Süddeutsche Zeitung

Mitten in Grafing-Bahnhof:Im Zugzwang

Wenn die Bahn von einem "Störungsfallsznenario" spricht, sollten Fahrgäste mit allem rechnen

Von katharina behmer

Im Normalfall gibt es beim S-Bahn-Roulette zwei Optionen: Entweder der Zug kommt, oder der Zug kommt nicht. Rot oder schwarz. Nun fegte am Mittwoch das Sturmtief "Heini" durch das Land. Und ein Sturm ist eben immer auch ein Ausnahmezustand. Oder ein "Störungsfallszenario", wie es die Deutsche Bahn nennt. Der Worst Case ist spätestens dann erreicht, wenn eine "Lkw-Plane inklusive Metallteilen in die Oberleitung geweht" wird und dabei ein Signal umknickt. So geschehen in den frühen Morgenstunden in Zorneding. Von fünf Gleisen stand plötzlich nur noch eines für den Verkehr bereit, so eine Pressemitteilung der Bahn. Die Information der DB-App fiel allerdings weit weniger präzise aus. Für die Fahrgäste hieß es: "Witterungsbedingte Störung: Zwischen München-Ost und Ebersberg kommt es derzeit zu Verspätungen und Zugausfällen". Auch die Anzeigen an den Bahnhöfen trugen für die Pendler nur bedingt zur Problemlösung bei. Etwa in Grafing-Bahnhof. Dann eine einzelne Information: "Die S4 Ebersberg fährt heute von Gleis 1 ab." Also alle durch eine Unterführung rüber auf besagtes Gleis eins. Nach kurzer Wartezeit fuhr auch eine S-Bahn mit dem Ziel Ebersberg ein. Auf Gleis zwei. Also Manöver zurück - auf Gleis zwei und ab in den Zug. Etwa zur gleichen Zeit kam auf Gleis eins ebenfalls eine S-Bahn an. Angezeigtes Ziel: Ebenfalls Ebersberg. Manöver zurück - auf Gleis eins. Rennend. Fluchend. Mittlerweile erbarmte sich ein DB-Mitarbeiter, Informationen rauszurücken. Die Tür des Koordinationshäuschen öffnete sich, unverständliches Geschreie gegen den Wind - dann Klarheit: Die Bahn auf dem eben verlassenen Gleis zwei war die richtige. Manöver zurück Richtung Gleis zwei. Rennend. Ungläubig. Laut fluchend. Die Bahn war weg. Kein Problem: Die Deutsche Bahn hatte mittlerweile Schienenersatzverkehr in Form von Großraumtaxen an den Bahnhof geschickt. Nach Haar. Richtung Ebersberg brauchte es schließlich keinen Schienenersatzverkehr - es war ja gerade eine S-Bahn mit diesem Ziel abgefahren. Ohne Passagiere. Zumindest aus Grafing-Bahnhof. Man könnte fast meinen, die Deutsche Bahn halte es mit den Informationen wie Innenminister de Maizière, der gestern in einer Pressekonferenz zum Terrorverdacht in Hannover sagte: "Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern." Glaubt man der Deutschen Bahn, hatte sie selbst kaum Informationen zum Sturm. Ein "Störungsfallszenario" eben.

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Quelle:
SZ vom 19.11.2015
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