Mitten in Ebersberg:Phantomschmerz nach Neujahr

Politiker bietet sich 2021 ein ungewohntes Bild: Kein Bad in der Menge, kein freundlich angereichter Sekt. Und vor allem kein Händeschütteln

Glosse von Barbara Mooser

Horst Seehofer hatte es gründlich über: Hunderte Hände schütteln, heiße, kalte, feuchte, klebrige, da hat der Spaß irgendwann ein Loch. 2017 verkündete der damalige bayerische Ministerpräsident, dass er künftig auf das Defilee und den persönlichen Körperkontakt mit jedem seiner gut 1700 Gäste beim Neujahrsempfang verzichten werde. Thronfolger Markus Söder führte 2019 das Ritual postwendend wieder ein - muss jedoch dieses Jahr ebenso auf den Händeschüttel-Marathon verzichten wie alle Bürgermeister im Landkreis Ebersberg, denn Neujahrsempfänge wird es nirgends geben. So still wie sich das alte Jahr verabschiedet hat, läuft das neue an.

Keine musikalischen Beiträge der örtlichen Jugend, keine warmen Worte von Pfarrern und Politikern, kein kaltes Büffet, das man endlich plündern kann, sobald ersteres vorbei ist. Kein Bad in der Menge, kein freundlich angereichter Sekt. Und eben kein Händeschütteln. Wer weiß, vielleicht leiden Politiker nach neun Monaten Abstinenz inzwischen unter Phantomschmerzen in ihrer rechten Hand? Vielleicht zwingen sie abends ihre Familienmitglieder, sie mit Handschlag zu begrüßen, um ihn nicht komplett zu verlernen?

Und da sind ja auch noch andere Gesten, bei denen die Politiker völlig aus der Übung kommen, wenn es so weiter geht: Das zackige Aufstehen und Verneigen etwa, wenn bei einer Begrüßung auf einer Veranstaltung der eigene Name genannt wird. Das elegante Überreichen von Präsentkorb oder Blumenstrauß. Das synchrone Durchschneiden von bunten Bändern, wenn irgendetwas eröffnet wird. Immerhin ein Ritual können sie bisweilen noch praktizieren: den ersten Spatenstich bei Großprojekten. Der findet schließlich meist im Freien statt, und Abstand ist auf weiter Flur auch nicht das Problem. Und wenn die Pandemie noch länger andauert, ist diese Fähigkeit vielleicht auch bei der Arbeit im eigenen Garten hilfreich. Wobei hier wiederum die Politiker ein wenig an der Technik arbeiten müssen: Mit einer Schaufel ein bisschen Erde in die Luft werfen und lächeln, das tut es dann eher nicht.

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