Süddeutsche Zeitung

Mitten in Ebersberg:Opas eineiiger Zwillingsbruder

Der Zweijährige macht im Fotoalbum eine spannende Entdeckung. Das könnte am Nikolaustag einige Aufregung verursachen

Glosse von Franziska Langhammer

Zwei Worte, und eine ganze Welt fällt zusammen. Na gut, keine richtige Welt, aber eine, welche Eltern mit Liebe und Fantasie für ihre Kinder gestalten und ausschmücken. Es geht um den Nikolaus, der ja nun schon bald wieder mit Sack und Pack auftauchen wird und hierzulande der Vorbote des Christkinds ist.

Den Nikolaus - Achtung, bitte verbergen Sie diesen Text unbedingt und sofort vor Ihrem minderjährigen Kind! - spielt in so manchem Haushalt der Opa. Die Mitra auf dem Kopf, den Rauschebart um das Gesicht geschlungen, und natürlich eine rot-golden glänzende Bischofstracht überzeugen auch das letzte Enkelkind, das vielleicht nicht das ganze Jahr artig gewesen ist und das nun - oh Schreck, woher weiß er das nur? - aus dem goldenen Buch seine Taten und Untaten vorgelesen bekommt.

Nun will man mit dem zweijährigen Sohn in Vorbereitung auf das nahende Nikolausfest die Bilder vom vergangenen Jahr ansehen. Damals freilich war der Kleine noch zu jung, um sich für mehr als die schokoladigen Inhalte der Nikolaus'schen Mitbringsel zu interessieren. Nun tippt er freudig auf das Foto von dem Mann mit dem goldenen Stab und ruft: "Opa verkleidet!" In höchster Not versucht man, auf die nächste Seite des Albums zu blättern und das Thema zu wechseln. "Schau, da ist ein Christbaum! Da liegen Geschenke drunter!"

Es dauert jedoch keine zwei Tage, da hat der Kleine das Fotoalbum schon wieder in den Händen. "Opa verkleidet!", ruft er völlig begeistert und deutet auf das Bild, auf dem der Opa verkleidet als Nikolaus zu sehen ist. Die vierjährige Schwester naht: "Wo ist der Opa verkleidet?" So, nun wird das Album aber endgültig zugeklappt und in unerreichbaren Höhen verstaut. Schnell wird ein Märchenbuch hervorgeholt und die Geschichte von Frau Holle vorgelesen. Die hat sich nämlich jemand anderes ausgedacht, nicht die Mama und auch nicht der Opa.

Brenzlig wird es, wenn dann nun tatsächlich der 6. Dezember naht. Was tun, wenn der Nikolaus vor einem steht, und der Kleine wieder die zwei verhängnisvollen Worte ruft? Woher soll man Opas nicht existenten, eineiigen Zwillingsbruder auftreiben, um zu beweisen, dass der Nikolaus gar nicht der Opa sein kann? Und die Oma hat bestimmt keine Lust darauf, sich den Rauschebart anzukleben. Vielleicht, so der Plan, wird schon mal vorab ein Stück Schokolade bereit gehalten, das dann bei Bedarf in den Mund geschoben werden kann.

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Quelle:
SZ vom 18.11.2020
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