Süddeutsche Zeitung

Mitten in  Grafing:An der Uhr gedreht

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Die Veranstalter der Gewerbeschau garnieren ihre Messe mit bayrischem Brauchtum. Dabei lassen sie eine soziokulturell nicht unbedeutende Regel außer Acht und laden zum exklusiven Weißwurstfrühstück um 13.45 Uhr

Von Thorsten Rienth

Die Vorfreude der Grafinger Geschäftswelt auf die Gewerbeschau war grenzenlos. Einen regelrechten Ruck sollte die Messe der lokalen Wirtschaft bescheren, einen Aufschwung sondergleichen. Die Stadt sollte aufblühen wie in ihren besten Zeiten, damit es wieder heißt: Nach Ebersberg muss man. Nach Grafing geht man. Die Veranstalter haben der Messe einen bilderbuchbayrischen Anstrich verpasst. Es gibt musikalische Mittagstische mit der Grafinger Stadtkapelle und der "Glonner Musi". Der Auftritt vom Trachtenverein ist selbstredend und bayerische Spezialitäten kündigen die Veranstalter sogar für jeden Tag an. Die Messe könnte glatt als Vorprogramm des wenige Tage später beginnenden Grafinger Volksfests durchgehen.

Niemanden hätte es deshalb gewundert, hielten Angelika Obermayr, Heinrich Hölzle, der Vorsitzende des Grafinger Bunds der Selbstständigen und Georg Schlagbauer, Präsident der Handwerkskammer für München und Oberbayern, ihre Eröffnungsreden in Tracht. Nicht einmal eine Maß Bier auf dem Rednerpult wäre der Rede wert gewesen. Das allerdings ist es, wenn die Veranstalter - wohlgemerkt aus dem benachbarten Erding - eine soziokulturell wahrlich nicht unbedeutende Spielregel außer Acht lassen. Sie luden ein zum exklusiven Weißwurstfrühstück - Uhrzeit: 13:45 Uhr.

Der Zuagroaste staunt da nicht schlecht. Eine Weißwurst nach 12 Uhr mittags? Vor dieser Ignoranz hatte man ihn doch eindringlich gewarnt. Die Regel, jedes Kind weiß es, stammt aus einer Zeit, in der in Bayerns Küchen noch keine Kühlschränke standen. Für sicheren Genuss musste die frische, weiße Wurst bis Mittag verzehrt sein. Wer danach hineinstach, das Brät aus der Pelle kratzte und dessen zwischenzeitliches Hellgrau mit einem beherzten Schwung durch den dunkelbraunen Senf kaschierte, speiste riskant. Mit ein bisschen Pech verbrachte er den Nachmittag auf dem Donnerbalken.

Um ihre Mägen muss sich die exklusive Weißwurst-Runde keine Sorgen machen. Dass die Würste den Vormittag im Kühlschrank verbrachten, davon ist auszugehen. Und was das Malheur mit der Uhrzeit angeht, sei's drum - in Grafing gehen die Uhren eben anders.

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Quelle:
SZ vom 02.05.2015
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