Süddeutsche Zeitung

Mitten in Ebersberg:Zwischen Ende und Anfang

Lesezeit: 2 min

Gerade war noch erster Advent, schon wandern die Geschenk­verpackungen in den Papiermüll. Wo ist sie hin, die Zeit? Eine Frage, die man sich zum Jahreswechsel schon mal stellen darf

Kolumne von Alexandra Leuthner

Irgendwo dazwischen zu hängen, ist eine eher ungeliebte Erfahrung, wie sie in diversen Redewendungen auf den Punkt gebracht wird. Zwischen zwei Stühle setzt sich, wer sich nicht für die eine oder die andere Seite entscheiden kann. Wenn er Pech hat, steht er am Ende als der Gelackmeierte da, während sich die Streithähne geeinigt haben. Wer zwischen die Fronten gerät, dem ergeht es noch schlimmer. Aus der Schusslinie zwischen zwei gegnerischen Parteien kommt er, wenn er Pech hat, nur mit massiven Blessuren heraus - die ihm im Übrigen auch drohen, wenn er, aua, zwischen Hammer und Amboss gerät. Zwischen Tür und Angel klemmt man sich entweder die Finger ein, oder aber man muss sich, wenn man gerne dort Dinge erledigt, als recht oberflächlicher Zeitgenosse titulieren lassen.

Zwischen den Jahren nun scheint auch so ein Zustand - vielleicht aber auch nur ein Ausdruck - den manch einer nicht ausstehen kann, wobei die historischen Herleitungen der Redewendung durchaus interessant sind. Eine davon verweist auf die Zeit vor der Einführung des Gregorianischen Kalenders, als das Jahresende traditionell am 24. Dezember und Neujahr am 6. Januar gefeiert wurde. Keine Ahnung, was die Menschen in jener Epoche mit den zwölf fehlenden Tagen angestellt haben, vielleicht gab es ja schon damals so eine Art graue Herren, die, wie in Michael Endes Roman "Momo", die gesparte Zeit in Zigarren gerollt und einfach weggeraucht haben.

Ist von hier aus schwer zu recherchieren, wissen wir doch noch nicht einmal, wo die Zeit heute so bleibt. Egal ob stad oder irgendwo dazwischen, am Ende ist sie immer weg - und zwar schneller als wir registrieren konnten, dass sie überhaupt da war. Gerade war noch erster Advent, schwups, schon graut der Weihnachtsmorgen, und ein Fingerschnippen später wandern die zerrissenen Reste liebevoll ausgesuchter Geschenkverpackungen in die Papiertonne, verschwinden die Rücklichter mehr oder weniger gern beherbergter Feiertagsgäste im Dezemberregen, und alles schwappt zurück in den alltäglichen Zeitenlauf. Wo ist sie hin, die herrliche Langeweile unserer Kindertage? Wohin die unendlichen Feiertagsnachmittage, die auf dem Wohnzimmersofa neben dem Teller mit Kipferln sämtlichen "Mädels vom Immenhof" - mitsamt aller Ponys - und dem gesamten Hofstaat von "Sissi" der "jungen Kaiserin" Raum boten?

Aber vielleicht finden wir sie ja wieder, die verlorenen Minuten, Stunden und Tage, vielleicht sind sie hineingefallen in diese geheimnisvolle Dimension zwischen den Jahren. Wer - ha! - zwischen den Zeilen lesen mag, findet dort das kleine Versprechen auf ein bisschen Aus-von-der-Zeit, in der die eine oder andere Antriebsfeder ausgeklinkt ist und träge zwischendrin hängt, im Nichts jener Tage, die es gar nicht gibt.

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Quelle:
SZ vom 28.12.2019
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