Wer braucht schon einen Spiegel, wenn man Kinder hat. Neulich zum Beispiel. Von oben hört man nichts, nur emsiges Tippen und konzentriertes Papierrascheln. Leise öffnet man die Tür zum Bürozimmer, da sitzen die drei wie die Orgelpfeifen aufgereiht vor dem großen Schreibtisch. Einer kritzelt fleißig auf einem Blatt Papier, der andere hackt auf die nicht angeschlossene Tastatur ein, und die Tochter hat den Locher zum Handy umfunktioniert und bestellt gerade – „übers Internet“ – eine Pizza. Auf die verwunderte Frage: „Was macht ihr da?“ hört man ein einhelliges: „Wir arbeiten.“ Unnötig zu erwähnen, dass man noch ein „Sei bitte leise“ hinterhergezischt bekommt. Auf Zehenspitzen verlässt man eilig den Raum – und nimmt sich vor, das nächste Mal nicht so streng zu sein, wenn ein Kind mal während einer Online-Konferenz ins Zimmer platzt.
Aber anderen Eltern, da kann man beruhigt sein, geht es auch so. Eine Freundin soll einmal in jungen Jahren das alte Telefon benutzt haben, das schon längst nicht mehr in Betrieb war, eins mit Kabel und Muschelhörer. In lautem Ton soll sie „mit der Nachbarin“ gequatscht haben, und als sie dann zum Lachen den Kopf in den Nacken geworfen und ein schrilles Gegacker ausgestoßen hat, stand ihre Mutter mit offenem Mund vor ihr und erkannte völlig geschockt sich selbst wieder.
So ist es auch nicht verwunderlich, dass der Fünfjährige beim „Mensch ärgere dich nicht“-Spiel eine Schimpftirade vom Stapel lässt, die einem die Ohren schlackern lässt. Gerade ist er von einem Mitspieler kurz vor dem Ziel rausgeschmissen worden. Weil ihm vorher erzählt wurde, dass man bei dem Spiel „ausrasten“ kann, wischt er gekonnt die anderen Figuren vom Spielbrett und ruft gespielt sauer: „Es reicht mir! Fog!“
„Ja, woher hast du denn das Wort?“, fragt man ihn schockiert. „Vom Papa“, erklärt der Junge seelenruhig. „Wenn er sich weh tut, sagt der das.“ Man besinnt sich und muss ihm recht geben, der Papa sagt tatsächlich manchmal dieses Wort. Das F-Wort spielt eindeutig in einer Liga mit dem S- und dem A- Wort. Auch der Papa wird ganz still, als man ihm abends von dem neuen Vokabular des Sohns erzählt. Vielleicht, so die leise Hoffnung, überdenkt er seinen Schmerzreflex noch einmal.
Zum Glück, das muss man auch sagen, hört es sich beim Kleinen dann doch etwas anders an als beim Großen.