonderladenschluss noch eine Woche länger bestehen. Eine Ausnahme gibt es allerdings für Bau- und Gartenmärkte. Hier, so hat es die Staatsregierung in ihrer unhinterfragbaren Weisheit herausgefunden, ist die Infektionsgefahr nämlich viel geringer als beispielsweise in einem Buchladen. Gefahrlos ist die Wiedereröffnung der Gartencenter indes mitnichten, jedenfalls nicht in den Augen der Bayernpartei: Deren Grafinger Ortsverband hat nun vor der fortschreitenden Überfremdung der bayerischen Gartenkultur gewarnt und (echter Wortlaut) zu "Rassismus im Blumenbeet" aufgerufen.

Die ganz offensichtlich aufmerksamkeitsheischende Formulierung ist aber nicht auf Angehörige nichtbajuwarischer Stämme gemünzt - die sind ohnehin, wie sich derzeit in vielen Gärten beobachten lässt, systemrelevant bei der Gestaltung derselben. Und genau dies hätte man bei der Bayernpartei gerne etwas bayerischer: "Pflanzt mehr Sträucher, Stauden und Blumen unserer bayerischen Heimat", so die Forderung. "Wenn jemand meint, einen oberbayerischen Reihenhausgarten mit Buddhas, Bambus und Pampasgras auszustatten, ist das natürlich sein gutes Recht", sagt dazu Andreas Franz von der Grafinger Bayernpartei. "Aber das erfolgreiche Volksbegehren für den Artenschutz sollte eigentlich alle Menschen sensibilisiert haben, dass Artenschutz nicht nur Sache der Landwirtschaft, sondern von uns allen ist."

Die der Bayernpartei gerne nachgesagte Nostalgie schwingt auch in der Gartenfrage mit, wenn sie betont, dass, wo heute drei Reihenhäuser stehen, früher Platz war "für Obstbäume, Beerensträucher, Steingarten und Holzschuppen. Zauneidechse, Zebraspinne und Zaunkönig fanden dort mühelos ihr Auskommen." Heute dagegen "bräuchten wir angesichts des Versieglungsgrades eigentlich Ausgleichsflächen im Siedlungsgebiet", findet der angehende Grafinger BP-Stadtrat Walter Schmidtke. Wie man diese anlegen kann, dazu bietet die Grafinger Bayernpartei gleich eine entsprechende Beratung an, "wenn es auch nicht zu den primären Aufgaben einer Partei gehört". Und verweist auf die vielen Vorteile der Unterstützung bajuwarischer Flora, etwa die kulinarischen Eigenschaften von Kräutern wie Geißfuß und Löwenzahn sowie "summende Insekten und jubilierende Distelfinken".

Ob der Appell zu mehr Bayern im Garten Gehör findet, bleibt abzuwarten. Die aktuelle Situation könnte dem aber zuträglich sein, denn Urlaub findet auf absehbare Zeit vor allem zuhause statt. Und wem die Flucht vor dem heimischen Garten des Grauens in weite Fernen nicht mehr möglich ist, findet vielleicht Gefallen daran, zwischen echten Blumen zu sitzen, frische Kräuter zu genießen und den Vögeln beim Pfeifen zuzuhören.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: